Um den Text der seit 1981 offiziellen Landeshymne «Trittst im Morgenrot daher» ist eine böse Kontroverse, ein Affentheater, entstanden, nachdem die Schweizerisch Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) einen neuen, der Zeit adäquaten Text vorgeschlagen hat. In der heutigen mytisch-historischen Fassung kommt Gott im Morgenrot, im Abendglühn, im Nebelflor und schliesslich im wilden Sturm daher, unsichtbar und unfassbar. Und wenn es diesen Gott gar nicht gäbe, wie viele namhafte Philosophen behaupten? Und schliesslich sind fast 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung überzeugt, dass kein Gott existiert. Da zeigt sich der neue Text realitätsbezogen und verfassungstreu, wie es scheint. Er spricht das Nationalwappen, das weisse Kreuz auf rotem Grund an und nennt den Bund die Klammer für das Land. Die Begriffe wie Freiheit, Unabhängigkeit und Treue sind uns Schweizern heilig und wichtig. Weiter streben wir alle nach Gerechtigkeit und wollen die Freiheit nützen und schützen. Das Lied klingt aus mit dem Hinweis, dass ein Volk stark ist, wenn es die Schwachen schützt, eine Tatsache, die in unzähligen Gesetzen Eingang gefunden hat. Alle vertreten diese Werte, von links bis rechts, aber singen, nein, das mag fast niemand.
Warum denn dieser bitterböse Krieg um den neuen Text, der die Realität unseres Lebens, unserer liberalen und aufgeklärten Verfassung besser widerspiegelt als der Herr irgendwo im Universum? Die Vermutung liegt nahe, dass es alte Gewohnheiten sind, die die Menschen auf Abwehr schalten lassen. Den alten Text kennen fast alle, der neue muss gelernt werden. Und auswendig lernen tun viele nur ungern.
Um zu verhindern, dass wegen nichts ein Glaubenskrieg entsteht, wäre es als Kompromiss ratsam, jeweils beide Strophen nebeneinander zu singen, die mit Morgenrot und diejenige mit dem weissen Kreuz auf rotem Grund. Dann singen wir die Landeshymne aus einem Mund – deutsch, französisch, italienisch und rätoromanisch – und ehren so unseren Bund, an dem wir doch alle so hängen.
«Warum denn dieser bitterböse Krieg um den neuen Text der Hymne, der die Realität des Lebens besser widerspiegelt?»