Einen Lehrstuhl hatte er nie inne, und zur Kirchenleitung stand er viele Jahre in einem gespannten Verhältnis. Als der Luzerner Theologe Hans Urs von Balthasar schliesslich von Papst Johannes Paul II. am 28. Juni 1988 zum Kardinal ernannt werden sollte, starb er, fast 83-jährig, in Basel – zwei Tage vor der Überreichung des roten Biretts.
Zur Theologie kam der im August 1905 in Luzern Geborene auf Umwegen. So facettenreich sich seine theologische Biografie darstellt, so umstritten ist die Einordnung seiner Position bis heute. Doch an seinem Werk, das hundert Bände und rund 500 Aufsätze umfasst, kommt man nur schwerlich vorbei. Kardinal Joseph Ratzinger, später Papst Benedikt XVI., betonte in seinen Lebenserinnerungen, «nie wieder Menschen mit einer so umfassenden theologie- und geistesgeschichtlichen Bildung» begegnet zu sein wie Balthasar und dessen Lehrer Henri de Lubac. Grundantrieb Balthasars Denken ist die Frage nach dem richtigen Weg für die Kirche. Mit packenden Wortbildern und zündenden Gedanken warb er für eine Communio: Die Christen sollten Geschwister aller Menschen werden. Der Vordenker des Dialogs untermauerte sein Anliegen theologisch: Die Zunft habe allzu lang «Jüngstes Gericht gespielt und nicht hinreichend bedacht, dass der Gott, der sich dieses Gericht vorbehält, derselbe ist, der in Jesus Christus in die Gottverlassenheit aller … aus jeder Gemeinschaft Gefallenen, in den Abgrund jeder widergöttlichen und inhumanen Einsamkeit abgestiegen ist». Zunächst studierte Balthasar in Zürich, Berlin und Wien Germanistik und Philosophie.
Liebe zur Musik
Der hochgewachsene junge Mann mit dem absoluten musikalischen Gehör vergötterte Mozart und Mahler. Mit dem protestantischen Theologen Karl Barth spielte er vierhändig Klavier. Die Liebe zur Musik eröffnete Balthasar den Zugang zu der ihm eigenen Weise des Redens von Gott. Immer bemüht um die ganzheitliche Perspektive, entwarf er eine Theologie mithilfe musikalischer Kategorien. Seine Theologie entwickelte sich später, durch Aufnahme von Formen aus dem Theater, weiter zu einer «Theodramatik». Balthasar selbst sagte, die Offenbarung sei «in ihrer ganzen Gestalt im Grossen wie im Geringen dramatisch»; sie sei «die Geschichte eines Einsatzes Gottes für seine Welt, eines Ringens zwischen Gott und Geschöpf um dessen Sinn und Heil». Nach seinem Studium wurde Balthasar im Oktober 1929 Novize bei den Jesuiten. Als «verbissenes Ringen mit der Trostlosigkeit der Theologie» bezeichnete er sein Studium in Lyon. Die Theologie erstarre in einem neuscholastischen Denkkorsett. Umso begieriger scharten sich die jungen Studenten um Henri de Lubac, der eine grosse Faszination ausstrahlte. Vor allem seine Beschäftigung mit den Schriften der Kirchenväter und die damit verbundene Neubesinnung auf das Christentum eröffnete Balthasar einen neuen theologischen Horizont. Sein 1952 erschienenes Werk «Die Schleifung der Bastionen» ist in diesem Geist geschrieben und wurde von vielen als Befreiung empfunden – Jahre bevor das Zweite Vatikanische Konzil die Fenster nach draussen aufstiess. Kirche, die nicht in ihrer Ganzheit offen zur Welt sei, habe aufgehört, Kirche Christi zu sein, so der Luzerner.
Nach längerer Tätigkeit als Studentenseelsorger in Basel verliess er den Jesuitenorden, um mit Adrienne von Speyr die Johannesgemeinschaft, ein sogenanntes Säkularinstitut, zu gründen. Sein Biograf Thomas Krenski schreibt: «Für viele der damaligen Zeitgenossen stand fest, dass Balthasar glaubte, sich zu weit vorgewagt zu haben, so dass er sich gezwungen sah, den Rückzug anzutreten.»