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Eine feministische Staatsanwältin tritt ab

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Am 31. Dezember haben Sie Ihren letzten Arbeitstag als Staatsanwältin. Dann gehen Sie in Rente. Empfinden Sie das als Müssen oder Dürfen?

So habe ich darüber noch nie nachgedacht. Ich befinde mich im gesetzlichen Rentenalter und habe von der Möglichkeit im Kanton Freiburg Gebrauch gemacht, mich nicht schon mit 64 pensionieren zu lassen, sondern noch ein Jahr länger zu arbeiten. Das Justizgesetz des Kantons Freiburg setzt für Magistraten die Grenze bei 65 Jahren. Aber eigentlich geht es darum, dass ich in meinem Leben an einem Punkt angelangt bin, an dem ich etwas anderes machen darf.

Das ist aufregend.

Ja, ich bin sehr froh. Ich habe meinen Beruf geliebt. Ich habe mich stark engagiert – noch im Dezember konnte ich einen grossen Fall von Menschenhandel abschliessen. Ich hatte das Glück, mich für die Rechte von Kindern und Frauen einsetzen zu dürfen, für universelle Werte, die es zu verteidigen gilt. Und nun liegt ein weisses, unbeschriebenes Blatt vor mir. Ich freue mich auf die neue Freiheit.

Als Juristin hätten Sie sich eine andere Rolle aussuchen können als die der Anklägerin, etwa die der Richterin oder der Anwältin. Warum wurden Sie Staatsanwältin?

Ich war schon immer an der Wahrheitssuche interessiert. Wie kann man ausgehend von einer Strafanzeige oder Strafklage unter juristischen Gesichtspunkten einen Sachverhalt feststellen und beweisen, insbesondere in Bezug auf Gewalt gegen Frauen und Kinder? Mir ging es nie ums Urteilen. Mir war wichtig, dass die beteiligten Personen zu Wort kommen, dass die Opfer ihre Rechte wahrnehmen können.

Die Wahrheitssuche ist aber nicht immer leicht, gerade im Bereich des Sexualstrafrechts oder des Menschenhandels. Wie kann man die Wahrheit erkennen?

Im Sexualstrafrecht gibt es selten definitive Beweise. Meistens steht Aussage gegen Aussage. Umso interessanter ist es, zu beobachten, wie sich das Recht entwickelt hat, damit Sexualstraftaten nicht ungeahndet bleiben.

Wie hat es sich entwickelt?

Mit der Anerkennung des Indizienbeweises. Zu Beginn einer Untersuchung weiss man ja nie, ob und wie sich etwas tatsächlich abgespielt hat. Zu diesem Zeitpunkt ist das Prinzip der Unschuldsvermutung vorherrschend, was nicht heisst, dass für die Person, die eine Tat zur Anzeige gebracht hat, die «Lügenvermutung» gilt. Das ist sehr wichtig. Darum müssen beide Seiten die Möglichkeit erhalten, alles sagen zu können, was sie sagen können müssen. Das klingt banal, ist es aber nicht. Dann müssen alle konkreten Elemente verifiziert werden. Geht es um eine Vergewaltigung in einem Hotelzimmer, muss der angebliche Tatort untersucht werden, um die Plausibilität der Angaben der Parteien zu prüfen. Manchmal ist schon dann klar, dass die Tat nicht oder nicht so stattgefunden haben kann. Zudem gilt: Je früher ein Opfer über das Erlittene in seinem Umfeld spricht, also noch bevor es sich entschliesst, den Täter anzuzeigen, umso grösser ist die Beweiskraft seiner Aussage. SMS- und Telefonverkehr sowie andere Vorgänge können das Gesagte untermauern. Dank der wissenschaftlichen Forschung in der Aussagepsychologie haben wir sehr grosse Fortschritte bei der Überprüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen gemacht. Es gibt anerkannte Kriterien wie die Menge an Details, die folgerichtige Erzählweise, Erklärungen dafür, wie sachverhaltsfremde Elemente in die Geschichte einfliessen können, und so weiter. Schliesslich tragen auch Expertisen zur Wahrheitsfindung bei.

Am Ende einer Untersuchung waren Sie sich Ihrer Sache also immer sicher?

