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Erinnerungen an Joseph Gogniat

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Erinnerungen an Joseph Gogniat

Zum 50. Todestag des Organisten und Konservatoriums-Direktors

Als im Mai 1954 der damalige Konservatoriums-Direktor Joseph Gogniat starb, schrieben die FN: «Seine Schüler äusserten sich stets mit grosser Anerkennung über sein Können und seine Begeisterung für den Organistenberuf.» Heute, 50 Jahre später, erinnert sich eine Schülerin an ihren «Meister».

Von URSULA RIKLIN-LORENZ*

Hoch über der Saane, unter dem Dach eines kleinen Freiburger Hotels, bin ich für 24 Stunden einquartiert. Nachts lausche ich dem Fluss, der mit sanftem Gemurmel seine Lektionen in Geschichte memoriert, während auch mein eigenes Erinnern sie umspielt, die geliebte Stadt der Kindheit und der ersten Jugendjahre.

* * *

Es ist Mai. In der Murtengasse blühen die Kastanienbäume. Vor dem schlanken Gebäude, das einmal die «Schola cantorum friburgensis» war, mache ich Halt: Ein Blick durch das vergitterte Türglas gibt den dunklen Treppenaufgang preis, wo im Lichte der Erinnerung die weisse Marmorbüste Schumanns steht.

Eine flüchtige Berührung der Messingklinke – und die Verwandlung ist perfekt: Ich bin 16 Jahre alt, Schülerin von Joseph Gogniat in den Fächern Harmonielehre und Solfège. Es ist Donnerstag, die Uhr im Vestibül schlägt vier. Herr Gumy, der Sekretär, faltet die Zeitung und meldet mich an.

* * *

Federnden Schritts und mit schneeweissem Bart erscheint der Meister auf der Schwelle seines Arbeitszimmers. Er lächelt, klatscht in die Hände: «Was werden wir denn heute Schönes singen?» Es ist die Zauberformel, die alle schlummernden Kräfte sofort weckt.

Nun betrete ich den Salon d’Or. Ein Flügel, glänzend schwarz, und ein Harmonium. Auf den Gesimsen der Rundbogenfenster türmen sich die Partituren. An des Meisters Schreibtisch und unter seinem wachsamen Auge kritzle ich rhythmische, melodische und harmonische Diktate, zu Lemoines Gesangsübungen schlage ich den Takt. Ist die Stunde um, ruft Herr Gumy aus dem Nebenzimmer an, damit der Meister seine Trambahn nicht verfehlt.

* * *

Doch die schönste Musikstunde findet an der Orgel von Sankt Nikolaus statt. Der Meister nimmt mich mit an sein Konzert, an einem Sonntagnachmittag im Mai, wenn die Kastanienbäume blühn. Wie ein Schiff im Sturm steht die Kathedrale mitten im Getöse des Verkehrs. Auf der Wendeltreppe schwindelt mir vor Glück. Hoch über dem kleinen blauen Tympanon, wo König David seine Harfe spielt, atmet es sich herrlich frei und leicht. Der Frühling bricht durch die Glasmalereien und verwandelt sich in ein mystisches Licht, Meister und Schülerin sitzen nebeneinander auf der Orgelbank.

Das Konzert beginnt mit einer Fantasia von Bach, dann folgen drei Choräle César Francks. Zwischen den Stücken erklärt der Meister mir das Instrument, die vier Manuale, die Pedale, die Register. Ich darf Fragen stellen, die mir auf der Zunge brennen. Auf die Frage nach der Verbindlichkeit des vorgeschriebenen Takts, lächelt der Meister mir durch seine Hornbrille zu: Wer Bach ohne «rallentando» und «accelerando» spielen wollte, wäre nicht ein Musiker, sondern ein Akrobat. «Höher als der Takt steht das Gefühl», flüstert er.

* * *

Solche Gespräche finden ihre Fortsetzung, im Konservatorium oder – an einem kalten Tag im Herbst – ausnahmsweise in der kleinen Bäckerei von gegenüber. Fröstelnd noch in seinem dunkelbraunen Pelz verlässt der Meister, auf den Stock gestützt, für ein Viertelstündchen seinen Arbeitsraum. Ein heisser Kaffee und ein paar süsse Brezeln wärmen uns.

