Biathletin Amy Baserga, 23, verliert zu Beginn der Karriere ihren Freund bei einem Motorrad-Unfall. Sie spricht vor der WM über den Schicksalsschlag, über die neue Liebe zum besten Freund ihres verstorbenen Freundes. Und sie erklärt, warum die jüngsten Erfolge von Teamkollegin Lena Häcki-Gross auch sie selbst beflügeln.
Es ist Mittwochmittag, die Sonne scheint, das Restaurant in der Biathlon-Arena Lenzerheide ist gut besetzt. «Versuchen wir es hier bei den Trainern», sagt Amy Baserga und fragt in die Runde: «Sorry, stört es euch, wenn wir in der Ecke ein bisschen reden?» Kein Problem. Die Trainer-Sitzung ist gleich vorbei.
Baserga nimmt Platz. Die Maske bleibt auf während des Gesprächs. Eine Woche dauert es zum Zeitpunkt des Gesprächs noch, bis die WM an diesem Mittwoch im tschechischen Nove Mesto beginnt. Es gäbe kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt, um krank zu werden. Basergas Form stimmt. «Jeder und jede möchte irgendwann einmal an einer WM auf dem Podest stehen – aber ob jetzt das gleich in diesem Jahr schon passieren muss?», fragt sie und lacht.
Während knapp 60 Minuten spricht Baserga über ihr Leben und ihre Karriere. Offen. Direkt. Auch dann, wenn es sehr persönlich wird. Wer ihr zuhört, merkt rasch: Da spricht jemand mit einer Reife, die beeindruckend ist für eine 23-Jährige.
Die ersten Erinnerungen an Biathlon
Baserga wächst in Einsiedeln auf. Als Kind kann sie «nie rumhocken», erinnert sie sich. Geprägt von der Liebe zum Sport der Eltern und Grosseltern, versucht sich Baserga in vielen Sportarten. Langlaufen, «logisch in Einsiedeln», aber auch Skifahren, Skispringen, Biken, Reiten, Tanzen. Und dann entdeckt sie in einem Ferienspassprogramm Biathlon. Zusammen mit ihrem älteren Bruder und Kindern aus der Nachbarschaft nimmt sie am Rennen teil. «Neun Fehler beim Schiessen – und weil ich nicht so genau zählen konnte, lief ich zehn Strafrunden. Das sind meine ersten Erinnerungen an Biathlon.» Acht Jahre jung ist Baserga. «Und schon damals ein Wettkampf-Tier. Nie trainiert. Nur Wettkämpfe.»
Als Jugendliche besucht Baserga die United School of Sports. Es ist die Phase, wo die entscheidenden Wegweiser anstehen. Das Hin und Her zwischen Schule und Schnee wird ihr zu viel. Im April 2019 bricht sie die Schule ab. Ab diesem Moment konzentriert sie sich voll auf den Sport. Profi. Endlich.
Doch dann, es ist Ende August 2020, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Baserga kommt nach einem Trainingslager nach Hause. Sie ist müde. Darum fährt sie an diesem Abend nicht mehr zu Freund Lucas. Die beiden verabreden sich für den nächsten Tag. Der Plan: Biken auf der Lenzerheide. In der Nacht klingelt Basergas Telefon. Sie erhält die tragische Nachricht, dass Lucas bei einem Motorradunfall gestorben ist.
Amy Baserga, wie stark hat Sie der Tod aus der Bahn geworfen?
Es passierte zu einem Zeitpunkt, wo normalerweise die letzten Vorbereitungen auf die Biathlon-Saison anstehen. Die Zeit unmittelbar nach dem Tod war schwierig. Es gab Tage, da lag ich nur im Bett und heulte. Es gab Nächte, da schlief ich eine Stunde, manchmal auch gar nicht. Ich hatte und habe mit der Familie von Lucas einen engen Kontakt. Wir organisierten eine Gedenkfahrt für ihn auf dem Velo, damit sein Umfeld in einem Rahmen Abschied nehmen konnte, der zu ihm passte – das Bike war ein steter Begleiter in seinem Leben. Ich habe in dieser Zeit viele Trainings ausgelassen.
Verständlicherweise.
Gleichzeitig versuchte ich dann auch, mich aufzurappeln. Ich hatte das Ziel Juniorinnen-WM vor Augen und den Sprung in den Weltcup zu schaffen. Auch Lucas selbst hätte gewollt, dass ich dort performe. Auch alle Trainer wollten nur das Beste für mich. Sagten mir, das Training lenke mich ab, bringe mich zurück in den Alltag. Und ich selbst wusste schon in frühen Jahren: Ohne Seriosität im Training ist Erfolg unmöglich. Im Nachhinein würde ich einige Dinge vielleicht anders machen.
Sich noch vertiefter mit der Trauer auseinandersetzen?
Genau. Aber ich war ja erst 20. Ich konnte vieles überspielen. Im Training hatte es keinen Platz für die Trauer. Aber es gab Tage, an denen mein Kopf einfach nicht bereit war. An denen ich müde war.
Und dann gewinnen Sie an der Juniorinnen-WM tatsächlich zweimal Gold…
… In dieser Phase habe ich dann auch die eine oder andere Stimme mitgekriegt, die sagte, ich hätte wohl nur trainiert und gebe nur vor, zu trauern. Das fand ich grenzwertig und hat mich getroffen. Wenn ich daran denke, wie weit Biathlon zeitweise weg war.
