«Rangez les cartes-fichiers! On va changer les langues. So we are going to move. Please stand up!» Die Fünftklässler der Primarschule Gurmels verstehen die Anweisungen von Lehrerin Nathalie Fasel problemlos. Sie stehen auf und machen sich bereit zu einem Hokey-Pokey-Song.
Den Schülern erklärt die Lehrerin, dass die Journalisten im Schulzimmer seien, weil sie sehen wollten, wie es mit dem Frühenglisch klappe. «Sie sagen Frühenglisch. Wir sagen dem einfach Englisch und haben es halt schon in der fünften Klasse», so Nathalie Fasel. Sie unterrichtet eine der Testklassen, die bereits in der Primarschule Englisch lernen. Ab Herbst sollen auch die anderen fünften Klassen im Kanton in die Sprache Shakespeares einsteigen.
In Gurmels steht ein separates Schulzimmer für den Sprachenunterricht bereit. Was an den Wänden hängt, ist entweder englisch oder französisch beschriftet; Tintin liegt auf Französisch auf, Gregs Tagebuch auf Englisch, Wörterbücher sind in beiden Sprachen da. Der Übergang von einer Sprache zur anderen soll fliessend und spielerisch erfolgen. Für die Lehrerin Nathalie Fasel ist das kein Problem: Sie spricht fliessend Französisch, und in ihr Englisch fliesst die australische Färbung ein, welche sie sich bei einem Auslandjahr erworben hat.
Positive Bilanz
Solche Erlebnisse werden an den Freiburger Schulen Alltag. Ab Beginn des Schuljahres 2103/14 wird mit Englisch ein neues Fach auf Primarschulstufe unterrichtet. Es fügt sich vom Konzept her an den Französischunterricht an, der mit dem Lehrmittel «Mille Feuilles» viel spielerischer geworden ist. Die deutschsprachigen Fünftklässler tauchen in eine «New World» ein, bei den Französischsprachigen heisst das Lehrmittel «More».
Wie Erziehungsdirektorin Isabelle Chassot gestern an einer Pressekonferenz sagte, sei die Bilanz aus den vier Testklassen des französischsprachigen Primarschulkreises Murten und der drei deutschsprachigen Klassen des Primarschulkreises Gurmels positiv. Die Lehrpersonen fühlten sich wohl mit dem neuen Lehrmittel, die Kinder hätten mehrheitlich Freude amEnglischunterricht, und die Befürchtungen, Frühenglischkönnte sich negativ auf andere Fächer auswirken, seien definitiv ausgeräumt.
Auch organisatorisch stellt Frühenglisch Herausforderungen. In zweistufigen Klassen sei die Lehrperson besonders gefordert, dazu müssten im Stundenplan Anpassungen gemacht werden, so Chassot. In Deutschfreiburg wird je eine Lektion Bibelkunde und Französisch gestrichen, im französischsprachigen Kantonsteil kann der Lehrer flexibel entscheiden, welchen Fächern er mehr oder weniger Zeit einräumt. Wichtig aber ist: Durch Frühenglisch erhöht sich die Gesamtlektionenzahl für die Primarschüler nicht.
Auf den Herbst hin wird nicht nur Frühenglisch bei allen Primarschulen eingeführt, sondern findet auch das neue Fremdsprachenkonzept in Testklassen erstmals auf OS-Stufe Anwendung.
Lehrer auf die Schulbank
Nicht nur für die Schüler, auch für die Lehrpersonen ist Englisch in der Primarschule neu. Die Erziehungsdirektion verlangt in der neuen Fremdsprache eine Kompetenz auf Niveau B2 gemäss dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen. «Dies entspricht ungefähr dem Englisch-Niveau am Ende der Sekundarstufe II» (Anm. Red.:Mittelschulen), so IsabelleChassot. Die Kenntnisse können aber auch durch Sprachaufenthalte erworben werden. Die Generation der angehenden Primarlehrerinnen und -lehrer erwirbt diese Kenntnisse automatisch in der PH, die nun auch mit der entsprechenden Ausbildung beginnt. Mittel- bis längerfristig erwartet die Erziehungsdirektion dann aber das Niveau C1.
Fremdsprachenunterricht: Lehrerverband will weniger Zwang und mehr Koordination
D ie Umsetzung von zwei Fremdsprachen auf Primarschulstufe ruft beim Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) Skepsis bis Ablehnung hervor. Nicht nur gibt es Unterschiede zwischen den Kantonen, was als erste und was als zweite Fremdsprache unterrichtet werden soll, auch das Tempo der Umsetzung ist unterschiedlich. Der LCH befürchtet, dass Schüler wie auch Lehrer überfordert werden könnten. Deshalb kündigt LCH-Präsident Beat Zemp an, dass bei der Delegiertenversammlung vom 15. Juni eine Resolution vorgelegt wird, welche «die gleiche Reihenfolge der Fremdsprachen und dieselbe Unterrichtsdauer» für die ganze Deutschschweiz verlangt. «Sonst schafft man künstliche Gräben, das hilft niemandem», so Zemp gegenüber den FN. Er nimmt das Beispiel eines Schülers, der beim Umzug von einem Kanton in einen anderen einen mehrjährigen Rückstand in einer Fremdsprache wettmachen müsste.