Er erfährt von meinen Schülernöten und beschwichtigt sie. Ich erfahre von den musikalischen Abenteuern seiner Jugend, als er an der berühmten Ecole Niedermeyer war. Von seiner Arbeit über den Gregorianischen Choral, die er Papst Pius X. gewidmet hat. Auch vom Glanz und Elend des Musikerberufs sprechen wir bisweilen: «Ruhm und Ehre», sagt er, «ersetzen nicht das tägliche Brot.»

* * *

Im Winter spricht der Meister oft vom Tod. Wenn er von seinem grossen Traum erzählt, in seiner Stadt eine Schule zu gründen für Kirchenmusik, fügt er wohl leise hinzu: «Wer weiss, wie lange Gott mich nun noch leben lässt …» Doch wenn er spürt, dass seine Schülerin erschrickt, eilt er zum Flügel, fragt: «Erkennst du die Tonart?» und improvisiert ein fröhliches Stück.

Nach einer langen Krankheit zieht er sich nach Mont-Pèlerin zurück und muss mich einem anderen Lehrer übergeben; sein Name ist Aloys Fornerod. Wie den Aufbau der musikalischen Erziehung und wie jede einzelne Lektion bereitet der Meister auch diesen Übergang sorgfältig vor. Zu dritt sitzen wir im Salon d’Or, in den antiken Fauteuils, die von gelber Seide überzogen sind. Die Luft ist klar, es duftet nach Musik. «Ihr werdet gute Arbeit leisten», sagt der Meister und sieht uns eines nach dem andern freundlich an. Aloys Fornerod dankt für das Vertrauen, ich schlucke die Tränen, und der Meister legt die Hand auf meine Schulter: «Die Kunst des Abschieds ist auch eine wichtige Kunst.»

* * *

Kurz vor Weihnachten, in dem kleinen Blumenladen neben der Kathedrale, kaufe ich Nelken für unsere letzte Lektion. Diese Blumen sind in meiner Familie als Glücksbringer bekannt. Auch bin ich ihnen auf dem Flügelaltar der Franziskanerkirche begegnet, wo der unbekannte Nelkenmeister dicht neben dem neugeborenen Christkind eine rote und eine weisse Nelke hinterlassen hat. Mir gefällt die weisse über alle Massen.

So bekommt denn mein verehrter Meister sieben Nelken, schneeweiss und makellos, und seine Freude lindert mir das Abschiednehmen. Doch noch am selben Tag erfahre ich, dass es die falsche Farbe war: Weiss? Doch nur zu Taufe, Hochzeit oder Grablegung … Das Herz klopft bis zum Hals. In einem Brieflein bitte ich für diesen Fauxpas um Entschuldigung. Des Meisters Antwort ist zugleich das letzte Wort von ihm an mich: «Deine Blumen waren wunderschön. Hast du den Hauch von Rosa nicht bemerkt?»

* * *

Im nächsten Mai, wenn die Kastanienbäume wieder blühn, klingt das Grabgeläute über Stadt und Land. Zum ersten Mal trifft mich der Tod bis in das Mark. Während sich der Trauerzug der Kathedrale nähert, stehe ich zitternd am Portal, unter dem Jüngsten Gericht. Mir ist, als ob die Welt jetzt untergehe. Und dennoch weiss ich schon in diesem Augenblick, dass die Erinnerung an des Meisters musikalisches Genie und Menschentum mich durch ein ganzes Leben wird begleiten, ruhig strömend wie ein Orgelpunkt.

* Ursula Riklin-Lorenz wurde 1936 in St. Gallen geboren. Sie studierte Germanistik, Romanistik und Musikwissenschaft in Freiburg, Zürich, Basel und Paris. Danach war sie als Sekundarlehrerin tätig. Sie veröffentlichte Lyrik und Prosa in Buchform und in verschiedenen Literatur- und Kulturzeitschriften.

Musiklehrer und Domorganist

«Mit grosser Überraschung vernahm man gestern Morgen, dass Herr Joseph Gogniat, Direktor des Konservatoriums und gew. Domorganist, den man noch vor einigen Tagen in den Strassen von Freiburg sah, in der Nacht vom Sonntag auf Montag einer Gehirnlähmung erlegen ist.» So stand es am Samstag, dem 29. Mai 1954, in den Fre

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