Entschädigung bleibt Ermessensfrage
Fachleute befassen sich mit der Hilfe für Opfer von Straftaten
Bei Opfern von Straftaten fällt sowohl der materielle wie der moralische Schaden ins Gewicht. Materielle Verluste seien einigermassen einzuordnen, seelischer Schaden hingegen kaum. So die Quintessenz einer Tagung in Grangeneuve, an der am Donnerstag 150 Fachleute teilgenommen haben.
Von IRMGARD LEHMANN
Während eines Ferienlagers sei er im Alter von zwölf Jahren von einem Pfarrer sexuell belästigt worden, erzählt René B.* vor den rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung im Landwirtschaftlichen Institut Grangeneuve. Er wisse von Kindesbeinen an, was seelischer Schaden sei. Damals habe er mit niemandem darüber sprechen können. «Kann man etwa solches Leid messen?»
Einen zweiten seelischen Schaden habe er vor drei Jahren erlitten – als Sozialarbeiter in der Gefängnisanstalt Bellechasse. Eine Schlägerei habe er schlichten wollen und dabei selber einen derartigen Schlag verpasst bekommen, dass er seinen Beruf nicht mehr habe ausüben können.
Die Frage, wie der erlittene Schaden eines Opfers zu messen ist, sei nicht leicht zu beantworten, wenn überhaupt, räumt Daniel Känel, Anwalt beim Kantonalen Sozialamt ein: «Währenddem für den materiellen Schaden Anhaltspunkte wie Lohnausfall, Strafurteil oder ein Bericht der Sozialversicherung vorliegen, ist der moralische Schaden viel schwerer einzuordnen.» Letztlich bleibe die Entschädigung eine Frage des Ermessens.
Angehörige erhielten 60 000 Franken
Das Bundesgesetz über die Hilfe für Opfer von Straftaten ist seit zwölf Jahren in Kraft. Das Opfer hat ein Anrecht auf Hilfe und Entschädigung. Zur Erinnerung: Im Rahmen des Strafverfahrens Daniela T. erhielten die Angehörigen (Familie Plüschke, Australien) des Opfers 60 000 Franken Genugtuungssumme, noch bevor das Strafverfahren beendet war.
Erteilte Opferhilfe im 2004
Das sei keine Ausnahme, sagt Daniel Känel. Strafverfahren können sich manchmal über Jahre hinaus ziehen und in dieser Zeit müsse das Opfer Hilfe erhalten. Im Kanton Freiburg liegt die Entschädigungssumme zwischen 50 000 bis 100 000 Franken.
Wie in der Schweiz haben auch im Kanton Freiburg die Fälle im Rahmen der Opferhilfe (OHG) zugenommen. Das Kantonale Sozialamt hat im letzten Jahr über 350 Dossiers bearbeitet – rund 100 mehr als im Vorjahr (Ein eröffnetes Dossier kann mehrere Personen umfassen). Aber auch im Bereich der Kinder und Jugendlichen musste die Hilfe intensiviert werden. Die OHG-Beratungsstelle, die dem Jugendamt angeschlossen ist, hat rund 300 Fälle behandelt. Dies entspricht einer Zunahme von 15 Prozent. Impliziert waren dabei rund 100 Mädchen, von denen sich 60 im Alter zwischen acht und 15 Jahren befanden.
350 Frauen finden Hilfe
Im vergangenen Jahr fanden über 350 Frauen bei der OHG-Beratungsstelle des Frauenhauses Unterstützung. Die Zunahme beträgt rund sechs Prozent. Bei den Straftaten handelt es sich vorab um Drohungen, Nötigungen und Freiheitsberaubung. Mehr als 90 Prozent der Straftäter sind Männer.
Drei Viertel der Straftaten an Frauen wurden denn auch im häuslichen Rahmen begangen.
Die häusliche Gewalt hat vor zwei Jahren zu einer Änderung im Strafrecht geführt. Seit kurzem gilt die Gewaltanwendung in der Ehe und Partnerschaft als Offizialdelikt und kann daher von Amtes wegen verfolgt werden.
Diese Änderung erklärt teilweise auch den Anstieg der Zahl betreuter Fälle.
Hilfe für den Täter
Die Tagung zum Thema «Opferhilfe» wurde vom Kantonalen Sozialamt und den Beratungsstellen für Opfer von Straftaten organisiert. Auf die vier Vorträge vom Vormittag folgte am Nachmittag ein Gespräch am runden Tisch. Die Frage, ob auch Täter Hilfe erhalten, beschäftigte mehrere Anwesende im Publikum. Dass diesbezüglich noch ein Vakuum bestehe, wurde u.a. von der Gesprächsteilnehmerin Claudia Meier, Mitarbeiterin im Frauenhaus, bestätigt. Zu gross sei die Scham der Männer über Gewalttaten zu sprechen. Männergruppen im Sinne von Prävention (hohe Selbstmordrate) könnten das Manko auffangen.
(*Name geändert)
Nur noch zwei
Beratungsstellen
Das Opferhilfesystem im Kanton Freiburg umfasst zurzeit drei Beratungsstellen: Frauenhaus, Jugendamt und Psychosoziales Zentrum. Ab Juni wird es allerdings nur noch zwei kantonale Stellen geben:
l Kantonale OHG-Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche, Männer und Opfer von Strassenverkehrsunfällen (administrativ dem Jugendamt angeschlossen).
l OHG-Beratungsstelle für Frauen im Frauenhaus.
Aufgaben in der Opferhilfe übernehmen aber auch die Dargebotene Hand und «Asade» (Institution für Erwachsene, welche in der Kindheit sexuell ausgebeutet wurden).
Das Opferhilfe-System wird vom Kantonalen Sozialamt koordiniert. il