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Ehemalige Verdingkinder erinnern sich

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Ehemalige Verdingkinder erinnern sich

Autor: Carole Schneuwly

Hunderttausende Kinder, so schätzt man, wurden in der Schweiz im 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen bei fremden Familien platziert, wo sie zwar ein Dach über dem Kopf hatten, oft aber auch als billige Arbeitskräfte missbraucht oder gar misshandelt wurden. Das Schicksal dieser Verdingkinder gilt als eines der düstersten Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte und ist bis heute erst lückenhaft erforscht und aufgearbeitet.

In der Schweiz dürfte heute noch eine fünfstellige Zahl ehemaliger Verdingkinder leben. Um sie zu Wort kommen zu lassen und um das Thema der Fremdplatzierung von Kindern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde der Verein «Geraubte Kindheit» gegründet, mit dem Ziel, eine auf mehrere Jahre angelegte Wanderausstellung zu dem Thema zu realisieren.

Stimmen von Betroffenen

Seit diesem Sommer nun ist die zweisprachige Ausstellung unterwegs durch die Schweiz; derzeit ist sie im Historischen Museum Lausanne zu sehen. Grundlage der Ausstellung sind rund 300 Interviews mit ehemaligen Heim- und Verdingkindern, die zwischen 2003 und 2007 im Rahmen von Forschungsprojekten der Universität Basel einerseits und der Ecole d’Etudes Sociales et Pédagogiques Lausanne andererseits geführt wurden. Die Aussagen der Zeitzeugen beziehen sich auf den Zeitraum zwischen 1920 und 1960.

Die Ausstellung verstehe sich als Plattform für Menschen, die etwas zu sagen hätten, schreibt der Verein «Geraubte Kindheit». «Sie will ein Kapitel der Schweizer Geschichte vor dem Vergessen bewahren, indem sie den Stimmen von Betroffenen Raum gibt.» Man habe nicht den Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit, denn eine solche Untersuchung müsste neben den Lebensbedingungen der Kinder, ihrer Familien und Pflegefamilien auch Fragen rund um die Motive und Arbeitsweise der Behörden und Erziehungsinstitutionen berücksichtigen. Das könne die Ausstellung nicht leisten. Sie wolle aber zu Fragen und Diskussionen über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der ausserfamiliären Erziehung anregen.

Schrittweise Annäherung

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Hördokumente der interviewten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Die Präsentation ist so aufgebaut, dass der Besucher sich diesen Menschen allmählich annähert. Der erste Teil ist eine allgemeine Einführung ins Thema und zeigt, dass Kinder zu allen Zeiten ausserhalb ihrer Familien platziert wurden. Zu Wort kommen auch Persönlichkeiten, die ausserfamiliäre Erziehungsformen kritisiert haben und hier quasi für die ehemaligen Heim- und Verdingkinder sprechen.

Im zweiten Teil äussern sich zum ersten Mal die Betroffenen selbst, indem sie sich an jenen Tag erinnern, an dem sie von zu Hause weggeholt wurden – für viele ein traumatisches Erlebnis. Danach folgt der Hauptteil der Ausstellung mit vier Hörstationen zu vier Themenfeldern: Pflegeorte, Schule und soziales Umfeld, die Beziehung zu den Behörden und die Überlebensstrategien der Kinder.

Ein eigener Ausstellungsteil ist den Bewältigungsstrategien gewidmet, die den ehemaligen Verdingkindern halfen, ihr Leben als Erwachsene zu meistern. Im nächsten Teil erhalten die Zeitzeugen schliesslich ein Gesicht: Hier sind Video-Interviews zu entdecken, in denen sie Wünsche für die Gegenwart und die Zukunft formulieren. Der Abschluss der Ausstellung ist offen gestaltet und entlässt die Besucher mit einer Reihe von Fragen rund um die ausserfamiliäre Erziehung, aktuelle Probleme und mögliche Zukunftsszenarien.

Da die Ausstellung fast ausschliesslich auf den Berichten von Zeitzeugen basiert, ist es zwangsläufig ein subjektives und einseitiges Bild, das die Besucher mit nach Hause nehmen. Es seien vor allem Stimmen vertreten, die von Missständen, Not und Leid erzählten, sind sich die Ausstellungsmacher bewusst, betonen aber gleichzeitig: «Es gab auch Verding- und Heimkinder, die eine schöne Kindheit hatten.» Es sei möglich, dass sich auf die Aufrufe im Rahmen der beiden Forschungsprojekte eher Leute gemeldet hätten, die Unrecht erlitten hätten und darüber berichten wollten.

Grenzen der Oral History

Die Methode der Oral History, die auf der Befragung von Zeitzeugen beruht, stösst hier wie immer an ihre Grenzen und müsste durch klassische historische Methoden ergänzt werden. Solche Untersuchungen existieren heute erst zu einzelnen Regionen oder Institutionen. Die Ausstellung «Enfances volées – Verdingkinder reden» ist daher nur ein erster Schritt. Sie entspreche, so die Verantwortlichen, dem Wunsch der Betroffenen, über ihre Erfahrungen zu berichten – und sie solle dafür sensibilisieren, sorgsam mit jenen Kindern umzugehen, die heute und morgen ausserhalb ihrer Familien aufwachsen.

Bis zum 15. November ist die Ausstellung im Historischen Museum Lausanne zu sehen: Di. bis Do. 11 bis 18 Uhr, Fr. bis So. 11 bis 17 Uhr. Nächste Stationen: Historisches Museum Basel (3.12.09-28.3.10), Historisches Museum Baden (9.4.-31.8.10). Nach Freiburg soll die Ausstellung im Sommer 2012 kommen (Museum für Kunst und Geschichte). Details im Internet: www.verdingkinderreden.ch.

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