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Der Ministerpräsident

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Gastkolumne

Der Ministerpräsident

Autor: Sus Heiniger

Vor einigen Wochen habe ich jemanden kennengelernt. Europaweit drohte eine Gefahr. Die Gefahr des Hassausbruchs, die Gefahr der Verzweiflung. An einem ganz normalen Morgen, in idyllischer Kaffeegesellschaft, wars mir, als würde ich einen Menschen kennenlernen, nur indem ich Zeitung las.

Mir schien, als könnte ich ihn am Nebentisch sehen und hören. Momentelang war ich total ergriffen, enorm erfreut … nein, eigentlich wie vom Donner gerührt. Ein neuer Freund! Ein interessanter Gesprächspartner, keine Frage. Zugänglich, mit grundlegenden, lebenswichtigen Menschenfragen beschäftigt, unhysterisch klar, mitfühlend, intelligent. Ein Foto, neben dem Zeitungsartikel, verstärkte die Wirkung des Geschriebenen. Ich blickte lange gebannt darauf. Ein Mann in Anzug, mit offenem, ergriffenem Gesichtsausdruck, umarmt eine weinende Frau.

Ungläubig las ich den Artikel ein zweites Mal. Es war der Bericht über einen Politiker, der in seinem Land eine grauenvolle Krise zu bewältigen hatte. Der Bericht über die Handlungen eines Politikers, der die übliche Karriere durchlief, wie massenweise andere auch: Partei, Familie, Fitness … nichts auffällig Besonderes.

Jens Stoltenberg, der norwegische Ministerpräsident, hatte in seinem Land über Gut und Böse geredet, aber vor allem hat er vor dem Reden auch geschwiegen, weil er nachdenken musste. Ich las, dass Jens Stoltenberg als Mensch immer etwas distanziert wirke, obwohl er eigentlich Journalisten wie Bürgern gleichermassen offen begegne, und ich las, was er an diesem Sommertag zu den Norwegern gesagt hatte. Eigentlich fast ein Gemeinplatz? Er hatte von Menschlichkeit, Zusammenhalt, Offenheit, Demokratie gesprochen … viele Politiker tun das.

Nachdem in jenen Tagen Norwegen von einem furchtbaren Geschehnis auf der Insel Utoya aus einer Ferienstimmung herausgerissen worden war – wir alle konnten vieles und Detailliertes darüber aus den Medien erfahren – war es Jens Stoltenberg, der Ministerpräsident, der die Norweger als geeinte Nation zusammenführen sollte. Was konnte man Menschen sagen, die eben ihr Kind, ihre Freunde, durch eines Mitbürgers Bluttat auf eine grauenvolle Weise verloren hatten? Jens Stoltenberg hatte es gesagt. Es stand in der Zeitung, die ich las. Sprach da plötzlich ein Freund der Bürger, ein Menschenfreund aus einem sachlichen Politiker?

Da redete einer, der als Reaktion auf Hass nicht zu Rache und noch mehr Hass aufrief, der nicht nach sofortiger, noch härterer Gewaltanwendung schrie. Einer, der den Norwegern in sichtbar echtem Mitgefühl erst Ruhe und gemeinsame Trauerarbeit fast verordnete, um sie zu trösten, um sie zu einen und zu beruhigen. Er tröstete Leute in den Strassen, weinte mit ihnen und rief erst recht zu mehr Demokratie auf. Sein Widerstand gegen eine Anballung des Schlechten war der Aufruf, sich zu stärken, indem auf Hasstaten Humanität und keine Gewalt folgen sollte. Nicht Gewalt mit Gewalt zu tilgen, riet er Jugendlichen, die fragten, was sie nun tun sollten.

Dass ich an jenem Morgen so vom Donner gerührt über meiner Kaffeetasse sass, war vorerst ein einziges ungläubiges Staunen darüber, dass da eine andere Art der Führungskraft aus einem Politiker sprach. Eine Kraft, die auch auf Fotos echt und menschennah erschien. Den von vielen Erdenbürgern gewünschten, eigentlich fast banal erscheinenden Wunsch, Hass und Bluttat nicht mit Gleichem zu beantworten, hat eine Führungspersönlichkeit plötzlich erfüllt. Was für eine Hoffnung und ehrliche Lebendigkeit tat sich da auf, in einer politisch erstarrt kalkulierten, kalten, verletzten Welt. Bei allem Schrecken war ich sehr berührt, von einem Politiker zu lesen, der in der Zeit des Hasses seine Menschlichkeit als Richtlinie der Führung nimmt.

Zugleich war ich überrascht, dass mir dies so einmalig, so exotisch schien.

Sus Heiniger ist Kunstmalerin und lebt in Murten. Als Kulturschaffende ist sie in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet.

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