Der 43-jährige Berner Samuel Feller ist seit Anfang 2014 der oberste Technische Verantwortliche im Eidgenössischen Schwingerverband. Am Wochenende wird er in Estavayer erstmals das Einteilungskampfgericht an einem eidgenössischen Fest präsidieren. Ihm obliegt überdies die allseits mit Spannung erwartete Einteilung des ersten Gangs vom Samstagmorgen.
Samuel Feller war als zweifacher Eidgenosse (1992 und 1998) selbst ein erfolgreicher Schwinger. Ein weiteres eidgenössisches Eichenlaub verpasste er 1995 in Chur wegen einer Verletzung, die er sich im zweiten Gang gegen Eugen Hasler zuzog. Von Ende 2007 bis Ende 2013 war er als Technischer Leiter des Berner Verbandes ausserordentlich erfolgreich. In diese Zeit fielen der Kilchberger Sieg von Christian Stucki 2008 sowie die eidgenössischen Triumphe von Kilian Wenger 2010 und Matthias Sempach 2013.
Samuel Feller, mit welchen Hoffnungen und Erwartungen fahren Sie am Wochenende nach Estavayer?
Wir wollen, sportlich gesehen, ein faires Fest erleben. Wir möchten einen würdigen Schwingerkönig bekommen, der nach Möglichkeit lauter Gegner besiegt, die Mitfavoriten waren. Und ich wünsche mir, dass wir einen Haufen neue und junge Eidgenossen bekommen werden. Das ist für uns, für den Schwingsport, sehr wichtig. Die Jungen sollen das Schwingen für die nächsten Jahre in die verschiedenen Regionen des Landes hinaustragen.
In den letzten Jahren waren die Berner ganz obenauf, nicht nur mit Stucki, Wenger und Sempach. Auch für Estavayer werden sie am häufigsten als Favoriten genannt. Bis 2007 waren die Nordostschweizer mit Jörg Abderhalden, Arnold Forrer und Stefan Fausch kaum zu schlagen gewesen. Danach erlebten sie eine Durststrecke. Wie erklären Sie sich solche Schwankungen innerhalb der Verbände?
Die Klubs und Verbände machen Nachwuchsarbeit mit Jungschwingern, aber irgendwann braucht man einen Athleten, der das ganze Training auf sich nimmt und zudem das Talent hat. Das ist schwierig zu steuern. Die Schweiz bekommt auch nicht immer wieder einen Roger Federer. Wenn ein Verband eine Durststrecke an der Spitze hat, wird er sich eher anstrengen, richtig mit den Jungen zu arbeiten. Es ist nicht einfach, denn etwa im Alter von 16 bis 18 Jahren springen viele talentierte Jungschwinger ab, wenn sie auf einmal andere Interessen haben. Ein Verband, dem es schlecht läuft, unternimmt viel eher möglichst grosse Anstrengungen, um wieder etwas auf die Beine zu stellen. Aber dann braucht es manchmal mehr als zehn Jahre, bis der Verband wieder breit dasteht. Ein Verband sollte eben genau dann am meisten zum Nachwuchs schauen, wenn er am meisten Erfolg hat. In der guten Zeit hätte er die besten Ressourcen. Aber solche Persönlichkeiten und Talente, wie sie der Berner Verband hat, einen Stucki, einen Sempach oder einen Wenger, das hat man vielleicht nur alle 20 oder 30 Jahre.
Sie waren ab 2008 Technischer Leiter der Berner. Ihr Vorgänger war der bekannte Niklaus Gasser. Was haben Sie damals unternommen, damit es mit den Bernern wieder so stark aufwärtsgehen konnte?
Das war natürlich ein längerer Prozess. Als Chlöisu Gasser mit den Jungen begann, war Mättu Sempach zum Beispiel noch ganz jung. Chlöisu hatte eine gute Weitsicht und nahm die Jungen von Anfang an mit ins Boot. Er konnte sie auf diese Weise richtig fördern. Als ich die Mannschaft 2008 übernahm, hatten wir schon viele sehr gute Leute, aber sie waren sich noch nicht gewohnt zu gewinnen. Wir hatten viele Rohdiamanten. Meine Aufgabe war es danach, ihnen Selbstvertrauen zu geben und sie an die Spitze zu führen. Sie mussten merken, dass die andern auch nur mit Wasser kochen. Es war, alles zusammen, ein Prozess von zehn bis zwölf Jahren, bis wir wieder absolute Spitzenschwinger hatten. Es ist die grosse Herausforderung, die heute jeder Teilverband mit seinen Klubs hat.
Sind Samuel Giger und Armon Orlik Beispiele dafür, dass es jetzt auch im Nordostschweizer Verband wieder aufwärtsgeht nach dem relativen Tief nach dem Eidgenössischen 2007 in Aarau?
Genau. Und zwar kommt das sehr früh. Man konnte nicht damit rechnen, dass die Nordostschweizer schon für Estavayer wieder so starke Junge haben würden. Allerdings sind dies für mich auch zwei Ausnahmeathleten, genau wie damals Stucki und Sempach. Solche Leute kann man nicht programmieren. Man hat sie, oder man hat sie nicht. Da nützt manchmal alles Training nichts. Ich erwähne wieder Roger Federer. Dieses Phänomen kann man auf einer etwas tieferen Stufe auch auf das Schwingen herunterbrechen.
