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Die niederträchtige Gerechtigkeit

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Gastkolumne

Autor: Hubert Schaller

Die niederträchtige Gerechtigkeit

Kennen Sie jemanden, der gegen die Gerechtigkeit ist? Ich auch nicht. Wundern Sie sich gelegentlich auch darüber, dass etwas, das weltweit von so vielen Menschen befürwortet wird, so wenig Durchsetzungskraft hat? Aber beginnen wir von vorn: Alle oder fast alle Menschen sprechen sich für die Gerechtigkeit aus. Sobald man aber fragt, was für eine Gerechtigkeit sie denn meinen, ist es mit der Eintracht vorbei. Nehmen wir z. B. die Verteilungsgerechtigkeit, dass also der Kuchen des Reichtums gleichmässig auf alle Menschen verteilt wird. Nein, werden Sie sicher einwenden: Massarbeit verdient einen höheren Lohn als Massenarbeit. Solange es verantwortungsvolle und weniger verantwortungsvolle, spezialisierte und weniger spezialisierte Arbeit gibt, sind Einkommensunterschiede durchaus gerechtfertigt. Deswegen braucht Frau Justitia ja nicht gleich zu schmollen.

Also gut, versuchen wir es mit der Steuergerechtigkeit: Es gab Zeiten, in denen man die Reichen aus dem Land jagte, heute lockt man sie mit grosszügigen Steuergeschenken ins Land zurück und rollt den roten Teppich vor ihnen aus. Das nennt sich dann Steuerwettbewerb, und jede moralische Anrüchigkeit wird mit diesem arglosen Begriff elegant beseitigt. Gerecht heisst dann bloss noch, gleichberechtigter Nutzniesser einer allseits akzeptierten Ungerechtigkeit zu sein.

Noch viel trostloser sieht es aus, wenn wir nach der politischen Gerechtigkeit, dem politischen Anstand Ausschau halten, etwa in Tibet oder in Sachen Eveline Widmer-Schlumpf, oder überall dort, wo Diktatoren oder die diktatorische Macht des Geldes das Sagen haben.

Aber das war ja gar nie anders, höre ich Sie dazwischenrufen, und da gebe ich Ihnen natürlich vollkommen Recht. Was aber meiner Meinung nach anders geworden ist, ist die Tatsache, dass der Begriff und damit der Massstab der Gerechtigkeit immer mehr aus der politischen und gesellschaftlichen Diskussion verschwindet. Natürlich finden es die meisten eine Schweinerei, dass sich Marcel Ospel noch schnell 26 Millionen Franken in die Tasche stopfte, bevor er das sinkende UBS-Schiff verliess. Ich meine, es ist viel schlimmer als eine Schweinerei, es ist eine Ungerechtigkeit. Eine Schweinerei müssen wir hinnehmen, sie ist das Werk von Einzelnen. Eine Ungerechtigkeit können und müssen wir beseitigen, sie ist der Ausdruck eines unmoralischen Gesellschaftssystems.

Die Welt, versuchen mir Politiker und Wirtschaftsexperten immer wieder weiszumachen, ist viel zu kompliziert geworden, als dass sie sich durch so vereinfachende Begriffe wie Gerechtigkeit oder Solidarität erklären lässt. Stattdessen bietet man mir Wörter an wie: Wettbewerb, Realpolitik, Anpassung, Eigendynamik, Globalisierung. Kaum eine Ungerechtigkeit, kaum eine Niederträchtigkeit, die sich nicht unter dem breiten Deckmantel solcher Verharmlosungsbegriffe verstecken lässt.

Gerechtigkeit ist ein unmodernes, unzeitgemässes Wort geworden. Es hat sich in die Hinterzimmer und Dunkelkammern der Macht abschieben lassen. Wer à jour sein will, lässt besser die Finger von ihm. Wer das Wort trotzdem gebraucht, hat nicht verstanden, dass es heute angeblich um viel kompliziertere Dinge geht.

Vom serbischen Schriftsteller Bora Cosic wird uns folgende Geschichte aus dem Bosnienkrieg überliefert: «In ihrem Dorf, niedergebrannt und die Bewohner ermordet, nahm eine Frau fast als einzige Überlebende eine armselige Kuh an sich, lehnte sich an ihren warmen Körper, aber dann bemerkte sie, dass die Kuhaugen voller Tränen waren, es war eine weinende Kuh. Erst da stellte sie fest, dass das arme Tier eine offene Wunde am Bauch hatte. Vor den Augen der Bosnierin verendete dieses beinahe menschliche Wesen, so dass sie ohne diese einzige Gefährtin zurückblieb.»

Ich bin sicher, dass es die Gerechtigkeit war, welche die Frau aus traurigen Tieraugen angeblickt hat.

Hubert Schaller unterrichtet Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Er ist unter anderem Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986) und «Drùm» (2005). Als Kulturschaffender ist er in einem FN-Kolumnistenkollektiv tätig, das in regelmässigem Rhythmus frei gewählte Themen bearbeitet. Der Inhalt braucht sich nicht zwingend mit der Meinung der Redaktion zu decken.

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