briefE an die fn
Fusionitis bei den Raiffeisenbanken
Kürzlich konnte man in dieser Zeitung lesen, die Genossenschafter der Raiffeisenbank Jaun hätten zum zweiten Mal eine Fusion mit Charmey abgelehnt. Der Berichterstatter, obschon selber Jauner, liess Bedauern durchblicken, geraten doch die Journalisten beim Wort «Fusion» stets in Begeisterung.
Selbstbestimmung
Sieht man vom Sprachenproblem beim Jauner Fusionsprojekt einmal ab, so bleibt die Selbstbestimmung als wichtigstes Argument. Je grösser eine Genossenschaft, desto weniger hat der einzelne Genossenschafter noch zu sagen. Gar nichts mehr bei grossen Genossenschaften wie Coop, Die Mobiliar, bei Migros gerade noch ja oder nein zur Jahresrechnung, hie und da kommt noch eine weitere Pro-forma-Frage, um deren Ergebnis sich die Leitung überhaupt nicht kümmert (z.B. die abgelehnte Expansion ins Ausland, die dennoch durchgeführt wurde). Eine solche Genossenschaft wünschen sich offenbar manche Köpfe im Schweizer Verband der Raiffeisenbanken (SVRB). Konnte man doch kürzlich im Radio hören, die Raiffeisen-Gruppe wolle einen Drittel der Filialen schliessen. Dabei ist jede Raiffeisengenossenschaft eine selbständige Bank; Selbstbestimmung und Genossenschaftsgedanke sind die Grundprinzipien des so erfolgreichen Modells von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Freilich betreibt der SVRB in einigen Städten tatsächlich Filialen ohne Genossenschafter, was dem Namen Raiffeisen Hohn spricht.
Gewinnvergleich
Die Vertreter des SVRB behaupten, es brauche eine bestimmte Grösse, damit eine Raiffeisenbank existenzfähig sei. Im Falle vieler Kleinstkassen hatten sie recht, doch solche gibt es längst nicht mehr. Trotzdem hebt die St. Galler SVRB-Zentrale die Richtzahlen für die Idealgrössen ständig an, spricht von Synergien und Rationalisierung. Es fällt aber auf, dass sich die Gewinne nicht dementsprechend verhalten. So erzielte Rechthalten-St. Ursen mit 1332 Mitgliedern im Jahre 2002 einen Bruttogewinn von 1 296 681 Franken, d. h. 973 Franken pro Mitglied, Bösingen gar 1007 Franken (2 281 000/2264), dagegen die fusionierten Wünnewil-Flamatt-Schmitten-Neuenegg mit 5526 Mitgliedern einen Bruttogewinn von 2,5 Mio. (Zahl gerundet aus der Zeitung), d. h. nur 452 Franken pro Mitglied; die Raiffeisenbank Schwarzwasser mit 4092 Mitgliedern brachte es sogar nur auf 412 Franken pro Mitglied. Da kann sich Jaun mit 617 Franken (2002) noch durchaus sehen lassen. 2003 ist der Gewinn in Jaun zwar eingebrochen auf 420 Franken je Mitglied, doch Schwarzwasser, dessen «gutes Geschäftsjahr» gerühmt wird, brachte es auf wenig mehr, nämlich 434 Franken. Von einer bestimmten Grösse an generieren offenbar diese Banken zwar höhere Bilanzsummen, aber keineswegs höhere Gewinne, d. h. sie arbeiten mehr für die Angestellten als für die Genossenschafter. St. Gallen übt unabhängig vom Geschäftsgang einen enormen Fusionsdruck aus, Hut ab vor den Jaunern, dass sie ihm widerstanden haben!
Aufgeblähte Zentrale?
Im Gegensatz zu Jaun fehlt es in St. Gallen nicht an Personal. Manche befürchten, die Zentrale wachse sich zum Wasserkopf aus. Wurden in den Jahren der Börsen-Baisse vielleicht zahlreiche ausrangierte Grossbänkler sozusagen auf Vorrat eingestellt, die man nun als Anlageberater platzieren möchte? Ist die ideale Grösse einer Bank jene, die einen Anlageberater füttern kann? Auch die teuer aufgemachte Zeitschrift «Panorama» könnte ein Produkt unnötiger St. Galler Betriebsamkeit sein, denn sie entspricht keinem Bedürfnis. Man hat den Eindruck, es herrsche dort gerade jene Ospel-Mentalität, die so viele ehemalige Grossbankkunden zu Raiffeisen getrieben hat. Bei der eigentlichen Aufgabe der Zentrale, der Aufsicht, scheint sie weniger eifrig zu sein. Könnte sonst eine Panne passieren wie letzthin in Balerna (92 Mio. Schaden bei 200 Mio. Bilanzsumme)? Jede Deutschfreiburger Raiffeisenbank wird in den nächsten Jahren noch zigtausend Franken daran zu zahlen haben, während sich der SVRB vornehm aus der Solidarität verabschiedet hat. Damit wir brav bei der Stange bleiben, dürfen die Genossenschafter zum halben Preis nach Zermatt und dies gerade im ersten Jahr, wo man mit General-Abonnement gratis dorthin fahren kann.
Vorschläge
Gewiss: Es braucht einen Verband, nicht nur für die Solidarität im Notfall, auch für den Alltag: die ganze EDV-Beschaffung und Ausbildung, die Kommunikation unter den Banken usw. Vielleicht könnte ein aktiverer Deutschfreiburger Verband manche Aufgaben übernehmen, für die jetzt Fusionen als nötig hingestellt werden. Z.B. muss nicht jede Bank einen eigenen Anlageberater haben, der Verband könnte solche in einem Pool anbieten; auch Personalengpässe, etwa für Ferienablösungen, könnten durch Zusammenarbeit benachbarter Banken behoben werden. So wäre wohl auch Jaun zu helfen. Insbesondere sollte die Weiterbildung des einheimischen Personals gefördert werden, denn für eine Raiffeisenbank braucht es Generalisten mit Ortskenntnis, nicht Spezialisten aus Grossbanken. Und vor allem möchten wir lieber höhere Zinsen als Vorschläge, wie man sein Geld mit der Börse verlieren kann.
Peter F. Kopp, Freiburg