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«Der Videobeweis taugt nur bedingt»

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Autor: michel spicher

Haben Sie sich als aktiver Schiedsrichter auch einmal einen gravierenden Fehlentscheid geleistet?

Im Super-League-Derby zwischen Thun und YB fiel ich in der 70. Minute auf eine Schwalbe von Gürkan Sermeter herein und pfiff einen Penalty. Prompt verlor Thun 0:1 und im «Blick» war tags darauf in riesigen Schlagzeilen von meinem Fehlentscheid zu lesen.

Den zweiten groben Fehlentscheid habe ich mal im Spiel St. Gallen – Basel gemacht. Da annulierte ich zwei Basler Treffer, so dass es am Ende 2:2 stand. Als ich dann nachträglich im Fernsehen die beiden Szenen gesehen habe, konnte ich nicht mehr nachvollziehen, warum ich die beiden Tore aberkannt hatte. Auf dem Platz war ich mir jedoch hundertprotzentig sicher gewesen, dass die beiden Tore ungültig waren, und ich wäre jede Wette eingegangen, dass ich richtig entschieden hatte.

Wären Ihre beiden Fehlentscheide irgendwie vermeidbar gewesen?

Es gäbe einige Situationen, so wie zum Beispiel der Penaltypfiff bei Sermeter, in denen man mit Hilfe einer Videokonsultation einen Fehlentscheid rückgängig machen könnte. Doch dafür müsste das Reglement angepasst und ein Videobeweis offiziell zugelassen werden.

Nach den teils krassen Fehlentscheiden der WM-Schiris werden die Stimmen immer lauter, die eben diesen Video-beweis verlangen.

Eine Regeländerung – und das wäre das Zulassen des Videobeweises – sollte aber für alle gelten, für den WM-Final bis zu den C-Junioren. Das ist aber nicht realisierbar. Man müsste den Videobeweis auf EM- und WM-Turniere und die oberste nationale Spielklasse beschränken.

Dann müsste man die Frage beantworten, welche Fernsehbilder der Unparteiische überhaupt konsultieren darf. Es kann nicht sein, dass er in einem Duell zwischen Basel und Zürich die Bilder von 15 verschiedenen Fernsehkameras anschauen kann, während bei einem weniger interessanten Spiel wie zum Beispiel Lugano – Aarau nur fünf Kameras das Geschehen festhalten. Da muss man gleiche Voraussetzungen für alle schaffen.

So wie im Eishockey, wo es überall eine Hintertorkamera hat und der Schiedsrichter einzig diese Bilder zur Hilfe nehmen darf?

Genau. Warum nicht auch im Fussball eine Hintertorkamera einführen, die das Geschehen im Strafraum filmt? Damit liessen sich in Zukunft offensichtliche Fehl-entscheide wie das gegebene Abseitstor von Argentiniens Carlos Tevez gegen Mexiko oder der nicht anerkannte Treffer von Frank Lampard im Spiel gegen Deutschland vermeiden. Solche Fehler sind einfach nicht nachvollziehbar und dürfen nicht mehr passieren.

Liessen sich falsche Abseits-Entscheidungen mit zusätzlichen Kameras an der Seitenlinie vermeiden?

Nein, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist es nicht möglich, ein wirklich genaues Bild einer Abseitsstellung zu erhalten. Denn dazu müsste die Kamera immer genau auf der richtigen Höhe stehen, auf einer Linie rechtwinklig zum Spielfeld. Schon bei einer kleinen Abweichung wird das Bild verzerrt und erlaubt keine präzise Aussage mehr.

Und zweitens: Zu welchem Zeitpunkt darf ich als Schiedsrichter das Spiel unterbrechen, um eine strittige Szene auf dem Monitor zu betrachten? Wenn ich sofort abpfeife, nehme ich dem Angreifer seine Chance, pfeife ich etwas später ab, raube ich dem anderen Team vielleicht eine Konterchance, und so weiter. Die einzelnen Aktionen in einem Fussballspiel sind so eng miteinander verkettet, da kann ich als Schiedsrichter nicht einfach das Spiel unterbrechen, ohne den einen oder anderen zu benachteiligen.

Darum: Der Videobeweis taugt nur bedingt – bei strittigen Strafraumszenen, nicht aber, um das Abseits zu kontrollieren.

