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Die Mutter aller Fragen ist seit dem 9. Februar ohne Antwort

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Wie haben Sie den 9. Februar 2014 in Erinnerung?

Ich war mit den Kindern am Skifahren–es war übrigens ein herrlich sonniger Tag–und habe das Abstimmungsresultat am Radio während der Rückfahrt nach Freiburg vernommen. Dann folgten natürlich einige Telefongespräche mit dem Departement und mit Kollegen, auch mit meinem damaligen Ansprechpartner in Brüssel, David O’Sullivan, der sich bei mir erkundigen wollte.

 

 Wie nahmen Sie damals das Ja des Stimmvolks zur Masseneinwanderungsinitiative auf?

Ich war erstaunt. Ich hatte es nicht erwartet, wie so viele andere auch nicht. Das hat die ganze Situation grundsätzlich geändert. Vor dem 9. Februar hatten wir unsere bilateralen Verträge sowie die Möglichkeit, den bilateralen Weg fortzuführen und noch auf neue Gebiete auszuweiten. Mit diesem 9. Februar ist die Personenfreizügigkeit zur Mutter aller Fragen geworden. Alles andere ist in den Hintergrund getreten. Die Personenfreizügigkeit steht im Zentrum, und solange diese Frage nicht gelöst ist, stellen sich die anderen gar nicht mehr. Nicht nur die Zukunft des bilateralen Wegs, sondern auch der bestehende Weg hängt davon ab.

 

 Vor einer Woche war Bundesrätin Sommaruga in Brüssel bei EU-Kommissionspräsident Juncker. Resultat: Man will Konsultationen durchführen. Was heisst «Konsultationen» übersetzt aus der Diplomatensprache?

Das heisst, dass man bereit ist, miteinander zu sprechen.

 Konsultationen sind aber nicht Verhandlungen?

Nein, das sind sie nicht.

 

 Was wäre denn ein Schritt von Konsultationen zu Verhandlungen?

Für eine Verhandlung bräuchte es ein Mandat, wie es nun beim Bundesrat im Entwurf vorliegt. Und es bräuchte auf der anderen Seite auch ein Mandat durch die 28 Mitgliedstaaten an die EU-Kommission. Ein solcher Entscheid erfolgt in der Regel einstimmig. Erst wenn dieser Schritt vollzogen wäre, würde man in eine echte Verhandlung zwecks Abänderung des bestehenden Freizügigkeitsabkommens einsteigen.

 

 Sie sind fünffacher Familienvater. Mit wem findet man einfacher Lösungen: mit fünf Kindern oder 28 EU-Staaten?

Mit 28 EU-Staaten. Vor allem wenn die Kinder im Teenageralter sind.

 

 Sommaruga und Juncker teilten letzte Woche mit, man wolle ein Gesprächsklima schaffen, das eine Annäherung der Standpunkte erlaubt. Anders gesagt: Die Standpunkte sind noch die gleichen wie vor einem Jahr.

Die EU hat sich zwei Mal formell zur Schweiz geäus- sert: Das erste Mal mit der Antwort der EU-Aussenbeauftragten Ashton auf einen Brief von Staatssekretär Gattiker. Das zweite Mal mit den sogenannten Schlussfolgerungen des Ministerrats aller 28 Länder vom 16. Dezember. Das ist der formelle Teil; diese Dokumente sind zugänglich. Ansonsten geht es einfach darum, wie man in eine Diskussion einsteigt mit möglichen Annäherungsversuchen.

 Hat man ein Jahr aneinander vorbeigeredet?

Die zwei erwähnten Elemente beschrieben vor allem die Haltung der EU zur Personenfreizügigkeit. Beide Male wurde ihre sehr hohe Wichtigkeit unterstrichen. Daneben gibt es natürlich Diskussionen mit der EU über viele andere Gebiete. Wir haben eine ständige Zusammenarbeit innerhalb der bestehenden Abkommen. Diese läuft weiterhin gut. Es laufen Verhandlungen über zukünftige Abkommen wie Energie und Institutionelles. Wir haben auch eine Übergangslösung gefunden für die Forschung. Klar gibt es manchmal Reibereien. Der Entscheid des Schweizer Stimmvolks hat natürlich atmosphärische Störungen zur Folge gehabt.

 

 Woran arbeitet der Bundes- rat derzeit?

