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Eine Pendlergeschichte: Gleis eins

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Man mag sich fragen, worauf der alte Mann wartet. Er sitzt von Montag bis Sonntag auf der Bank auf Gleis 1. Man mag sich denken, dass der alte Mann schon so einiges erlebt haben muss – ein Leben wie kein anderer hatte. Man möchte hoffen, dass er auf niemanden mehr wartet – dass ihn niemand warten lässt.

Vielleicht war er mit einer Frau verheiratet, die er liebte, sie gemeinsam Kinder kriegten, in einem Haus am Stadtrand lebten. Vielleicht war er aber auch zweimal verheiratet. Vielleicht hat er ein Kind adoptiert. Vielleicht ist seine Frau fremdgegangen und hat es ihm nie erzählt. Vielleicht hat er es gemerkt und wollte davon nichts wissen. Vielleicht hat er sich in die Lehrerin verliebt, vielleicht blieb er deshalb ein Leben lang Student. Deswegen weiss er heute sehr viel – vielleicht. Und keiner traut sich mehr, den alten Mann etwas zu fragen. Vielleicht aber weiss er gar nichts mehr und denkt nur noch an eben diese Lehrerin. Vielleicht ging der alte Mann als junger Mann nach Holland, vielleicht nach Südafrika, als er vom Verhältnis zwischen seinem Vater und der Lehrerin erfuhr. Im fremden Land wollte er sich wahrscheinlich erst selber kennenlernen, bevor er ein Mädchen kennenlernen wollte. Vielleicht entfremdete er sich so sehr von sich selbst, dass er nie den passenden Zeitpunkt für ein Mädchen fand. Vielleicht frass er den Narren an den patagonischen Landschaften und verliebte sich doch in ein Mädchen. Doch als das Mädchen es Leid hatte, stets gegen die Berge um seine Aufmerksamkeit kämpfen zu müssen und immer verlor, ging auch sie wieder. Vielleicht auch schritt ihm die Frau seines Lebens entgegen und schenkte ihr breites Lächeln am schönsten Tag ihres Lebens nicht ihm, sondern seinem Jugendfreund. Er war damals der Fotograf auf der anderen Seite des Altars. Er bevorzugte vielleicht Tee zum Kuchen und fand Kaffee scheusslich. Womöglich mag er den Herbst am liebsten, obschon er sich jedes Jahr am Nordwind erkältet. Vielleicht überlegt man sich, woher die vielen Falten um seine Augen kommen, ob er blonde Haare hatte oder braune, ob er als junger Mann einen Bart hatte, als Vater einen Schnauz, als Junge eine Pilzfrisur und mit einer Glatze zur Welt kam.

Man mag sich so allerlei über den alten Mann denken. Und wenn ihn jemand gefragt hätte, dann hätte er vielleicht geantwortet – er schaue bloss den vorbeifahrenden Zügen zu.

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