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«Der Klassenkampf ist ja vorbei»

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Die Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen am 5. Juni ist der Entscheid über eine Utopie. Schweizerinnen und Schweizer sollen sich dazu äussern, ob sie einfach so ein fixes Einkommen vom Staat beziehen wollen. Einen Betrag, der ihnen zwar knapp zum Leben reichen, aber nicht darüber hinaus gehen soll. Das klinge schön, sagt der Murtner Philosoph, frühere Gymnasiallehrer und Ex-SP-Politiker Johann G. Senti, doch die Vorlage bestehe den Realitätstest nicht.

 

 Was ist die erste Reaktion eines Philosophen, wenn er sich mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens beschäftigt?

Die Grundüberlegung hinter dieser Initiative ist utilitaristisch. Die Initianten gehen davon aus, dass der Mensch nach Glück strebt und dass es die Aufgabe des Staates ist, nach seinen Möglichkeiten dazu beizutragen, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Das bedingungslose Grundeinkommen soll dies ermöglichen.

 

 Eigentlich ein linkes Anliegen, das einem SP-Vertreter sympathisch sein sollte.

Der Klassenkampf ist ja vorbei. Es hiess früher: zuerst das Fressen, dann die Moral. Und dies schimmert hier noch durch. Man sorgt für den Grundsockel, das Essen, dann kann man sich in aller Freiheit selber verwirklichen und entfalten. Ich hoffe, dass die heutigen Arbeitsbedingungen beide Bedürfnisse miteinander zu verbinden vermögen.

 

 Hat die Initiative aus Ihrer Sicht Vorteile?

Die Initiative knüpft an sozialliberale Ansätze an und versucht sie mit traditioneller linker Politik zu verbinden. Der Einzelne muss keine Schuld- und keine Schamgefühle haben, wenn er in materielle Nöte gerät; der Staat spricht ihm seine Subsistenzgrundlage einfach zu. Es ist Wert, sich zu überlegen, wie es ist, wenn man zum Amt muss, als Arbeitsloser oder als Sozialhilfeempfänger. Das hat etwas Peinliches. Man kommt sich als Versager vor, ohne zu berücksichtigen, dass man für die Umstände nichts kann. Der Traum der Vollbeschäftigung ist passé. Viele, die ihren Beruf früher mit Freude und Leidenschaft betrieben haben, werden überflüssig. Diese Menschen werden subjektiv geknickt sein. Das, was ihre Identität und ihre Persönlichkeit ausgemacht hat, soweit sie sich über den Beruf definiert haben, ist weg.

 

 Die Vorlage löst Debatten aus, weil sie die Grundfesten unserer Gesellschaft zu tangieren scheint. Ist das so?

Sie ist ein Erziehungsprojekt, spricht die Mentalität an, die Haltung jedes Einzelnen zur Arbeit. Sie will das Überleben von Arbeit und Lohn entkoppeln. Das ist schön. Sie rüttelt daran, dass sich die Identität und der Wert des Einzelnen über seinen beruflichen Erfolg und die Einkommenshöhe definieren. Das ist wunderbar und durchaus teilbar. Aber unser Gesellschaftsverständnis geht davon aus, dass ein Erwachsener für sich selber schauen sollte. So daneben finde ich diese Einstellung nicht. Ich finde die Idee naiv, dass mit der Gewährleistung des Existenzminimums die grosse Freiheit ausbricht. Ganz abgesehen von der Finanzierbarkeit.

 

 Menschenwürde, Selbstentfaltung–das scheint ja noch attraktiv zu klingen?

Man geht sorglos mit diesen zentralen gesellschaftlichen Begriffen um. Menschenwürde, Arbeit, Leistung, Freiheit: Das sind mehrdeutige und suggestive Begriffe, die geklärt werden müssten. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Unterschriften zusammenkamen. Ich denke nicht, dass man von einer Entwürdigung oder einer Beeinträchtigung der Menschenwürde sprechen kann. Initiativen sind Normierungsprojekte. Normen muss man begründen können, zum Beispiel so, dass sie Teil einer akzeptierten übergeordneten Norm sind. Eine solche sind die Menschenrechte und unter ihnen die Menschenwürde. Über diese herrscht heute Einigkeit, und das ist gut. Aber aus der unantastbaren Menschenwürde eine Begründung für ein bedingungsloses Grundeinkommen abzuleiten, ist ein langer Weg. Es ist ja nicht so, dass die Menschenwürde durch unsere zurzeit geltenden sozialstaatlichen Institutionen verletzt würde.

 

 Warum denn nicht? Könnte man nicht meinen, weniger Arbeiten macht glücklich?

Da spielen so viele Faktoren hinein. Viele Menschen leiden nicht primär daran, dass sie arbeiten, sondern an den Bedingungen, unter denen sie arbeiten. Sie können in einer Firma entfremdende Elemente in der Arbeitsorganisation abbauen. Wer die Angestellten mitreden lässt, hat seine Leute hinter sich. Ich würde eher in die Flexibilisierung der Arbeitswelt investieren. Wenn man in einem Unternehmen arbeiten kann, das kompetent geführt ist und auch dem Angestellten eine angemessene Perspektive bieten kann, das ein gutes und konstruktives Verhältnis unter den Mitarbeitern ermöglicht, ist man auch bereit, sich im Krisenfall noch mehr einzubringen, damit die Firma über die schweren Zeiten kommt.