Es sind viele Sachen auf dem Tisch des Bundesrates. Vor allem die Umsetzung der Initiative, der Gesetzesentwurf, auch das Verhandlungsmandat, um das Freizügigkeitsabkommen in Einklang mit der neuen Verfassungsbestimmung zu bringen.

 Die EU hat mit der Ukraine und Griechenland genug zu tun. Wie wichtig ist dagegen ihr Verhältnis zur Schweiz?

Man sagt immer, unsere Hauptpartnerin sei die EU. Das ist falsch. Etwas bes- ser Informierte sagen, es seiDeutschland. Nochmals falsch.Unser erster Partner ist Baden-Württemberg. Gefolgt von der Lombardei, Bayern, Vorarlberg … Direkt betroffen durch die Beziehungen zur Schweiz sind die vier Nachbarländer. Für die anderen ist die Beziehung zur Schweiz viel weniger wichtig und viel theoretischer. Sicher: Die Abstimmung vom 9. Februar wurde in der ganzen EU wahrgenommen, aber meistens durch die Brille der eigenen innen- oder aussenpolitischen Agenda. Es ist ei- ne unserer Hauptarbeiten im EDA, ständig auf die Bedeutung der Beziehungen der EU zur Schweiz hinzuweisen.

 Für die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative beträgt die Frist drei Jahre. Ein Jahr ist schon vergangen. Kann der Zeitplan eingehalten werden?

Das Ziel bleibt die Umsetzung innerhalb dieser drei Jahre. Dafür hat der Bundes- rat ziemlich zügig gearbeitet. Schon ein paar Monate nach der Abstimmung stand ein Konzept zur Umsetzung. Daneben gab es auch Konsultationen zum Verhandlungsmandat. Es ist eine grosse Gesetzesänderung. Gegenüber dem üblichen Rhythmus der Gesetzgebung in unserem Land, finde ich, hat der Bundesrat bisher schnell gearbeitet. Andere grosse Gesetzesvorlagen dauern oft länger. Aber der Bundesrat bestimmt nicht den ganzen Zeitplan selber. Sobald es auf dem Tisch des Parlaments ist, ist es dessen Sache.

 Eine kürzlich erhobene Umfrage besagt, die Mehrheit der Bevölkerung will lieber bilaterale Verträge als Personenkontingente?

Ich nehme davon Kenntnis. Aber die einzige Umfrage, die massgeblich ist, ist der Ausgang einer Volksabstimmung.

 

 Hat die Stimmungslage in der Schweiz für Ihre Arbeit keinen Einfluss?

Doch, ganz gewiss. Aber die wird erst ei- nen Einfluss haben, wenn man mit einer Vorlage kommt.

 

 Auf eine neue Abstimmung zu setzen: Kann das eine Strategie sein?

Diese Möglichkeit wird immer wieder genannt. Aber gehen wir eine Sache nach der andern an. Es wird wahrscheinlich ohnehin zu einer Abstimmungsvorlage kommen, weil gegen das Gesetz, das die Initiative umsetzen soll, das Referendum ergriffen werden kann. So oder so: Am Ende hat in der Schweiz das Volk das letzte Wort.

 

 Sie vertreten einen Volksauftrag, dem Sie offensichtlich mit Unwillen begegnen.

Wie jeder Bürger gehe ich abstimmen, und ich verhehle nicht, dass ich am 9. Februar Nein gestimmt habe. Meine persönliche Meinung ist nach wie vor dieselbe. Aber wenn die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer anders entscheidet, wird dementsprechend gehandelt, ohne jeglichen Unwillen oder andere Seelenzustände.

 

 Sie müssen nun diesen Auftrag des Volkes durchführen …

 Das ist kein Problem. Die Frage ist nicht: Wer hat recht, wer hat unrecht? Die Frage ist: Wer hat das letzte Wort?

 Möchten Sie, dass es den 9. Februar nie gegeben hätte?

Was hinter uns liegt, liegt hinter uns. Die Vergangen- heit ist geschrieben, sie ist nicht zu ändern. Ich sähe Gottéron auch lieber vorne in der Tabelle. Aber die Realität ist anders, und damit muss man leben.

Sie wehren sich dagegen, die Vergangenheit zu verklären.

Das meine ich ganz allgemein. Es ist tatsächlich eine Gefahr, sich nach einer Vergangenheit zu sehnen und auf dieser Sehnsucht zu politisieren. Oft herrscht der Eindruck, früher war alles viel besser. Wie ein verlorenes Paradies. Aber das ist falsch. Wenn es ein Paradies gewesen wäre, wären wir dort geblieben. Es war kein Paradies, und die Vergangenheit kommt nicht zurück. Wir müssen uns mit der Gegenwart auseinandersetzen, und die ist auch nicht so schlecht.

