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Die «Bestseller» des Mittelalters

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Der Freiburger Germanist Stefan Matter untersucht derzeit mit einem fünfköpfigen Team deutsche Gebetbücher aus dem Mittelalter. Dabei wirken die beiden Doktorandinnen Nina Fahr und Tabea Bach, die Unterassistentinnen Daria Lanz und Chantal Zbinden sowie das Informatiker-Team text & bytes von Rafael Schwemmer mit.

Das vierjährige Projekt, welches diesen Sommer begonnen hat, wird vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt. Im Gespräch mit den FN umreisst Matter die Dimensionen und die Relevanz dieses aussergewöhnlichen Forschungsprojekts.

Wie viele deutschsprachige Gebetbücher und entsprechende Texte gibt es im Ganzen?

SO genau weiss das derzeit noch niemand. Wir sprechen aber sicher von mehreren 1000 Handschriften. Jede von diesen umfasst 100 bis 200 Texte, so dass wir hochgerechnet von bis zu einer Million Texten ausgehen können. Häufig handelt es sich dabei aber um sehr kurze, nur ein bis zwei Seiten lange Texte, die sich inhaltlich zudem oft überschneiden, da sie teils über Hunderte von Jahren immer wieder reproduziert wurden. Daneben stehen aber auch ein paar sehr beliebte Texte, die in kaum einem Gebetbuch fehlen durften.

Sind es ursprünglich noch viel mehr Texte gewesen?

Genau. Erhalten geblieben ist nur ein Bruchteil des ursprünglichen Bestandes. Handschriften wurden ja nicht technisch reproduziert, sondern von Hand abgeschrieben, benutzt und über Generationen immer wieder weitergegeben und reproduziert.

Wie werden Sie von den Informatikern unterstützt?

Sie programmieren eine Datenbank, was uns die Möglichkeit gibt, diese Texte überhaupt zum ersten Mal systematisch zu erfassen. Natürlich wird aber auch unsere Sammlung niemals vollständig sein können.

Sie sind persönlich nicht Theologe.

Nein. Ich bin Germanist und Mediävist und habe auch bei den Anstellungsgesprächen für dieses Projekt nicht auf die Konfession geachtet. Wir haben ein literaturwissenschaftliches Interesse an diesen Texten und unsere Fragestellungen aus dieser Perspektive heraus entwickelt. Die Überschneidungen zur Theologie sind allerdings gross, und wir holen uns auch Rat bei theologischen Fachkollegen. Diese Texte dürften Theologen sicher auch interessieren. Denn es geht in ihnen um den gelebten Glauben ihrer Benutzer, die sie täglich in die Hand nahmen, um ihre Gebete zu sprechen.

Welche Fragestellungen stehen bei Ihrer Arbeit im Zentrum?

Wie funktionierte dieser Literaturbetrieb? Wie und von wem wurden solche Handschriften hergestellt? Wer sorgte für die Verbreitung dieser Texte? Und wer gehörte zum Rezipientenkreis?

Woher stammen Ihre Quellen?

In Freiburg findet sich nichts Einschlägiges. Denn die hiesige Universität ist vergleichsweise jung, und ihre Bibliothek wurde wie sie erst im 19.  Jahrhundert gegründet. Unsere Quellen befinden sich in grösseren Bibliotheken. Basel hat hervorragende Bestände, welche teils von der ehemaligen Karthause stammen. Aber auch Bibliotheken wie St. Gallen oder Einsiedeln sind für unsere Arbeit sehr ergiebig, ebenso wie die Bibliothek des Aargauischen Klosters Hermetschwil mit ihrem wunderschönen kleinen Handschriften-Bestand.

Suchen Sie auch im Ausland?

Ja. Wichtig für unsere Arbeit sind dabei etwa die grossen Bibliotheken in Karlsruhe, München oder Wien, in deren Bestände auch viele ehemalige Klosterbibliotheken Eingang fanden. Die meisten Texte befinden sich aber schon im deutschsprachigen Raum. Daneben finden sich deutsche Gebetbücher zwar auch vereinzelt in Paris, England oder Amerika. Hier würde ich aber eher von einer Streu-Überlieferung sprechen.

Ist die Autorschaft dieser Texte überhaupt immer eruierbar?

Im Gegenteil. Bei den meisten Texten kennen wir die Autoren nicht – zumal sie sich oft bei einer lateinischen Vorlage bedient hatten. Es scheint sich an diesen Texten sehr exemplarisch zu zeigen, dass Schreiben im Mittelalter ein stetiges Arbeiten am Textmaterial darstellte. Selbst die wiederkehrenden Texte haben eine sehr unfeste Form.

Aus welcher Zeit stammen die untersuchten Texte?

Zum überwiegenden Teil aus dem späteren Mittelalter. Die Frühesten stammen aus dem späten 12. und frühen 13. Jahrhundert. Handschriften mit volkssprachigen Texten bleiben aber recht lange eine Ausnahme. Ab dem 14. Jahrhundert nimmt die Produktion dann Fahrt auf, um ab dem 15.  Jahrhundert regelrecht zu explodieren. Aus dieser Zeit haben wir eine grosse Menge an handgeschriebenen Gebetbüchern; dazu treten dann auch Drucke.

Wer waren die Rezipienten?

Man muss davon ausgehen, dass die Leute, die lesen konnten, auch einen Zugang zu diesen Texten hatten. In der Regel war das Gebetbuch für das einfache Volk sogar das einzige Buch, das eine Familie überhaupt besass – und mit dem die Kinder auch lesen und schreiben lernten. Historisch gesehen sind diese Gebetbücher wegen ihrer weiten Verbreitung also sehr wichtig.

Wieso wurden sie dann von der Literaturwissenschaft bislang so stiefmütterlich behandelt?

Die Texte scheinen häufig etwas gleichförmig zu sein. Es hängt aber auch mit der Entstehungsgeschichte der Literaturwissenschaft als Disziplin zusammen. Diese fällt in ihren Ursprüngen nämlich in das 18.  und 19. Jahrhundert, die Zeit des Autor- und Geniekults.

«Wir können hochgerechnet von bis zu einer Million Texten ausgehen.»

Stefan Matter

Germanist und Mediävist

«Diese Texte dürften Theologen sicher auch interessieren.»

Stefan Matter

Germanist und Mediävist

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