 

 Das heisst: in der Arbeitswelt eingreifen, nicht aber beim Einkommen?

Betrachten wir das Phänomen Burn-out. Dieses entsteht ja kaum aufgrund der Unmöglichkeit, seinen Traumberuf ergreifen zu können. Gründe dafür können Strukturen sein oder dass die eigenen Möglichkeiten beschränkt sind. Die Berufswahl spielt da eine wesentliche Rolle. Die Wenigsten wissen bei Antritt der Ausbildung, welcher Beruf wirklich zu ihnen passt. Man kann sich täuschen und findet es erst im Laufe der Zeit heraus. Das kann schmerzhaft sein. Wir können das ändern. Man muss ein Leben lang lernen; den Berufsentscheid für das ganze Leben gibt es nicht mehr. Da muss man ansetzen. Berufswahl muss flexibel sein. Aber das ist ja alles im Gang. Gewisse Berufe gibt es nicht mehr oder nur noch in Kombination mit etwas anderem. Solche Bemühungen verdienen staatliche Förderung.

 

 Wer weniger arbeitet, hat mehr Zeit für gesellschaftliches Engagement, so das Argument der Befürworter. Wie sehen Sie das? Macht das aus Ihrer Sicht Sinn?

Ich weiss nicht so recht. Sind Millionäre sozial engagierter, weil sie nicht um ihr Überleben kämpfen müssen? Es gibt sicher welche. Aber alle? Ich kenne viele Menschen, die nicht reich sind und sich dennoch sozial engagieren–die Möglichkeiten stehen bereits offen. Ein Kollege ist arbeitslos, muss Alimente zahlen. Er ist begeistert von der Vorlage und sagt, er könne sich so nun endlich sozial engagieren. Ich bin mir da nicht so sicher. Ich befürchte sogar negative Auswirkungen für die Freiwilligenarbeit. Denn die Initiative übersieht, dass die Freiwilligenarbeit oft gar nicht so freiwillig ist. Sie lebt nicht selten von der Kompensation. Wer hart arbeitet, braucht und will einen Ausgleich. Ich könnte mir vorstellen: Wer weniger arbeitet, hat auch weniger Lust, sich für die Allgemeinheit einzusetzen.

 

 Ihr Fazit?

Mir bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Auf der einen Seite verpönt man die Arbeit. Man müsse arbeiten, und wer arbeiten muss, könne nicht innovativ und nicht produktiv sein. Auf der anderen Seite soll wiederum das Heil der Freiheit gerade in der Arbeit liegen. Das ist doch widersprüchlich. Die Wirtschaft wird es so lange freuen, bis sie das bezahlen muss. Und im Übrigen: Warum hat man das Beamtentum gestrichen? Weil der Beamtete dazu zu neigen scheint, träge zu werden. Und wir hätten hier ein ganzes Heer von Beamten. Das käme wohl nicht gut.

Zur Vorlage

Ein Beitrag ohne jede Voraussetzung

Die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen sieht vor, dass der Staat allen in der Schweiz lebenden Menschen einen Betrag auszahlen würde–unabhängig davon, wie viel sie verdienen und wie viel sie besitzen. Der Betrag würde noch bestimmt. In der politischen Diskussion ist von monatlich 2500 Franken für Erwachsene und 675 Franken für Kinder und Jugendliche die Rede. Wer weniger als 2500 Franken Lohn oder Sozialleistungen bezieht, würde mehr erhalten. Wer mehr als 2500 Franken verdient, behält den angestammten Lohn.fca

Utopie: Die Positionen für und wider einen Lohn vom Staat

Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) hoffen auf einen tief greifenden Wandel: Das Zusammenleben, die Rolle der Erwerbsarbeit, das wirtschaftliche und soziale System würden verändert. Die Initianten wollen es jedem ermöglichen, auch ohne Erwerbsarbeit ein menschenwürdiges Dasein zu führen und am öffentlichen Leben teilzunehmen, wie sie schreiben. Sie gehen davon aus, dass das BGE einen Teil der Sozialleistungen und Subventionen ersetzen würde.

Der Bundesrat argumentiert, die Umsetzung der Initiative würde die Wirtschaft und das System der sozialen Sicherheit schwächen. Die Zahl der arbeitenden Menschen würde sinken, Firmen würden Arbeitsplätze auslagern, das Steueraufkommen nähme ab und die Migration nähme zu. Der Bund müsste sparen oder die Steuern erhöhen. Die Schweiz habe ein gutes Sozialsystem, niemand müsse Not leiden. Der Bundesrat rechnet hoch, dass pro Jahr 25 Milliarden Franken benötigt würden, und die Finanzierung sei ungewiss, unter Umständen müsste die Mehrwertsteuer um acht Prozent erhöht werden.

Der Nationalrat lehnte die Initiative mit 157 Ja zu 19 Stimmen bei 16 Enthaltungen ab. Im Ständerat erhielt sie nur eine Ja- bei 40 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen. fca

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