Sie sagten einmal: «Ich möchte es mir nicht anmerken lassen, wenn es mir nicht gut geht.» Warum nicht?
(lacht) Ich bin halt einfach ein ziemlich fröhlicher Mensch. Ich funktioniere so, dass ich vieles immer ins Positive drehe. Das war schon immer so. Und ist auch heute noch so. Auch mit Schmerzen. Ein Beispiel: Ich habe mein Band gerissen in der linken Hand. Ich laufe damit schon die ganze Saison. Und jeder, der mich fragt, wie es geht, hört von mir: «Geht tipptopp!» Für mich denke ich aber schon: Wäre schöner ohne die Schmerzen…
Wie schauen Sie heute auf den Tag zurück, als Lucas starb?
Das zu erklären, ist manchmal schwierig…
… mögen Sie es versuchen?
Es gibt im Leben eines jeden ganz viele Abschnitte, die einen prägen. Die jeder mit sich trägt. Ich vergleiche es mit Songs auf einer CD. Auf der CD meines Lebens befinden sich viele Songs mit Lucas. Und diese Songs bleiben ein Leben lang bei mir. Die werfe ich nicht einfach weg, nur weil Lucas gestorben ist.
Müssen Sie sich im Alltag manchmal dafür rechtfertigen?
Das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber es gibt Momente, da spüre ich, dass mein Gegenüber Fragen hat. Ich kann verstehen, dass es manchmal schwierig ist abzuschätzen, wie man mit mir umgehen soll bei diesem Thema. Darum habe ich Kollegen und Kolleginnen stets gesagt: «Hey, ihr könnt ganz normal sein mit mir. Ihr könnt mich immer fragen, egal was, weil alles andere ist unangenehm.» Ich kann gut über die Vergangenheit reden. Manchmal erzähle ich auch eine Geschichte, im Sinne von: Dort war ich mal mit Lucas in den Ferien. Das gehört dazu. Das ist nicht schlimm.
Zur Normalität gehört auch, dass Sie mittlerweile in einer neuen Partnerschaft leben.
Genau. Mein Partner Robin war der beste Freund von Lucas.
Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?
Sie können sich bestimmt vorstellen, dass ich auch deswegen mit ein paar Fragen konfrontiert war. Ich spürte den einen oder anderen Gedanken à la: Jetzt nimmt sie einfach den besten Freund… Dabei ist es eine schöne Geschichte. Wir haben beide dasselbe erlebt, auf eine leicht andere Art. Wir waren vorher schon befreundet, haben gemeinsam um Lucas getrauert, viel Zeit miteinander verbracht. Wir müssen einander nichts erklären, wenn wir mal scheinbar ohne Grund traurig sind – und ich dann bei anderen sagen würde: nicht so schlimm. Und noch etwas…
… erzählen Sie!
Wir beide haben jetzt drei Familien. Der Kontakt zu den Eltern von Lucas ist uns sehr wichtig. Wir können auch alle gemeinsam am Esstisch sein, über Dinge lachen. Manchmal sind wir auch gemeinsam traurig. Eines finde ich grundsätzlich wichtig: Es braucht keine Vergleiche zwischen dem «alten» und dem «neuen» Leben. Es war schön. Und es ist auch jetzt schön. Lucas Tod hat mir ein Bewusstsein geschaffen, Dinge im Leben zu schätzen, die man hat.
Die Freude für Teamkollegin Lena Häcki-Gross
Der Übergang von den Juniorinnen zur Elite hat Baserga längst vollzogen. Mittlerweile bestreitet sie ihre dritte Weltcup-Saison. Wobei sie einige Widerstände aus dem Weg räumen muss auf dem Weg nach oben. Immer wieder wird sie von Verletzungen und Krankheit gestoppt. Zweimal schaffte sie es in der Single-Mixed-Staffel zusammen mit Niklas Hartweg in die Top 3. Der erste Podestplatz in einem Einzelrennen lässt jedoch noch auf sich warten.
Doch Grund zur Sorge ist das für Baserga nicht. Im Gegenteil. Sie sagt: «Wenn ich meine Geschichte anschaue, dann bin ich sehr zufrieden damit, wie es läuft. Wenn ich das Gesamtbild anschaue, dürfte ich sogar noch etwas mehr stolz sein auf mich. Ich bin von Natur aus sehr selbstkritisch. Manchmal vielleicht zu sehr.»
Durch die jüngsten Erfolge sind derzeit viele Augen auf Lena Häcki-Gross gerichtet. Baserga freut sich für sie mit. «Was sie gerade erreicht, hat für uns alle einen grossartigen Einfluss. Es tut uns allen gut, wenn wir mehr Aufmerksamkeit erhalten. Und es ist auch die Bestätigung, dass wir als Team auf einem guten Weg sind. Wir arbeiten so viel zusammen. Wir verbringen so viel Zeit miteinander. Und wir teilen gewissermassen auch die Erfolge zusammen.»
Baserga gewann vor einem Jahr zusammen mit Niklas Hartweg EM-Silber in der Single-Mixed-Staffel. Dass weitere Erfolge folgen könnten, darüber sind sich die Fachleute einig. Potenzial liege vor allem im Laufen brach. «Stimmt, das sehe ich auch so», sagt sie selbst. Beim Schiessen dagegen sind Basergas Leistungen bereits konstanter. Vor einer Woche schloss sie ihr erstes Massenstart-Rennen überhaupt gleich auf Rang 10 ab. Das macht Lust auf mehr. Vielleicht ja schon ab Mittwoch an der WM.
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