«Die Frage ist nicht: Wer hat recht? Sondern: Wer hat das letzte Wort?»

Yves Rossier

Chefdiplomat

«Wie steigt man in eine Diskussion ein? Welche Annäherungsversuche sind möglich?»

Yves Rossier

Staatssekretär

Yves Rossier: Ein Diplomat im Stil eines Politikers

H err Rossier, haben Sie ein Pflichtenheft? «Vermutlich.» Was steht dort drin? «Keine Ahnung, und ich würde es auch nicht wagen, eines zu schreiben. Es dauert zu lange.» Warum? «Weil die Arbeit des Staatssekretärs sehr mannigfaltig ist. Er ist allgemein die Nummer zwei des Departementes, vor allem bei Auslandsbesuchen oder für den Empfang ausländischer Delegationen. Ich führe jährliche Konsultationen, das heisst Treffen mit gewissen Ländern, die für die Schweiz wichtig sind. Zentral ist die Führung des Departements selber. Dazu kommen die Sonderaufgaben wie Europa. Meine Hauptrolle da ist die Füh- rung der Koordinationsgruppe zwischen den verschiedenen betroffenen Departementen hier in Bern.»

Als der Freiburger Jurist Yves Rossier 2012 dem FDP-Bundesrat Didier Burkhalter ins Aussenministerium folgte, war das eine Überraschung. Rossier wurde 2004 von Pascal Couchepin zum Chef des Bundesamtes für Sozialversicherungen ernannt, und Chefdiplomat unter Burkhalter wurde Rossier, obwohl er gar nie als Diplomat gewirkt hatte.

Wer ist da der Bundesrat?

Auch in seinem Auftreten erinnert Rossier nicht an ei- nen Diplomaten, wie man sich ihn allgemein vorstellt. Wenn Rossier nervös oder ungeduldig wird, erkennt man das am Wippen seines Fus- ses, will man mit ihm ungezwungen plaudern, so kann man das bei einer Zigarettenpause im Freien.

Und Rossier hält auch mit seiner Meinung nicht zurück, so dass im Bundeshaus zu Burkhalter und Rossier schon öfters gefragt wurde, wer von beiden der Diplomat und wer der Politiker sei. Rossier selber sagt dazu: «Diese Stilfragen sind irrelevant. Jeder muss seine Rolle erfüllen: Die des Beamten ist, Vorschläge zu machen, Entscheide vorzubereiten und an die Politik weiterzugeben. An der politischen Behörde, dem Parlament oder Volk und Kantonen ist es dann, die Entscheide zu fällen. Als Bürger will ich auch, dass diese Rollen akzeptiert werden, weil ich ja die Politiker und nicht die Beamten wähle.»

Etwa sechs Mal in Brüssel

Als Bundesrätin Simonetta Sommaruga letzte Woche Brüssel besuchte, war Rossier nicht zugegen, und auch mit seinem Chef sieht die Arbeitsteilung vor, dass Rossier und Burkhalter vor allem bei Auslandreisen fast nie gleichzeitig am gleichen Ort sind.

Reist Yves Rossier nach Brüssel, so verlässt er frühmorgens sein Zuhause im Schönbergquartier Richtung Genf-Cointrin und ist meist am Abend wieder in Freiburg. Doch der Chefdiplomat ist gar nicht so oft in Brüssel, wie es die aktuelle Situation vermuten liesse. Höchstens fünf bis sechs Mal seit dem 9. Februar; zuletzt einmal im Oktober und einmal vorletzte Woche, wie er sagt. Die nächsten Auslandreisen führen ihn nach Saudi-Arabien und Burundi. Viele Treffen finden auch in der Schweiz statt, so Rossier. Kontakte mit Brüssel finden oft über E-Mail und Telefon statt.

Von Rossier war unter anderem zu lesen, er sei ein Schnelldenker, dossierfest und kreativ. Welche Eigenheit erachtet er im Kontakt mit Brüssel als am wichtigsten? Rossier antwortet mit einem Zitat des Schriftstellers Karl Viktor von Bonstetten: «Haben wir einmal die Wohnungen des Wohlwollens verlassen, so befinden wir uns auf dem Schachbrett des Berechnens.»

