«Die Schweiz behält Eigenständigkeit»
Für Volkswirtschaftsminister Joseph Deiss überwiegen die Vorteile von Schengen/Dublin klar
Mit dem Schengen/Dublin-Abkommen will die Schweiz am Sicherheitsraum Europa teilhaben. Dabei gibt sie ihre Souveränität nicht auf, profitiert hingegen wirtschaftlich, betont Bundesrat Joseph Deiss.
Mit BUNDESRAT JOSEPH DEISS
sprach WALTER BUCHS
Mit der Assoziierung an Schengen/Dublin macht die Schweiz einen grossen Integrationsschritt hin zu Europa. Wird unser Land dadurch auch EU-tauglicher?
Es geht nicht um einen EU-Beitritt und somit nicht um EU-Tauglichkeit. Mit Ihrer Fragestellung haben Sie aber das richtige Wort verwendet, das gegenwärtig oft unterschlagen wird. Es geht bei Schengen lediglich um eine Assoziierung und nicht um einen Beitritt.
Wir wollen für unser Land, das international und namentlich mit den EU-Partnern stark verflochten ist, ein möglichst gutes Beziehungsnetz aufbauen. Dazu gehören alle Verträge, die wir haben, vom Freihandel über Freizügigkeit bis zur Abwicklung der Grenzübergänge.
Welches sind für Sie die Hauptgründe, weshalb Sie dem Schweizer Volk beantragen, das Schengen-Abkommen gutzuheissen?
Aus der Sicht des Volkswirtschaftsministers sind es vor allem die wirtschaftlichen Vorteile: das Bankgeheimnis, das abgesichert wird, und der Fremdenverkehr, der dank dem Schengen-Visum belebt wird.
Zudem werden im Asylbereich unsere Finanzen entlastet und schliesslich wird die Wirtschaft dank der einfacheren Abwicklung an der Grenze Vorteile bekommen. Insgesamt geht es mir darum, dass die Schweiz nicht mehr Schengen-Aussengrenze ist und dem Risiko strengerer Kontrollen ausgesetzt bleibt.
Was wird sich bei einer Annahme des Schengen-Abkommens an der Schweizer Grenze ändern?
Ändern wird sich das Prinzip: Im Schengener Raum findet an den Binnengrenzen keine systematische Personenkontrolle statt. In der Praxis wird sich aber nicht viel ändern, weil wir aufgrund unseres Freihandelsabkommens mit der EU die Warenkontrollen weiterhin durchführen. In diesem Zusammenhang bleiben auch die Personenkontrollen bestehen.
Wir können somit die heutige Praxis weitgehend beibehalten und gleichzeitig die Schengener Sicherheitsinstrumente verwenden. Im Vergleich zu heute ist das ein viel besseres System.
Was wird sich denn an der Grenze ändern, wenn wir dem Abkommen nicht beitreten?
Wir werden Schengen-Aussengrenze bleiben. Damit sind wir dem Gutdünken unserer Nachbarn ausgesetzt, wenn der Schengener Raum strengere Massnahmen ergreift. Wir haben es im vergangenen Jahr erlebt, als Deutschland eine gewisse Zeit an unserer Grenze jene Kontrollen durchgeführt hat, die an den Schengen-Aussengrenzen eigentlich gang und gäbe sind. Wir standen vor einem Problem, das wir in Zukunft vermeiden wollen.
Befürworter und Gegner des Abkommens beurteilen die Auswirkungen auf die innere Sicherheit völlig diametral. Da weiss doch der Bürger nicht mehr, was er davon halten soll!
Ohne die Gegner schlecht machen zu wollen, muss man doch feststellen, dass sie mit zwei Elementen operieren: Sie versuchen der Bevölkerung Angst einzujagen, indem sie vortäuschen, wir hätten ein perfektes System, in dem alles kontrollierbar ist. Das ist bei weitem nicht der Fall. Dann lesen sie nur einen Teil des Abkommens und informieren lückenhaft.
