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Als die Sexualmoral noch zu reden gab

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Als die Sexualmoral noch zu reden gab

Mirjam Künzler über Sexualmoral in katholischen Frauen-und Familienzeitschriften

Wie soll sich eine «anständige Katholikin» anziehen? Warum kann voreheliche Enthaltsamkeit nur von Gutem sein? Und die Pille – wer darf? Die katholischen Frauenzeitschriften von 1945 bis 1990 hatten dazu klare Meinungen. Die Historikerin Mirjam Künzler hat darüber ihre Lizenziatsarbeit geschrieben.

Von IRMGARD LEHMANN

Die 25-jährige Historikerin Mirjam Künzler, deren Lizenziatsarbeit in einem Buch mit dem Titel «Sexualmoral in katholischen Frauen- und Familienzeitschreiften 1945-1990» vorliegt, hat insgesamt drei Zeitschriften gründlich unter die Lupe genommen: «Unsere Führerin», «Die Schweizerin» und «ferment».

Gegen die «verdorbene Zeit»

«Keuschheit» ist das Schlagwort, wenn zwischen 1945 und 1951 über Sexualität und Erotik geschrieben wird. Die Zeitschrift «Unsere Führerin» – sie richtet sich an die Mitglieder der marianischen Jungfrauenkongregationen – wählt oft Beispielgeschichten, um ihre Standpunkte darzulegen und ihre Mitglieder, die «Sodalinnen», zum richtigen Verhalten zu erziehen, stellt Künzler fest.

Mit Verboten, oft auch Drohungen, gibt die Zeitschrift klare Anweisungen und wehrt sich gegen die «Auswüchse der modernen Zeit». Künzler: «So warnt zum Beispiel ein Vater seine zwei heranwachsenden Töchter in einer Ausgabe vom Jahr 1945 vor der , der und beim Tanzen.» Ein Mädchen komme eventuell in erbärmlichem Zustand nach Hause.

Doch darüber spricht man nicht direkt, sondern bedient sich vielmehr einer blumigen Umschreibung: «Ein zerknittertes Band im Haar und eine zertretene Blume im Herzen», heisst es. Diese Rhetorik sei typisch für den Diskurs über Sexualmoral.

Für «Entgleisungen» sind die
Frauen verantwortlich

Ebenfalls ist es üblich, dass ein sexuelles Vergehen mit «Schmutz» in Verbindung gebracht beziehungsweise vorbildliches Verhalten mit Adjektiven wie «sauber», «rein» und «edel» ausgedrückt wird.

Bezeichnend für das Moralverständnis jener Zeit sei es auch, dass der Vater in dieser Beispielgeschichte weniger das Verhalten der Tanzpartner kritisiere, sondern dasjenige der Frauen, die sich seiner Meinung nach «schamlos» kleiden. Die Historikerin: «Da Frauen als Mütter die traditionellen Wertvorstellungen gegen schädliche Einflüsse von aussen abschirmen sollen, ist ihre moralische Verantwortung besonders gross.»

Sich anbahnendes Selbstbewusstsein

Auch zwischen 1951 und 1962 (Beginn des 2. Vatikanischen Konzils 1962-
1965) bestimmen Fragen der allgemeinen Sittlichkeit den Diskurs. «Nun zeigen sich», so Künzler, «erste Risse zwischen den verordneten Leitlinien und dem Verhalten der Katholiken.» Viele Gläubige halten sich nicht mehr strikt an alle vermeintlich unmodernen sittlichen Vorschriften.

Ein äusserst offener Artikel von Elisabeth Abegg spiegelt zudem den neuen Umgang mit sexualmoralischen Vorschriften. Unter dem Titel «Von Eros und Sexus» schreibt sie 1959 in «Die Schweizerin» (Zeitschrift, die sich an die gebildete Katholikin richtet), viele streng religiös erzogene und brave Mädchen hätten Mühe, den Weg zur Ehe zu finden, weil sie gehemmt und prüde seien. Eine Mutter stimmt ihr zu und erklärt in einem Leserbrief, die Mädchen dürften nicht so tun, als sei es ihnen gleichgültig, ob sie jemandem gefallen oder nicht. Die Sinnlichkeit gehöre zur Erfüllung des weiblichen Daseins. In diesem Zusammenhang betont die Autorin, dass die Frau nicht nur Mutter sei, «sondern auch warm empfindende Gattin des Mannes».