Trotzdem sträubt sich die Fifa gegen die Einführung des Videobeweises. Warum?

Aus dem gleichen Grund, aus dem man nicht schon lange die geforderten Profi-Schiedsrichter engagiert hat: Es kostet Geld. Geld, das vor allem die Landesverbände und die einzelnen Vereine nicht bezahlen wollen.

Für viel Ärger sorgten auch die rote Karte gegen Valon Behrami und das entscheidende Tor im Spiel der Schweiz gegen Chile …

Der Treffer der Chilenen war regulär, definitv kein Abseits. Auch der Entscheid des saudi-arabischen Schiedsrichters, Behrami vom Platz zu stellen, war nicht ganz falsch. Behramis Hände und Arme waren im Zweikampf zu hoch oben und haben auch nach hinten ausgeschlagen. Ein harter, aber vertretbarer Platzverweis.

Trotzdem gab es Kritik an der Fifa, weil sie an einem so wichtigen Turnier wie der WM ungeübte Schiedsrichter aus Fussball-Entwicklungsländern einsetzt. Zu Recht?

Schiedsrichter müssen sich genau so wie die Nationalmannschaften für eine Weltmeisterschaft qualifizieren. Pro Weltzone qualifiziert sich nicht nur eine bestimmte Anzahl Teams, sondern auch eine prozentual festgelegte Anzahl Schiedsrichter. Es besteht aber ein riesiger Unterschied, ob man in Europa oder in Katar pfeift. Ich war selbst in Katar, da entspricht das höchste Niveau ungefähr unserem 1.-Liga-Niveau. Es verwundert also nicht, wenn diese Spielleiter an einer WM überfordert sind.

Allein in der Schweiz hätte es sicher drei bessere Schiris gehabt als jene, die in Südafrika auf dem Feld standen. Warum die Fifa nicht die besten der Welt an die WM mitnimmt, kann ich nicht verstehen.

Bei Behramis Platzverweis fiel der chilenische Spieler mit einer theatralischen Einlage auf, auch der Brasilianer Kaka wurde im Spiel gegen die Elfenbeinküste Opfer eines afrikanischen Schauspielers. Ärgert Sie es, wenn Spieler so versuchen, Schiedsrichter zu betrügen? Oder gehört das einfach zum Fussball dazu?

Das sollte eigentlich nicht dazugehören. In den letzten elf Jahren hat sich das leider enorm gesteigert. Die Spieler schauspielern, provozieren und versuchen, den Schiri zu linken, wo immer es geht. Je mehr Geld im Spiel ist, desto unsportlicher geht es zu.

Man kann auch hier wieder den Videobeweis fordern und jede strittige Szene auf dem Monitor betrachten. Dann dauert ein Spiel aber plötzlich zweieinhalb Stunden. Viel mehr sollte man den umgekehrten Weg gehen: Eine Strafkommission schaut sich die Spiele nachträglich nochmals im TV an und bestraft jene, die durch unfaires Auftreten aufgefallen sind, mit einer Spielsperre. Ich bin überzeugt, dass solche theatralischen Einlagen sofort aufhören würden.

Fifa-Präsident Joseph Blatter kündigte an, dass das zuständige International Football Association Board (IFAB) im Oktober die Regeldebatte aufnehmen werde. Womit darf man rechnen?

Sepp Blatter hat in den letzten zwei Wochen angekündigt, dass er etwas machen will. Ich glaube aber, dass seine Aussage in erster Linie politischer Natur war, um die grossen Clubs in den wichtigen Ländern zu besänftigen und so seine Chancen auf eine Wiederwahl zu steigern.

Die Fifa wird nach den ganzen Diskussionen etwas machen müssen, Bahnbrechendes sollte man allerdings nicht erwarten. Denn die IFAB, die die Regeländerungen beschliesst, besteht aus 80-jährigen Engländern, und deren Enthusiasmus, Neuerungen einzufühen, hält sich in Grenzen.

Wahrscheinlich wird der Chip im Ball kommen, damit man in Zukunft genau weiss, ob der Ball die Torlinie überquert hat. Dann wird Blatter wohl bekannt geben, dass zukünftig nur noch die besten Schiedsrichter der Welt an eine WM fahren dürfen. Damit hat es sich dann aber.

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