Wenn man aber eine Gesamtbeurteilung macht, muss man eindeutig feststellen, dass die Assoziierung zu einer Verbesserung führt. Ich persönlich richte mich dabei nach jenen, die etwas von Sicherheit verstehen, viel mehr als nach Politikern, die Statistiken vortragen oder Paragrafen vorlesen. Vertrauen wir, was die technischen Fragen anbelangt, doch den Fachleuten. Ihr Verdikt ist positiv. Wir haben das kürzlich von Österreich und Norwegen bestätigt bekommen.
Im Vergleich zu den Nachbarländern haben wir aber bereits eine recht tiefe Kriminalitätsrate!
Auch hier kann man mit Zahlen allerhand Dinge beweisen. Eines ist sicher: Bei uns nimmt die Kriminalitätsrate schneller zu als in den Schengenländern. Zudem ist erwiesen, dass sie in Österreich abnimmt.
Dazu ist zu präzisieren, dass es beim Schengener System nicht um die Kriminalitätsrate im Binnenraum geht, sondern es geht um die internationale Kriminalität. Da muss man sich im Klaren sein: Dieser Verbrecher, die zwar nicht sehr zahlreich sind, können wir als Einzelkämpfer nicht Meister werden. Da braucht es eine Zusammenarbeit der Polizeikorps über die Landesgrenze hinaus.
Es gibt wohl keine Verträge, die nur Vorteile bringen. Als Nachteil von Schengen könnte man sagen, dass die Schweiz fremdes Recht übernimmt?
Das stimmt überhaupt nicht. Fremdes Recht übernehmen würde bedeuten, dass wir Recht übernehmen, das wir nicht wollen. Die Tatsache, dass wir jetzt über Schengen und die dazu notwendigen Gesetzesänderungen abstimmen können, bedeutet eben gerade, dass wir aus freien Stücken eigenes Recht schaffen und keineswegs fremdes übernehmen.
Zudem haben wir uns für den Fall der Weiterentwicklung des Schengen-Rechts abgesichert. Beim Bankgeheimnis haben wir vertraglich abgemacht, dass wir allfällige künftige Änderungen nicht übernehmen müssen. Bei allen Weiterentwicklungen sind unsere Experten mit Mitspracherecht in den Fachausschüssen. Dabei werden die Entscheide in der Regel im Konsens gefällt.
Welche Mechanismen kommen dann zum Zug?
Jeder neue Rechtsakt, der bei der Weiterentwicklung des Schengen-Rechts beschlossen wird, wird dem Schweizer Parlament vorgelegt. Dagegen kann das Referendum ergriffen werden. Für dieses Prozedere haben wir zwei Jahre Zeit. Sollte ein Beschluss abgelehnt werden, haben wir zusätzlich das Recht, Anträge zu stellen, diesen Beschluss zu ändern, damit er auch für uns annehmbar wird.
Bei der Weiterentwicklung des Schengen-Rechts bleiben unsere demokratischen Rechte somit voll gewahrt und von Souveränitätsverlust kann keine Rede sein. Eines ist natürlich nicht möglich und einige übersehen das: Wir können nicht auf die Assoziierung verzichten und dann erwarten, so behandelt zu werden, als wären wir dabei.
Welches Interesse hat die Schweiz, beim Dublin-Übereinkommen mitzumachen?
In der EU ist seit ein paar Jahren ein System im Aufbau, wonach Asylbewerber nur einmal ein Gesuch stellen können. Falls Bewerber z. B. nach einer Abweisung in anderen Schengen-Ländern ein zweites oder gar drittes Gesuch stellen, können sie ins Erstland zurückgeschickt werden.
Wenn wir von so vielen Ländern umgeben sind, in denen ein Zweitgesuch nicht mehr möglich ist und wir als einziges Land in der Mitte nicht dabei sind, dann sind wir folgerichtig Zielland für Abgewiesene. Schon heute sind zwanzig Prozent der bei uns eingereichten Asylgesuche Zweitgesuche. Wir haben also ein echtes Interesse mitzumachen und werden von diesem System profitieren, was Einsparungen von mehreren Dutzend Millionen Fr. ausmachen kann.
Gegner der Vorlage meinen, die Schweiz sollte ihre Asylprobleme weiterhin selber lösen. Ist das eine Option?