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Der Prophylaktiker

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Gastkolumne

Wenn ich der medizinischen Wissenschaft etwas von meinem Gewebe schenke und von meinem Blut, erhalte ich von ihr auch ein Geschenk, habe ich gelesen. Mein ganzes «Ich»-Programm könnten die Forscher aus meinen Genen lesen. Eine fast unglaubliche Tatsache. Ich erhielte von ihnen also gratis einen Erwartungskatalog, worin meine Zukunft ablesbar wäre. Das heisst, beschränkt auf Erbkrankheiten, auf mögliche, zukünftige Leiden. Was ich damit anfangen würde, was meine Seele dazu sagen, fühlen würde, wär meine Sache. Da hätte man das Geschenk.

 

 Die Wissenschaft kippt ihre Neuerkenntnisse so auf die Menschheit. Es leuchtet mir ein, dass Forscher ihre Erkenntnisse erproben wollen. Meine Bewunderung für das Forscher-Gen des Menschen wandelt sich bei diesem Gedanken aber auch in Furcht. Den (schweren) Weg der Erkenntnis, dass niemand das ewige Leben erlangen kann, sind schon viele gegangen. Von Gilgamesch zum chinesischen Kaiser Qin bis zu Elias Canetti. Wer weiss, wie viele noch? Zu was würde man die Gedanken lenken im katalogisierten Wissen auf prozentual bestimmbare, eintreffende Leiden? Hätte man die Grösse, seine Lebenszeit ruhig weiterzugestalten? Wenn Wissen Macht ist, was macht diese Macht? Ich denke, dies Wissen ist nicht das richtige Wissen zur Lebenseinstellung. Womit füllen wir unser Leben? Wer sagt wem und wie, dass es aktiv gefüllt werden soll?

 

 Fülle es mit Wasser, dem Wissen des ewig Bewegten, und du wirst gewiegt. Fülle es mit Sonne, und die Erde wird aufspringen, ihr Geheimnis preiszugeben. Fülle es mit Wind, und die leichte Gelassenheit wird in dir gross werden.

 

 Dem Gefühl, uns entscheiden zu müssen, entspringt die Angst, etwas zu verpassen im grossen Lebensgestaltungsangebot. Also wäre es hilfreich, den medizinischen Zustand seiner Selbst als Tabelle fürs Leben in Händen zu halten. Das Sein auf Erden vorberechnet, wie eine Reise? Wer ist so cool? Solange jemand, ausserhalb stehend, den Garten der wissenschaftlichen Erkenntnis nur betrachten kann, ist er frei in Gedanken und vielleicht Bewunderung. Wer ist so cool, seine Zukunft als Krankheitsplan in sein Leben einzubeziehen?

 

 Als ich Litzi kennenlernte, wars ein heisser, schwer windiger Tag in Schanghai. Sie hatte die Flugreise aus Paris hinter sich. Klein und zierlich trat sie auf die Dachterrasse, ein Strahlen stand auf ihrem Gesicht. Sie war die älteste Geladene ihres Freundes, 93 Jahre zähle sie, sagten die, die sie kannten. Ich betrachtete sie in ihrer Gelassenheit und Präsenz, und ich war daran, sie zu bewundern, als sie vom Stuhl fiel, der auf unebenen Bodenplatten gestanden hatte. Als sie wieder stand, sagte sie lächelnd: «Kein Problem.» Seither ist sie einige Male wieder gefallen, sie, die Zierliche, Lebenskräftige, von unebenem Erdenboden manchmal nicht Verschonte, und stets wieder aufgestanden: «Ach ja, das gehört zum Leben. Es müsste mehr Handgriffe geben, woran man sich festhalten kann.»

 

 Litzi ist auch meine Freundin geworden. Sie ist mir bekannt und sehr lieb, ich bewundere bis heute, wie sie ihr Leben führt. Sag mir eines, fragte sie mich jedoch vor kurzer Zeit, ist das ein Leben, wenn man nicht mehr alleine auf die Strasse hinabsteigen kann? Litzi wohnt im vierten Stock, ohne Lift, seit jeher. Ist das ein Leben? Ich wusste keine Antwort, die mir zumutbar schien. Ich merkte, wie ich nach einem geistigen Handgriff suchte, an dem man sich festhalten kann.

Das Tüpfelchen auf dem i schenkt uns die Wissenschaft. Wir könnten zu Prophylaktikern werden. Uns so planen, dass das Leben sozusagen absehbar wird. Sicher ist, dass wir uns verändern, während der ganzen Menschengeschichte. Wohl auch so weit, dass wir Seele und Körper mit neuem Wissen neu beleben. So ein Genkatalog ist ja wohl das Allerpersönlichste, wissenschaftlich gesehen. Die Fixierung darauf wäre sicher ein Irrglaube, da wir als ganze Persönlichkeit nicht in einzelnen Genen hängen. Doch vielleicht würden wir mit einer so enormen Neuinformation lernen, Autonomie und Urvertrauen als das Stärkste zu fühlen. Unsere Verwundbarkeit als solche zu akzeptieren und somit die des anderen auch. Kämen wir dem Verborgenen und Geheimnisvollen, das wir immer suchen, näher, um nicht zu fragen, ist das ein Leben?

 

 Es bleibt uns nichts übrig, als die Frage zu leben, dann gehen wir vielleicht auf eine Antwort zu.

Sus Heiniger ist Kunstmalerin und lebt in Murten. Als Kulturschaffende ist sie in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet.

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