«Ich lege mein Amt als Anwalt nieder und beantrage, als Zeuge befragt zu werden.» Nach diesem Satz von Nicolas Charrière legte sich gestern erst einmal Stille über den Saal des Bezirksgerichts Saane. Dann ordnete Gerichtspräsident Benoît Chassot eine Pause an.
Zuvor hatte Chassot während zweier Stunden einen Asylbewerber befragt–den Mandanten von Nicolas Charrière. Dieser hat einen Gemeinderat von Marly und ehemaligen Polizisten angezeigt: Der heute 61-Jährige habe ihm eine Aufenthaltsbewilligung versprochen, wenn er ihn oral befriedigen könne. In einer zähen Befragung–übersetzt von einer Landsfrau des Asylbewerbers–versuchte der Gerichtspräsident festzustellen, was passiert war.
Drei Mal Oralsex
Der Asylbewerber berichtete, wie der Angeklagte ihn in der Asylnotunterkunft La Poya abgeholt habe. Das erste Mal habe er das Auto vor der Perollesbrücke angehalten und versucht, ihn zu Oralsex zu überreden. Am Schluss habe er eingewilligt, sagte der Asylbewerber: «Wegen der Aufenthaltsbewilligung.» Der Angeklagte habe seinen Penis mit seiner Hand und seinem Mund berührt. «Aber ich verspürte keine Lust, mir gefiel das nicht.»
Der Asylbewerber erzählte von zwei weiteren Treffen–einmal im Auto, einmal in einem Haus–, bei denen ihm der Mann die Hose hinuntergeschoben und eine Fellatio praktiziert habe. Die Übersetzerin aus dem Nahen Osten sagte, das Gespräch sei sehr schwierig: «Es ist nicht einfach, wenn ein Mann solche Dinge einer Frau erzählen muss.»
Chassot bohrte trotzdem weiter. Dies, weil der Asylbewerber in der Untersuchung mehrmals gegensätzliche Aussagen gemacht hatte. Als der Richter die erste schriftliche Erklärung hervornahm, in welcher der Asylbewerber angegeben hatte, dass er die Fellationes praktiziert hatte, sagte Charrière, dass er als Zeuge befragt werden wolle. «Nur ich kann erklären, wie es zu diesen widersprüchlichen Aussagen kam.» Er deutete sprachliche und kulturelle Barrieren an.
Der Angeklagte sass derweil angespannt auf seiner Bank. Sein Kiefer zermalmte in schnellem Rhythmus einen Kaugummi, die Arme waren vor der Brust verschränkt, die Beine überschlagen.
«Habe nie so etwas getan»
Er leide sehr unter dieser Geschichte, sagte der Gemeinderat in einer Pause vor dem Gerichtssaal. «Das stimmt alles gar nicht, ich habe nie so etwas getan.» Er sei nicht schwul.
Er sei als Polizist in die Einsatz- und Alarmzentrale der Kantonspolizei in Granges-Paccot «abgeschoben worden». In einer Pause habe er vor dem Gebäude geraucht und mit dem Asylbewerber gesprochen. Dieser habe von einem Drogenhandel in der Asylunterkunft gesprochen. Das habe ihn interessiert; darum habe er den Mann zwei, drei Mal kontaktiert. Als dieser ihn gebeten habe, ihm eine Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen, habe er den Kontakt abgebrochen. «Wahrscheinlich hat er darum diese Geschichte erfunden–um sich zu rächen.»
Das Gericht akzeptierte den Antrag des Anwalts und unterbrach das Verfahren. Nun ist es an Generalstaatsanwalt Fabien Gasser, Charrière als Zeugen zu befragen, sobald dieser von seinem Berufsgeheimnis entbunden ist. Zudem soll er die Ex-Frau des Angeklagten befragen, die während der Untersuchung keine Aussagen gemacht hatte. «Und der Kläger wird durch einen männlichen Übersetzer befragt», sagte Chassot.