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Wiheissischdu

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Die Zeit blieb stehen, der Schulhausplatz war totenstill, in einer Ecke des Turnplatzes stand unbeweglich eine Reihe grüngewandeter Soldaten. Stramm. Alle Gesichter ausgerichtet auf den Kommandanten, der vor ihnen stand.

Und wenn es losging, klatschten Namen an die Schulhausmauer und kamen in kleinen Echos zurück. Ein Name nach dem andern in die Gesichter der Soldaten. Das Kommandantenbrüllen der Soldatennamen. «Hier!», brüllte es dann zurück, aus der jeweiligen Richtung des Namenträgers. «Hier!» und «Hier!», in Abwechslung mit dem Namenbrüllen ein «Hier!» Jeder Soldat erwartete unbeweglich seinen Namensaufruf. Unmöglich, diese Namen in die Gesichter zu denken, alles ging rasend schnell. «Appell» nannte man das, und ich schaute zu, Kind, aus dem Estrichfenster meines Elternhauses, schaute auf diese starre Männermauer, die aus vielen Einzelnamen bestand, aber eine homogene Gruppe bildete. Das Brüllen der Namen war Frage und Befehl zugleich. «Anwesend?» – «Anwesend!»

Und keiner stürzte, keiner flog, keiner lief weg, ein jeder schrie zurück, ein jeder war gemeint, keiner entkam. Ein Nicht-Anwesend-Sein, als Zeichen eine Lücke in der Menschenmauer, dürfte um einiges mehr Bedeutung haben als ein Anwesend-Sein, dachte ich mir dann jeweils, und wäre gerne mal dabei gewesen, wenn einer weggerannt und, meiner Meinung nach, entkommen wäre. Doch keiner stürzte, keiner flog, und keiner rannte weg, keiner entkam dem Ruf seines Namens. Keiner wollte darauf sein «Hier!» nicht brüllen.

Wer Namen hat, ist gemeint. Wir Namenträger sind gemeint, wenn unser Wort gerufen wird. Die Vorstellung, dass Leute, die keinen Namen hätten, gar nicht richtig ernst genommen würden. Es könnte sein. Unsere Pässe bescheinigen unsere privilegierte Anwesenheit. Jene, die uns erlaubt, uns jederzeit dorthin zu bewegen, wo wir hin möchten. Unvorstellbar, dass es nicht so wäre.

Wer schreit, wer ruft, wer flüstert, wer schimpft unseren Namen? Wir fühlen uns gemeint, haben die Möglichkeit zu antworten, wenn unser Name ertönt. Wenn wir dies wollen. Wenn wir gehört werden.

Die Lust zukünftiger Eltern, ihren Nachkommen klingende, bedeutende Namen zu geben, lässt viele lange danach suchen, es müsste ein Name sein, der sobald als möglich erlaubt, auf Siegesspur zu gehen. Familiengesichert, klassisch-zeitlos, starerprobt, heiligenverehrend, historisch-erfolgreich … und was alles noch zur Verfügung stünde. Wenige Namen sind heute bei uns auf der Unerlaubtenliste.

Kind, mit T-Shirt, auf dessen Rücken Ronaldo steht, oder Messi oder andere, welche Kraft es ausstrahlt, wenn es mir seine Rückseite zeigt, wo grosslettrig der bekannte Name steht! Identifikation ist das halbe Leben, darum, liebes Kind, such dir deine Umgebung!

Die spanische Lehrerin im Sprachkurs, den ich vor Jahren belegt hatte, trug den Namen Incognito. «Unbekannt»? (Doch anwesend!) «Kein-Name»? Das Wort änderte sich auch in einer Übersetzung nicht. Wenn ich «Kein-Name» heisse, wie fühlt sich das an? Warum hiess die Frau so? Sie gab unbeschwert Antwort auf meine Frage: Es war ihre Urgrossmutter, die als Baby gefunden worden war, ein Findelkind, das keinen Namen hatte. Niemand wusste woher, von welchen Eltern es stammte, und niemand konnte es jemals herausfinden. Incognito war die Antwort auf die Frage: «Wer ist das?». Der Name wurde damals einem Findelkind gegeben, in solch unlösbarer Situation, die Nachkommen trugen ihn weiter.

Es kommt vor, dass ich jemand gerne fragen würde: «Wiheissischdu?» Einfach aus Interesse, weil mir jemand gefällt, mir jemand immer wieder begegnet, weil jemand eine lustige, komische, schlechte Idee hat, oder sonstiges. Wie ein Kind das kann, sich vor einen hinstellen und fragen: «Wiheissischdu?» Eine Anonymität durchbrechen, einen Menschen begrüssen, eine Möglichkeit des Austauschens schaffen damit. Es interessiert mich als erstes meist der Vorname, weil das etwas vom persönlichsten Öffentlichen ist, womit man lebt. Es gelingt mir aber auch, nicht zu fragen, weil die Namenlosen das Recht haben, inkognito zu gehen, und ich selber manchmal auch in einer gewissen Namenlosigkeit bloss existieren will.

Der andere Appell: mit meiner inneren Bevölkerung. Jener, der bekannte, geliebte, verehrte Namen abrufen kann, der es schafft, zum entsprechenden Namen das Gesicht und das Wesen aufscheinen zu lassen. Bloss ein Wort … Namen tragen Fracht mit der Zeit, angenehme, unangenehme. Schwer zu vermeiden, gewisse Namen lieber vergessen zu wollen und sie nicht abzurufen ob der Hässlichkeit der Bilder, die sie von der Welt hervorbringen.

Ich bleibe ich. Mit meinem Namen. Ich stelle mich am liebsten gut mit ihm. Manchmal fällts mir ja auch nicht leicht.

Und: Wiheissischdu?

 

Sus Heiniger ist Kunstmalerin und lebt in Murten. Als Kulturschaffende ist sie in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet.

 

«Ein Nicht- Anwesend-Sein, als Zeichen eine Lücke in der Menschenmauer, dürfte um einiges mehr Bedeutung haben als ein Anwesend-Sein.»

 

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