Für Rossier heisst das: «In einer Situation wie heute ist das Wohlwollen das Entscheidende: die Fähigkeit, sich darauf zu konzentrieren. Das heisst, wir müssen auf die gemeinsamen Interessen setzen. Denn rein rechnerisch ist unser Gewicht mit 1 gegen 28 EU-Staaten sehr klein.» uh

Freiburger Taskforce: Jährlich 2400 Jobs betroffen

U nmittelbar nach dem 9. Februar 2014 hat der Staatsrat eine Taskforce eingesetzt, welche sich mit den Folgen nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative befassen sollte. Die Taskforce steht unter der Leitung des für Migration zuständigen Staatsrats Erwin Jutzet und umfasst weiter seine Regierungskollegen Beat Vonlanthen und Jean-Pierre Siggen. Die Taskforce wiederum setzte eine Arbeitsgruppe ein, um eine detaillierte Analyse zur Situation im Kanton Freiburg zu erstellen. Koordinator der Arbeitsgruppe ist Didier Page, wissenschaftlicher Berater in der Sicherheits- und Justizdirektion; dazu sind Institutionen wie die Ämter für die Landwirtschaft, den Arbeitsmarkt oder Migration, das Freiburger Spital, das Netzwerk für Psychische Gesundheit sowie die Universität vertreten.

Gemäss Didier Page steht die Arbeitsgruppe kurz vor Abschluss eines Berichts, den sie dem Staatsrat vorlegen wird. Nachdem der Bund im Juni einen Umsetzungsplan zur Initiative vorgestellt hatte, hätte Ende 2014 ein Ausführungsprojekt in die Vernehmlas- sung gehen sollen. Da dieses noch nicht eingetroffen ist, sei die Freiburger Arbeitsgruppe auch nicht in Zeitnot, wie Page sagt: «Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen.»

Der erste Teil des Freiburger Berichts besteht in ei- ner Bestandesaufnahme. Erst mals überhaupt wurde für den Kanton Freiburg erfasst, wie viele ausländische Bürger jedes Jahr neu auf dem Freiburger Arbeitsmarkt auftauchen. Im Durchschnitt der letzten zwölf Jahre sind es 2400 ausländische Personen, die in Freiburg neu ei- ne Arbeitserlaubnis erhalten: 1850 Personen mit Jahresbewilligungen, 360 mit Kurzzeitbewilligungen und 150 mit Bewilligungen für vier Monate. Page relativiert, dass es von Jahr zu Jahr beträchtliche Unterschiede geben kann.

Von diesen durchschnitt- lich 2400 Arbeitsbewilligun- gen entfällt gemäss Page je rund ein Viertel auf das Baugewerbe sowie auf die Restauration und Hotellerie. Auch das Unterrichts- und das Gesundheitswesen seien stark betroffen. Im Freiburger Spital und im Netzwerk für Psychische Gesundheit gebe es Abteilungen mit 50 bis 70 Prozent ausländischen Mitarbeitern.

Heimisches Potenzial

Zusätzlich zu dieser Erhebung gibt der Bericht auch Empfehlungen ab, wie Freiburg auf eine Personenkontingentierung reagieren könnte. Didier Page nennt in erster Linie die Mobilisierung von heimischem Potenzial wie die Frauen, Senioren oder Ehepartner in Migrantenfamilien.

Diese Massnahmen könne der Kanton zwar eigenständig ergreifen, sie bräuchten aber Zeit und verursachten Kosten, was dann wieder in einer politisch gefärbten Analyse münde, so Page.

Als Schlussfolgerung zeichnet sich gemäss Didier Page in der Arbeitsgruppe eine einhellige Meinung ab: «Wenn ein System mit Kontingen- ten ohne jegliche Flexibilität kommt, sind wir in einer ungemütlichen Situation.» uh

Rückblick

50,3 Prozent Ja, 47,7 Prozent Nein

Hauchdünn hat das Stimmvolk vor genau einem Jahr Ja gesagt zur SVP-Initiative «Gegen eine Masseneinwanderung». Mit einem Anteil von 50,3 Prozent Ja-Stimmen unterstützte das Schweizer Stimmvolk die Initiative der SVP. 19500 Stimmen gaben den Ausschlag für die Annahme der Vorlage. Abgelehnt wurde sie von der Romandie sowie von den Kantonen Basel-Stadt, Zug und Zürich. Auch im Kanton Freiburg waren die Gegner der Initiative in der Überzahl, mit 51,5 Prozent allerdings nur knapp.uh

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