Die alte Frau will Dörrfrüchte. Und Fischkräcker. Diejenigen von hier, von diesem Laden, auch wenn sie weit weg wohnt. Anderthalb Stunden reiste sie mit Zug und Bus an, weil ihr der Laden gefällt, weil er der beste ist weit und breit, vielleicht der beste Japans. So ungefähr diktierte es die alte Frau der Dolmetscherin, als Cili Märk erstmals in Japan war – das war im April, ihre erste grosse Reise überhaupt, erzählt die 51-Jährige aus Gampelen.
Die Begegnung mit der Frau in deren Lieblingsgeschäft war eines von mehreren Erlebnissen, die nicht dem entsprachen, was eine Schweizerin erwartet, wenn sie an Japan denkt. Zurückhaltend seien die Japaner, verschlossen, heisst es. Die alte Frau war das Gegenteil davon. Ebenso die Schulklasse, die Cili Märk in einem Park fotografierte. Die Kinder freuten sich. «Muss das sein?», hätten Schweizer Schüler wohl gemault.
Ähnliches gilt für das Bild japanischer Städte: grau und grässlich in der Vorstellung vieler, «lebensfroh und bunt» in der Erinnerung von Märk, die während ihrer vierzehntägigen Reise vor allem eines tat: Sie fotografierte, was sie sah.
Abschotten war früher
Dabei ist Japan ein Ort, von dem man nicht viel wissen muss, um ihn zu kennen. Japan ist Sushi. Und neuerdings: Fukushima. «Ich habe gehört, was die Leute über Japan erzählen», sagt Märk. Viele hätten eine vorgefasste Meinung. Somit gibt es Parallelen zum Tannenhof in Gampelen, wo Märk morgen Bewohnern und Besuchern ihre Fotos zeigt. Der Anlass gehört zur Öffentlichkeitsarbeit des Tannenhofs, wo Menschen mit psychischen und sozialen Problemen wohnen. Menschen, die Betreuung brauchen, aber nicht zwingend Therapie. Menschen die arbeiten können, aber langsamer, als es die Gesellschaft will. Institutionen wie der Tannenhof seien früher abgeschottet gewesen, sagt Märk. Kontakt habe kaum jemand gesucht, die Leute aus dem Dorf keinesfalls, aber auch die Bewohner nicht, die sich schämten. Heute würden Begegnungen geschätzt und gezielt herbeigeführt. Wer morgen Abend Japan aus der Ferne kennenlernen will, entdeckt darum auch den Tannenhof von innen.
Cili Märk hatte das Glück, mit einer Schweizerin zu reisen, die in Japan lebt, gut Japanisch spricht und als Dolmetscherin agierte. So konnte sie die Fragen stellen, die einem auf Japanreise unweigerlich in den Sinn kommen. Sie sah hinter die Sushi-Fassade. Wohl deswegen gibt es im Tannenhof einfach Kaffee und Kuchen, keinen rohen Fisch.
Märk durchschaute in Japan Geheimnisse. Zumindest eines davon wird sie morgen wohl lüften: jenes, warum sich die alte Frau in ihrem geliebten Dörrfrucht- und Fischkräcker-Geschäft, nach Minuten des Draufloserzählens, kaum sieht sie den Fotoapparat, sofort die Hand vor den Mund hält.
Stiftung Tannenhof,Gampelen. Fr., 27. Sept., 19.30 Uhr. Eintritt frei (Kollekte).
Cili Märk. Bild zvg
Foto-Präsentation: Der Abend gehört allein den Bildern
C ili Märk-Meyer, eigentlich Cäcilia, stammt aus dem Aargau. Seit 15 Jahren wohnt sie in Gampelen im Berner Seeland. Als sozialdiakonische Mitarbeiterin ist sie zuständig für die Senioren in der katholischen Pfarrei Ins-Täuffelen. Gelernt hat sie Farbfotolaborantin; doch die öffentlichen Foto-Abende in der Stiftung Tannenhof – wo ihr Mann Richard Märk als Heimleiter arbeitet – haben bisher stets andere bestritten.
Einer von ihnen war der in der Region bekannte Fotograf Béat App. Er zeigte Bilder vom Chasseral und vom Seeland. Das kannten die Leute, dementsprechend zog der Gratis-Anlass viele Besucherinnen und Besucher an. Japan kenne man weniger, und so habe sie «keine Ahnung», wie viele Leute sich für ihre Fotos interessierten, sagt Märk. Dennoch wagt sie sich, ihre Bilder in einer Präsentation zu zeigen. Ihr Ziel: Die Leute sollen Japan, das Land, anschauen können. Also will Märk nicht zu viel sprechen, keine Namen der japanischen Kaiser nennen oder gar historische Jahreszahlen. «Das würden die Leute sowieso gleich wieder vergessen.»
Und ein zweites Versprechen macht sie auch, in aller Bescheidenheit: Sie habe ein gewisses Auge für Bilder, es seien «keine Ferienfotos». mk