«Damit steht eine Schreiberin erstmals für die Sexualität als positive weibliche Eigenart ein, die es zu fördern gilt», betont die Historikerin. Die vielen begeisterten Reaktionen seien ausserdem ein Beweis für die Dankbarkeit zahlreicher Leserinnen, dass eine offene Diskussion über die Sexualität beginne.

Pille im Vormarsch

Die grösste Veränderung in der herrschenden Sexualmoral verursacht die Einführung der Pille Anfang der 60er Jahre. Die Zeit zwischen 1962 und 1975 ist geprägt von einem radikalen Wandel in der katholischen Weltanschauung. In erster Linie spaltet das Verbot der Pille als Verhütungsmittel in der päpstlichen Enzyklika «Humanae Vitae» (1968) die Geister. Selbst die Schweizer Bischöfe erklären, man dürfe dem eigenen Gewissen folgen, und zwar auch dann, wenn dieses die Pille befürworte. Der Graben zwischen Rom und den Alltagskatholiken ist offensichtlich. Künzler: «Dieser Wandel erfasst auch die Zeitschriften, die immer öfter nach pragmatischen Antworten in der Sexualmoral suchen.»

Zügel gelockert

Die voreheliche Enthaltsamkeit wird zwar noch immer als Ideal propagiert, doch nicht mehr so kategorisch. Jetzt wird vielmehr klar herausgehoben, dass es ein Unterschied ist, ob es sich um eine «wilde» Sexualität handelt, wo man egoistisch nur den eigenen Genuss sucht, oder ob es sich um eine echte Bekanntschaft handelt oder um zwei Verlobte, die unmittelbar vor der Ehe stehen. (Nachgelesen in der «ancilla» von 1967, Nachfolgezeitschrift von «Unsere Führerin».)

Da die Redaktionen bemüht sind, den Anschluss an die moderne Gesellschaft der 68er Jahre nicht zu verpassen, werden ihre Spalten immer weniger von Theologen, sondern vielmehr von Seelsorgern, Psychologen, manchmal auch von Medizinern gefüllt. Die Tipps (oft dieselben) kommen nicht mehr als Vorschriften daher, sondern als scheinbar wissenschaftlich erhärtete Erkenntnisse. So heisst es beispielsweise, wer mit dem sexuellen Verkehr bis zur Ehe warte, werde ihn nachher viel mehr geniessen können.

Sexualmoral wird zur privaten
Angelegenheit

Nach 1975 werden Texte zur Sexualmoral immer seltener. «Man versucht nicht mehr, den Frauen Verhaltensregeln zu predigen, sondern gibt Denkanstösse», bemerkt Künzler. Die Frauen sollen nun frei entscheiden. Man wolle für das Geschlecht, das jahrhundertelang bevormundet worden ist, keine Gesetze mehr erlassen. «Doch wie die einzelne Katholikin sich in dieser Welt, in der alles erlaubt scheint, zurechtfinden soll, darauf geben die Zeitschriften keine Antwort.»

Die Lizenziatsarbeit «Sexualmoral in katholischen Frauen- und Familienzeitschriften 1945-1990» kann beim Verlag Academic Press Fribourg bestellt werden: Tel. 026 426 41 11.
Die Sexualität der Frau zählte nicht

Als Nichtkatholikin hat Mirjam Künzler via Zeitschrift die Gedankenwelt katholischer Mütter und Grossmütter unter die Lupe genommen. Und dabei festgestellt, dass auch in neutralen Zeitschriften starre sexuelle Verhaltensmuster angepriesen wurden.

Mit MIRJAM KÜNZLER
sprach IRMGARD LEHMANN

Wie sind Sie auf die Thematik gestossen?

Ich habe bei Urs Altermatt ein Seminar über Katholizismus besucht und anschliessend eine Seminararbeit über das Bild der Frau in katholischen Zeitschriften verfasst.

Ich fand nicht nur das Thema äusserst spannend, sondern auch den Ansatz: In alten Zeitschriften zu wühlen und dabei zu untersuchen, was für Vorstellungen vermittelt wurden, und wie.

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