Der Resolutionsentwurf, der den FN vorliegt, erwähnt verschiedene Punkte, die für eine Schulharmonisierung bis 2020 noch nicht erfüllt sind. Der Fremdsprachenunterricht steht an erster Stelle. «Die Bedingungen für einen flächendeckend erfolgreichen Fremdsprachenunterricht sind bisher bei weitem nicht gegeben», heisst es. Eine Umfrage des LCH habe ergeben, dass der Vergleich zwischen den kantonalen Konzepten und der Realität massive Probleme aufzeige. Würden Rahmenbedingungen nicht angepasst, werde der LCH eine Umstellung auf «Wahlpflichtfach» für die zweite Fremdsprache verlangen, heisst es im Entwurf. Das heisst: Eltern sollten mitentscheiden können, ob ihre Kinder in der 5. Klasse eine zweite Fremdsprache lernen sollen.
Überforderung befürchtet
An der gestrigen Pressekonferenz zum Frühenglisch in Freiburg sagte Staatsrätin Isabelle Chassot, die gleichzeitig Präsidentin der Schweizer Erziehungsdirektorenkonferenz ist, dass Kantone des Passepartout-Konkordats (Französisch ab 3. Klasse, Englisch ab 5. Klasse) bei der Umsetzung des Fremdsprachenmodells weiter fortgeschritten seien.
In Freiburg sollte es laut Chassot denn auch zu keiner Überforderung der Primar-Lehrkräfte kommen, weil diese nicht gezwungen würden, Englisch zu unterrichten. Der Austausch von Fächern mit Kollegen sei möglich. Der Überforderung von lernschwächeren Kindern begegne man in Freiburg mit individuellen Lösungen. Keinem Kind mit Lernschwierigkeiten wolle man Englisch vorenthalten, fasste Chassot zusammen.
Beat Zemp macht die Unterscheidung zwischen Passepartout- und anderen Kantonen nicht. Umsetzungsprobleme gebe es bei beiden Modellen. Für Lehrkräfte fordert er angemessene Weiterbil dungsmöglichkeiten. Für die Schüler sieht er ein Problem, wenn diese von Fächern dispensiert werden. Dies werde im Zeugnis vermerkt, und das stigmatisiere. Würde Englisch zum Wahlpflichtfach, käme es auch nicht zur Stigmatisierung, so Zemp. Der Unterricht könnte so immer noch auf Sekundarstufe I beginnen, fügt er hinzu. uh
Testphase: Lehrerin wünscht sich noch mehr autonomes Lernen
N athalie Fasel, Primarlehrerin in Gurmels, unterrichtet in ihrer Klasse Französisch und Englisch. Sowohl das Französisch-Lehrmittel «Mille Feuilles» wie auch «New World» für Englisch sind Teil des Passepartout-Konzeptes: ein spielerischer Einstieg in die Fremdsprache, Priorität des Sprachverständnisses und Integration digitaler Lernformen. Nathalie Fasel anerkennt, dass die beiden Lehrmittel aufeinander aufbauen und ihre Schüler beim Englisch nicht bei Null beginnen mussten. Als Lehrerin einer Testklasse war sie aufgerufen, ein Feedback über «New World» zu geben: Sie gab dem Verlag einige durchaus kritische Anmerkungen. So sei die Unterscheidung zwischen dem «Pupil’s Book» und dem «Activity Book» nicht gut nachvollziehbar. Die Einheiten im Lehrmittel sind gemäss der Lehrerin auch nicht progressiv aufgebaut. Dazu meint Fasel: «Die Anweisungen sind auf Englisch. Das macht es für die Schüler extrem schwierig, selbstständig zu arbeiten. Es ist stärker Lehrer-zentriert, als ich es mir wünschte.» Die CD-Rom, welche zu «New World» gehört, ist für die Primarlehrerin zu wenig ausgebaut: «Es sind Sprachstücke, die man zuhause am Computer anhören kann. Man hat das relativ schnell durchgearbeitet.» Die Feedbacks der Test-Lehrpersonen sollten bereits im neuen Lehrmittel ab Herbst integriert sein. Nathalie Fasel ist selber gespannt, welche Anpassungen der Verlag vornehmen wird. Die neue Version sollte in Kürze vorliegen.
Jacqueline Häfliger, Präsidentin des Deutschfreiburger Lehrervereins, ist der Meinung, die Sprachenprojekte seien gut aufgezogen. Für sie stellt sich die Frage, ob die hohen Sprachanforderungen bei den Lehrern einen Wandel vom Generalisten zum Spezialisten zur Folge haben werden. Sollte das Spezialistentum auf Primarschulstufe Einzug halten, so wäre das für Häfliger ein Grund mehr, kleine Lehrpensen zuzulassen. Auf Stufe Schüler hat sie Bedenken, dass mit dem vermehrten Einzug von digitalen Lehrmitteln die Schere zwischen Schülern mit und ohne Computer immer grösser wird: «Es darf nicht sein, dass ein Teil der Schüler von Lehrmitteln ausgeschlossen ist.» uh