Fremde Kulturen hätten sie schon als junge Frau sehr fasziniert, sagt Nelly Lindemann: «Berührungsängste habe ich nie gekannt.» Als die Gemeinde Düdingen 2013–im Zusammenhang mit der Eröffnung der Flüchtlingsunterkunft im Leimacker–nach Personen für eine Begleitgruppe suchte, sei für sie deshalb rasch klar gewesen, dass sie sich auf den Aufruf melden werde. «Auch meine drei Söhne meinten sofort: ‹Mutter, das wäre doch was für dich.›» Die Söhne sollten recht behalten: Heute steht die pensionierte Düdingerin im dritten Jahr ihres Engagements innerhalb der 15-köpfigen Begleitgruppe des Asylzentrums Düdingen und hat ihre Entscheidung seither nie bereut.
Schöne und traurige Tage
Was die Asylbewerber im obligatorischen Deutschunterricht lernen, können sie bei den regelmässigen Besuchen von Nelly Lindemann vertiefen. Die Teilnahme an den Besuchen stehe «ihren Jungs», wie die Düdingerin die Männer aus Eritrea, Afghanistan und Nepal liebevoll nennt, offen. «Wir machen Schreibübungen, lesen und sprechen zusammen.» Dabei würden nicht nur schulische Themen besprochen. «Ich erzähle aus meinem Leben, und sie erzählen mir aus ihrem.» Ab und an mache sie mit den Flüchtlingen einen gemeinsamen Ausflug oder organisiere ein Lotto im Zentrum, erklärt Nelly Lindemann ihren vielfältigen Aufgabenbereich. Die Begleitgruppe versuche, den Männern in der Unterkunft eine Tagesstruktur zu geben. Dabei gehe es häufig ganz lustig zu und her: «Wir lachen viel miteinander.»Aber auch traurige Momente erlebt Nelly Lindemann hautnah mit. Wenn ein Asylbewerber einen negativen Bescheid aus der Heimat oder von den Behörden erhalte, sei die Stimmung meist sehr ruhig und bedrückt in der Zivilschutzanlage: «Diese Momente gehören zum Leben in der Asylunterkunft leider mit dazu.»
Für viele Asylbewerber ist Nelly Lindemann zur wichtigen Bezugsperson geworden. Von einigen Flüchtlingen höre sie auch dann noch, wenn diese die Unterkunft in Düdingen bereits verlassen hätten. So habe ihr vor kurzem ein ehemaliger Bewohner stolz davon erzählt, wie er eine Lehrstelle fand–was sie ganz besonders freute. «Ich versuche immer mein Möglichstes», sagt die Düdingerin auf die Frage, ob sie in ihrer Tätigkeit auch schon an Grenzen gestossen sei. «Manchmal fragen die Männer, ob ich ihnen helfen kann, eine Arbeit oder eine Wohnung zu finden.» Da könne sie häufig nicht weiterhelfen: «Das tut zwar weh. Aber die Flüchtlinge verstehen auch, dass auch ich ihnen nicht überall helfen kann.»
Grosszügig und offen
Für ihr Engagement erhalten die Mitglieder der Begleitgruppe keinen Lohn. Wenn sie mit den Flüchtlingen einen Ausflug unternehmen oder ein Spiel organisieren wollen, müssen sie das hierfür benötigte Geld gemeinsam mit den Asylbewerbern verdienen oder sind auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen. «Die Düdinger sind sehr grosszügig», lobt Nelly Lindemann und berichtet davon, wie sie nicht nur von Gewerbetreibenden und Institutionen materielle und finanzielle Unterstützung erhalte, sondern auch von vielen Privaten. «An der 1.-August-Feier hat uns spontan jemand Getränke und Pommes frites offeriert», sagt die Düdingerin.
«Die meisten Leute sind sehr offen gegenüber den Flüchtlingen.» Sie könne aber auch verstehen, wenn jemand zunächst Vorbehalte habe. «Manchmal kann uns das Fremde Angst machen. Diese Ängste lassen sich am besten im direkten Kontakt mit den Asylsuchenden aus der Welt schaffen.»
Das Zusammenleben mit Asylsuchenden ist auch im Kanton Freiburg ein omnipräsentes Thema. In einerSommerserieberichten die FN über Asylsuchende, deren Tätigkeiten sowie über Personen, die mit Asylsuchenden arbeiten.