Als Technischer Leiter der Berner waren Sie im Einteilungskampfgericht am Eidgenössischen sozusagen der Anwalt der Berner. Am Wochenende werden Sie erstmals an einem Eidgenössischen quasi der Gerichtspräsident sein, oder vielleicht der Friedensrichter, der alle Teilverbände gleichbehandelt. Wie gehen Sie diese Aufgabe an?
Es ist jetzt natürlich eine ganz andere Rolle. Aber ich glaube, dass es mir schon 2014 am Kilchberger Schwinget gut gelungen ist. In den drei Jahren beim Eidgenössischen Verband bin ich natürlich von den Berner Verbandstrainings weggekommen. Ich habe als eidgenössischer Technischer Leiter ganz andere Aufgaben. Ich muss in Estavayer dafür schauen, dass es einen schönen und vor allem einen fairen und ausgeglichenen Wettkampf gibt. Ich bin jetzt in einer komfortablen Lage, denn ich kann sagen: Einer meiner Schwinger wird auf jeden Fall gewinnen. Weil sie ja alle meine Schwinger sind (lacht). Am besten ist es, wenn der neue Schwingerkönig gegen die Besten geschwungen haben wird, wenn er also zuletzt ein würdiges Notenblatt vorweisen kann.
Sie gewannen 1992 in Olten mit 19 Jahren Ihren ersten eidgenössischen Kranz. Wie hat sich der Schwingsport in den 24 Jahren seither in Ihren Augen verändert?
Extrem viel hat sich nicht geändert. Sicher machen die guten Schwinger heute ein paar Trainings mehr. Aber damals schon gab es den Übergang zum moderneren und athletischeren Schwingen. Bis dorthin zählten vor allem Grösse, Gewicht und Kraft. Heute ist der Schwinger vielfältiger, auch in der technischen Ausbildung. Das Training selber ist vielfältiger, es gibt immer auch neue Erkenntnisse. Sicher wird heute intensiver mit den Jungen gearbeitet. Man spricht auch mehr mit ihnen und lotet ihre Ziele aus.
Geben Sie uns drei Tipps: Wer wird Schwingerkönig?
Natürlich ist Matthias Sempach ein heisses Eisen, aber nach meinen Beobachtungen in dieser Saison auch Armon Orlik, Christian Stucki und Christian Schuler. Ich lege mich nicht fest. Es ist mir auch wichtig zu sagen, dass ich eine neutrale Position einnehmen werde. Aber ganz bestimmt gibt es nicht 20 Schwinger, die Schwingerkönig werden können. sda
Schwingerkönig: Acht Siege – Zufall oder Trend?
I n der immer breiter, stärker und dichter werdenden Konkurrenz müsste es immer schwieriger werden, alle acht Gänge eines Eidgenössischen Festes zu gewinnen. Erstaunlicherweise sprachen die Ergebnisse der letzten beiden Eidgenössischen eine andere Sprache. Sowohl Kilian Wenger 2010 in Frauenfeld als auch Matthias Sempach 2013 in Burgdorf legten ihre acht Gegner allesamt auf den Rücken und wurden Schwingerkönige mit dem fantastischen Total von 79,00 respektive 79,25 Punkten. Sie büssten also über acht Gänge nur ungefähr so viele Punkte ein, wie einem Schwinger für einen aktiv geführten gestellten Gang abgezogen werden.
Nebst Wenger und Sempach wurden in der Nachkriegszeit nur drei weitere Schwinger mit lauter Siegen Könige, nämlich Max Widmer 1958 in Freiburg, Rudolf Hunsperger 1969 in Biel und Ernst Schläpfer 1980 in St. Gallen. Dem stehen ein paar seltsame Festverläufe entgegen. Jörg Abderhalden 1998 in Bern und Arnold Forrer 2001 in Nyon landeten jeweils im ersten Gang platt auf dem Rücken – und wurden am Schluss dennoch als Schwingerkönige gefeiert. Abderhalden wurde in Bern vom starken Schwyzer Heinz Suter gebodigt, Forrer in Nyon vom Muttenzer Rolf Klarer, wie Suter ein Turnerschwinger. Die Nordostschweizer waren aber seinerzeit als Mannschaft dermassen stark, dass zuletzt wieder die eigenen Leute vorne waren. Heinz Suter, an beiden Festen als Königsanwärter gestartet, wurde in Bern von Christian Vogel und Beat Abderhalden zurückgebunden, nach einem sehr guten Start in Nyon im vierten Gang von Stefan Fausch. Wie Fausch selber darf Heinz Suter heute den stärksten Schwingern zugerechnet werden, die nie Könige wurden. Zu ihnen zählten etwas früher auch Eugen Hasler und Niklaus Gasser.
Die Abläufe der grossen Schwingfeste sind heute derart unberechenbar, dass jederzeit alles möglich ist. Ein Champion kann alle Gegner besiegen, er kann jedoch auch nach einem verlorenen ersten Gang auferstehen. Die Frage, ob die acht Siege der Könige Wenger und Sempach ein Zufall waren oder einen Trend markieren, kann wohl nicht schlüssig beantwortet werden. sda