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Festgenommen und wegen Nötigung verurteilt: Sind Polizei und Justiz zu harsch mit Klimaaktivisten?

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Seit zahlreiche Klimaaktivisten nach einer Strassenblockade in Zürich wegen Nötigung vor Gericht kamen, ist es still geworden um die Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion.

Anna Katharina Mühlemann ist eine 67 Jahre alte Klimaaktivistin und setzte sich auf Strassen, um den Verkehr zu blockieren. «Setzte» in Vergangenheitsform, denn sie hat dieser Art des Aktivismus aufgegeben. Ihr Grund: Sie traut sich nicht mehr, «aufgrund der unverhältnismässig harschen Reaktion der Justiz gegenüber Klimademonstrierenden», wie in einer Medienmitteilung der Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion, kurz XR, zu lesen war.

Mühlemann setzte sich am 4. Oktober 2021 mit rund 250 anderen XR-Demonstrierenden auf die Uraniastrasse in Zürich, im Rahmen einer angekündigten, aber unbewilligten Demonstrationswoche. «Ich wollte die Gefahren des Klimawandels nicht mehr passiv auf mich und nächste Generationen zukommen lassen», sagt sie. «Ziviler Widerstand schien mir das einzige Mittel.»

Nach etwa anderthalb Stunden begann die Polizei, Demonstrierende wegzutragen und nahm 134 von ihnen vorübergehend fest. Noch am selben Tag sagte eine Polizeisprecherin gegenüber SRF, die Festgenommenen müssten möglicherweise eine Nacht auf dem Polizeiposten bleiben und mit einer Anzeige wegen Nötigung rechnen.

Eine Nacht hinter Gittern

So kam es denn auch. Während ihr Mann von zu Hause aus einen Anwalt organisierte, machte Mühlemann in der Polizeizelle Entspannungsübungen, um einschlafen zu können. Diese Übungen hatte sie extra vorher einstudiert. Denn sie habe, das gibt sie zu, schon ein wenig damit gerechnet, auf dem Polizeiposten schlafen zu müssen. Nach 24 Stunden kam sie frei.

Mühlemanns Zellengenossin wurde einen halben Tag später entlassen, einige der Aktivistinnen und Aktivisten erst nach 48 Stunden. Sie mussten DNA-Proben abgeben und Leibesvisitationen am nackten Körper über sich ergehen lassen. Ein Aktivist wurde rektal untersucht. Alle wurden angezeigt und später per Strafbefehl der Nötigung bezichtigt. Einige Urteile sind unterdessen rechtskräftig, andere Verfahren laufen noch.

Die Begründungen für die Schuldsprüche und die Bestrafungen ähneln sich. In aller Kürze: Die Demonstrierenden haben ihr persönliches Anliegen über die Bewegungsfreiheit anderer Personen gestellt. Das ist Nötigung. Bestraft werden sie mit bedingten Geldstrafen von ein paar Tausend Franken, mit einer Bewährungsfrist zwischen einem und drei Jahren.

Zu harsch für friedlichen zivilen Ungehorsam, findet Mühlemann. «In den zwei Jahren Bewährungsfrist sollte ich mich nun genötigt fühlen, die Folgen des Klimawandels protestlos hinzunehmen.» Gemeinsam mit anderen Aktivistinnen werde sie das Urteil bis nach Strassburg weiterziehen, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie sehen sich in ihrem Meinungsäusserungs- und Versammlungsrecht verletzt und unterstellen den Behörden, die Klimaproteste zu unterdrücken. Die Aktivisten nennen das: Abschreckungseffekt.

Oberrichter: «Das riecht schon nach Abschreckungseffekt»

Auch der Zürcher Oberrichter Christoph Spiess sieht das so. Er hat mehrere dieser Fälle verhandelt, einige Aktivistinnen hat er freigesprochen, andere wegen Nötigung verurteilt. In mindestens zwei Fällen zweifelte er daran, ob die zweitägige Haft, die DNA-Probe und die Leibesvisitation am nackten Körper gerechtfertigt gewesen seien.

«Grenzwertig», sagte er in der Verhandlung einer 46-jährigen Aktivistin, nachdem er sie schuldig gesprochen hatte. «Das riecht schon nach Abschreckungseffekt, wenn friedliche Demonstranten 48 Stunden weggesteckt werden.» So bekämen die Menschen Angst, für ihre Meinung einzustehen. Am Prozess zweier Aktivistinnen, die er freisprach, sagte er gemäss dem Onlinemagazin «Republik», in anderen, ähnlichen Fällen gebe es das nicht. «Das muss einmal gesagt werden. Das stört mich.»

