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Der Neandertaler in mir

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Diese Woche unterrichte ich an einem Kurs in Weggis. Der Weg dorthin führt mich von Luzern mit dem Schiff quer über den Vierwaldstättersee, dem in dieser Jahreszeit kalten und oft stürmischen Herzen der Schweiz. Dank moderner Technik erreiche ich mein Ziel jedoch deutlich weniger abenteuerlich, als dies ein lokal verehrter Wilhelm in der Vergangenheit angeblich zu tun pflegte.

Während ich nun also an Bord der geheizten MS Waldstätter am verbauten Ufer des Vierwaldstättersees entlanggleite, erinnere ich mich spontan an eine skurrile Begegnung vom letzten November. Damals reiste ich mit meinem malaysischen Studenten im Zug von Zürich zurück nach Freiburg. Wir waren gerade in ein Gespräch über seine aktuelle Forschung vertieft, als sich im Niemandsland kurz nach Düdingen ein Mittvierziger im Vorbeigehen laut darüber beschwerte, dass wir uns in Englisch unterhielten. «Scheiss-Ausländer, könnt ihr euch nicht an lokale Gepflogenheiten anpassen und Deutsch reden?», grollte er.

Ich hätte ihn gerne in meinem breitesten Berndeutsch darauf hingewiesen, dass unser Zug eben gerade den Röschtigraben überquerte und wir vielleicht französisch sprechen sollten? Dazu war ich jedoch zu verdutzt: nicht nur war die Hautfarbe des Unruhestifters eine Spur dunkler als die meines malaysischen Begleiters, auch sein grammatikalisch perfektes Deutsch wurde von einer unverkennbaren südländischen Wärme beseelt. Das schien seiner artikuliert nationalistischen Gesinnung aber nichts anzuhaben. Jetzt, da mein Blick über das starre Heer von Fahnenstangen huscht, frage ich mich, wie er sich wohl mit den Flagge bekennenden Zentralschweizer Seesichtbesitzern verstehen würde.

Auch im Zeitalter der globaltätigen Digitalnomaden verbinden viele eine nationale Zugehörigkeit mit angestammter Herkunft. Aber Herkunft ist eine schwammige Angelegenheit. Wie die meisten Menschen habe ich zwei Eltern, vier Grosseltern, acht Urgrosseltern und bereits 16  Ur-Urgrosseltern. Bei einer durchschnittlichen Generationszeit von rund dreissig Jahren würden also fast 17 Millionen Zeitgenossen des oben erwähnten Wilhelms zu meinen direkten Vorfahren gehören. Das ist vielleicht etwas übertrieben, da ja auch etliche meiner Vorfahren untereinander verwandt waren. Hätte meine Grossmutter zum Beispiel ihren Bruder geheiratet, so hätte ich nur sechs Urgrosseltern. Dennoch war die Zahl meiner direkten Vorfahren in jeder vergangenen Zeit enorm gross. Wie viele davon lebten wohl im Territorium der heutigen Schweiz?

Jede Stelle in meinem Genom (Erbgut) hat seine eigene Geschichte. Die Hälfte des Genoms habe ich von meiner Mutter geerbt, davon wieder rund die Hälfte von ihrem Vater. Die Abstammungslinie von rund einem Achtel verläuft über meinen Urgrossvater aus Deutschland und ein Siebzehnmillionstel durch jeden meiner Vorfahren um 1291. Eine Herkunftsangabe ergibt also nur einen Sinn, wenn wir uns auf eine bestimmte Zeit beziehen. Beide meiner Eltern wuchsen im Kanton Bern auf, und ich kann daher mit Stolz auf mein 100  Prozent bernisches Genom verweisen.

Um mich meinen guten Freund aus Berlin anzubiedern, beziehe ich mich dann einfach auf die Zeit meiner Urgrosseltern, denn damit bin ich zu 12,5 Prozent deutsch (oder wohl korrekterweise preussisch).

Richtig spannend wird es, wenn wir deutlich weiter in die Vergangenheit zurückblicken. Mit Hilfe aus Fossilien gewonnener DNA lässt sich berechnen, welcher Anteil unseres Genoms auf verschiedene ehemalige Gruppen zurückgeht. So wissen wir heute zum Beispiel, dass rund 1 Prozent des Genoms der Europäer von grimmigen Neandertalern abstammt. Damit lassen sich alle meine negativen Charakterzüge aufs Vornehmlichste erklären.

Meine Forschungsgruppe arbeitet aktuell an Fossilen aus der Zeit der wohl grössten kulturellen Revolution Europas, der Ausbreitung der Landwirtschaft, die vor rund 8000 Jahren das Gebiet der heutigen Schweiz erreichte. Diese neue, sesshafte Lebensweise wurde von Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa gebracht und verbreitet. Eine zweite Masseneinwanderung aus der östlichen Steppe vor rund 4500 Jahren brachte wahrscheinlich den Vorläufer der germanischen Sprachen nach Europa. Nur noch rund 20 Prozent des Genoms heutiger Europäer gehen auf die ursprünglichen Jäger und Sammler zurück. Oder anders gesagt: 80 Prozent meiner direkten Vorfahren aus dieser Zeit waren Einwanderer aus dem Nahen Osten oder der Steppe.

Interessant dabei ist auch, dass die helle Hautfarbe erst von eben diesen Einwanderern nach Europa gebracht wurde. Die Hautfarbe meiner ureuropäischen, Mammute erlegenden Vorfahren war derjenigen des zugfahrenden Patrioten erstaunlich ähnlich. Wer weiss, wie viel Ureuropäer in ihm steckt?

Daniel Wegmann ist Professor für Bioinformatik an der Universität Freiburg und entwickelt statistische Verfahren, um evolutive und ökologische Prozesse aufgrund grosser Datensätze zu beschreiben. Er hat in Bern und in den USA studiert und ist Mitglied einer FN-Autoren-Gruppe, die regelmässig naturwissenschaftliche Themen bearbeitet.

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