Die Strafprozessordnung verbietet es der Staatsanwältin, ein Urteil zu fällen, ausser bei Bagatelldelikten. Im Kanton Freiburg gibt es trotzdem eine Praxis, die verhindern soll, dass Opfer unnötig an einem Prozess teilnehmen müssen. Wenn uns die Verdachtsmomente nicht genügend fundiert erscheinen, stellen wir das Verfahren im Untersuchungsstadium ein. Immerhin endeten zwischen 30 und 40 Prozent meiner Fälle so. Wenn ich einen Fall aber zur Anklage brachte, dann tat ich das mit Überzeugung.

Wie hat sich während Ihrer 16-jährigen Tätigkeit als Staatsanwältin die Haltung gegenüber Sexualstraftaten in der Gesellschaft verändert?

Bis 2002 wurden Kinder, die Gewalttaten erlitten, noch wie Erwachsene befragt. Ihre Aussagen wurden schriftlich protokolliert. Als ich 2003 anfing, wurde die Pflicht zur Anhörung per Video eingeführt. Das war ein sehr grosser Fortschritt. Grosse Fortschritte bei Kindern hat man auch bei der Beurteilung von Aussagen auf ihre Glaubhaftigkeit gemacht.

Ist beides Ausdruck davon, dass die Gesellschaft sexueller Gewalt ernsthaft begegnen will?

Ja. Das zeigt sich auch in Bezug auf die Bestrafung. Ich sage es immer wieder: Die Strafe ist die sichtbare Seite des Strafrechts, ansonsten wäre es bedeutungslos. Die Wiederherstellung der sozialen Ordnung ist sehr wichtig. Als ich anfing, gab es für eine «einfache» Vergewaltigung durch einen Täter ohne Vorstrafen eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Heute beträgt die Strafe in der Regel 30 Monate, und nur 6 Monate davon werden bedingt ausgesprochen. Auch bei Vergewaltigung in der Ehe gibt es Verbesserungen. Sie gilt nicht mehr als Auswuchs eines Ehestreits. Vielmehr wurde festgestellt, dass sich die meisten Vergewaltigungen in der Familie abspielen. Die Vergewaltigung in der Ehe wurde zur öffentlichen Sache erklärt und nicht mehr bloss auf Anzeige, sondern von Amtes wegen verfolgt. Im kommenden Jahr wird zudem ein neues Gesetz in Kraft treten, das Opfer von Gewalt in der Ehe noch besser schützt. Bisher wurde in leichten Fällen auf Ersuchen des Opfers ein Verfahren eingestellt, wenn der Partner sich während sechs Monaten anständig verhielt. Das war ein typisch schweizerischer Kompromiss, um den Rückzug der Anzeige durch die Hintertür doch noch möglich zu machen. Künftig ist das nur noch aufgrund einer richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Entscheidung möglich.

Wann?

Wenn sich der Täter einer Therapie unterzieht, wenn das Paar seinen Konflikt dauerhaft löst oder wenn es sich wirklich um eine isolierte Tat, einen «Ausrutscher», handelt.

Wie kam es, dass Sie sich insbesondere für die Rechte von Frauen und Kindern einsetzten?

Ich war schon immer eine Feministin. Früher war das ein grobes Wort. Heute sind wir Frauen alle Feministinnen. Ich bin eine Frau des 20. Jahrhunderts. Innerhalb der Staatsanwaltschaft war ich von Anfang an verantwortlich für die Fälle im Sinne des Opferhilfegesetzes. Weil die Opfer verlangen können, dass sie durch Personen des gleichen Geschlechts befragt werden, und weil eine Mehrheit der Opfer von körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt Frauen sind, machte es Sinn, eine Frau mit diesen Fällen zu betrauen.

Hat es Sie nicht manchmal gestört, wenn ein Verteidiger versucht, seinen Mandanten mit dem Hinweis auf einen Formfehler vor der Strafe zu retten?

Nein, das ist das Spiel. Man sagt, dass sich, vor allem bei Taten gegen die physische, sexuelle und psychische Integrität von Frauen und Kindern, der grösste Teil des Verfahrens in der Untersuchung abspielt und nicht in der Hauptverhandlung. Wenn der Täter den Verdacht in dieser Phase nicht entschärfen kann, dann ist es für ihn gelaufen.