In einem am 2. April 2024 veröffentlichten Schreiben äusserten sich fünf Sonderberichterstattende der UNO besorgt über die Verfolgung der Demonstrierenden. Sie betonten, dass der Schweizer Staat verpflichtet sei, den friedlichen zivilen Ungehorsam zu schützen. Die Zivilgesellschaft habe «immer eine führende Rolle gespielt», etwa bei «humanitären, gesundheitlichen und klimatischen Krisen».

In der Schweiz ordnet die Staatsanwaltschaft der Polizei an, was in solchen Fällen zu geschehen hat. Sie kann die Aktivisten während maximal 48 Stunden festhalten und vernehmen. Auf Anfrage teilt die Zürcher Staatsanwaltschaft mit, die Festnahmen am 4. Oktober 2021 hätten «enorm viele Kapazitäten» gebunden. Darum sei die gesetzliche Frist von 48 Stunden in einigen Fällen notwendig gewesen. Und: «Gegen das gewählte Vorgehen erfolgten in der Folge keine Beschwerden.»

XR ändert Strategie

Anna Katharina Mühlemann wird an keinen Sitzblockaden mehr teilnehmen. Sie könne das Risiko nicht mehr eingehen, weil sie sich um ihren kranken Mann kümmern müsse. Auch sonst ist es ruhig geworden um Extinction Rebellion. Seit dem Oktober 2021 hat die Bewegung kaum mehr von sich reden gemacht. Ist sie erlahmt, weil sich niemand mehr auf die Strasse traut?

Der XR-Aktivist Floriano Crivelli sagt: «Einerseits ja.» Ein Eintrag im Strafregister sei schlecht für die Wohnungs- oder Jobsuche. Zudem seien Gerichtsverfahren teuer. «Grosse Aktionen lohnen sich nicht mehr, wenn sie zu so vielen Festnahmen und Verurteilungen führen.»

Andererseits, sagt Crivelli, tue das dem Aktivismus keinen Abbruch. XR-Mitglieder engagieren sich nun in anderen Klimaschutzbewegungen und verändern ihre Vorgehensweise. Sie besetzen nun eher Waldabschnitte oder Öl-Infrastruktur anstatt Strassen und Banken. «Wir blockieren weniger mit Leuten und mehr mit Material, zum Beispiel verstärkten Fässern», sagt Crivelli. «Und wir versuchen, die Bevölkerung direkt über die Klimakrise aufzuklären.»

Kein Unterschied zwischen «guter» und «böser» Absicht

Das Wegtragenlassen, die Gerichtsprozesse und nun die Empörung über den «Abschreckungseffekt» sind natürlich immer auch Teil der Inszenierung von Klimaschutzbewegungen. Denn überraschend sind die Verurteilungen wegen Nötigung nicht. Im Gegenteil, sagt die Grundrechtsprofessorin Raphaela Cueni. XR musste basierend auf der bisherigen, jahrzehntelangen Rechtsprechung des Bundesgerichts sogar stark davon ausgehen, dass Strassenblockaden vor Gericht enden würden.

«Man kann diese Rechtsprechung für problematisch halten. Aber bei Blockaden ist das Strafrecht streng», sagt Cueni. Sie würde sich vor Gericht aktuell nur rechtfertigen lassen, wenn sie tatsächlich die einzige Möglichkeit wäre, die Klimaerwärmung zu stoppen. «Da macht es rechtlich keinen Unterschied, ob man ‹gute› oder ‹böse› Absichten hat. Wer ‹aus gutem Grund› zu schnell fährt, erhält trotzdem eine Busse.»

Bleibt die philosophische Frage: Wie viel zivilen Ungehorsam muss eine Gesellschaft aushalten? «Eine demokratische Gesellschaft braucht Menschen, die den Status quo hinterfragen und Gesetzesänderungen erwirken», sagt Cueni. Ziviler Ungehorsam ist ein Mittel dazu, das es seit der Antike gibt. Das ändere aber nichts am geltenden, demokratisch entstandenen Recht, das auf alle angewendet werden muss.

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