Ein anderer Bereich, der Ihnen wichtig war, ist die Strafverfolgung bei Menschenhandel. Im Fall von rumänischen Prostituierten in der Alten Brunnengasse haben Sie sich in erster Instanz die Zähne ausgebissen. In zweiter Instanz haben Sie immerhin für zwei Personen eine Verurteilung wegen Mittäterschaft zu Menschenhandel erwirkt. Warum ist es so schwierig, Menschenhändler zur Rechenschaft zu ziehen?

Menschenhandel ist ein Delikt, das man nur aufdeckt, wenn es eine proaktive Untersuchung gibt. Es kommt sehr selten vor, dass ein Verfahren mit einer Anzeige ins Rollen gebracht wird. Artikel 182 des Strafgesetzbuchs bestraft den Menschenhandel zudem nur im Hinblick auf die Ausbeutung, nicht die Ausbeutung als solche. Der Handel ist aber weniger sichtbar, und es ist schwer, an Beweise zu kommen. Die Verfahren sind deshalb unglaublich aufwendig. Viele Opfer ziehen zudem die Ausbeutung der Misere vor und sagen darum nicht aus. Bei der Verfolgung von Menschenhandel zu Prostitutionszwecken kommt hinzu, dass die Schweiz ein Destinationsland ist. Das heisst, die Handlungen, die vorgenommen werden, um die Frauen zur Prostitution zu zwingen – Drohungen, Gewalt und so weiter –, finden in deren Heimatland statt. In der Schweiz werden die Opfer dann nur noch kontrolliert, aber in der Regel keine sichtbaren Straftaten mehr verübt. Das ändert aber nichts am Umstand, dass eine Ausbeutung besteht.

Im Fall des Mannes, der vom Kantonsgericht wegen sexuellem Missbrauch und Menschenhandel von ungefähr 80 Knaben in Thailand verurteilt wurde, konnten die Beweise aber erbracht werden.

Ja, das ist aber die Ausnahme. Das belegt auch die Rechtsprechung. Es gibt dazu kaum Bundesgerichtsentscheide. Normalerweise kann Tätern im Sextourismus maximal Pornografie angelastet werden. Im konkreten Fall hatten wir aber Glück und mehr Beweise. Das Kantonsgericht ist darum meinem Antrag gefolgt und hat den Täter wegen Menschenhandel zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren verurteilt.

Was müsste die Politik tun, um die Verfolgung von Menschenhändlern zu verbessern?

Es wäre gut, wenn die Schweiz, wie andere Länder es tun, die Ausbeutung durch Prostitution bestrafen würde.

Welche Bilanz ziehen Sie ganz allgemein aus Ihrer Arbeit? Sind Sie zufrieden?

Ja, das bin ich. Nicht, dass ich keine Niederlagen erlitten hätte. Aber ich habe das Gefühl, all meine Kräfte eingesetzt zu haben, damit das Leid der Opfer, mit denen ich zu tun hatte, anerkannt wird. Ich habe auf meine bescheidene Weise dazu beigetragen, dass den Gewalttaten an Frauen und Kindern im Kanton immer angemessener begegnet wird. Ich konnte in wichtigen Bereichen meinen Einfluss geltend machen, im Fall der Beschneidung von Mädchen, in Fällen von sexuellen Übergriffen in der Kirche und in Fällen von Gewalt gegenüber Frauen und Kindern.

«Die Strafe ist die sichtbare Seite des Strafrechts. Die Wiederherstellung der sozialen Ordnung ist sehr wichtig.»

Zur Person

Mit knapp 50 in die Staatsanwaltschaft

Yvonne Gendre wurde 1954 geboren und wuchs im Broyebezirk auf. Sie studierte in Freiburg Recht und war später im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, im Grundbuchamt des Greyerzbezirks sowie in der kantonalen Behörde für Grundstückverkehr tätig. 2003 wurde Gendre zur Staatsanwältin gewählt. Aufgrund ihres sozialen Engagements unter anderem im Verein Frauenraum und bei der Schlichtungsstelle für die Gleichbehandlung der Geschlechter im Erwerbs­leben war sie innerhalb der Staatsanwaltschaft für die Fälle im Sinne des Opferhilfegesetzes zuständig. Nachfolgerin ist Stéphanie Amara.

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