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Gastbeitrag: Worüber Europa und die Schweiz angesichts des Kriegs in der Ukraine jetzt nachdenken müssen

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Nach Ansicht von drei Professoren der Universität Freiburg seien nur die entschlossene Kooperation und entschiedene Koordination unter allen europäischen Staaten eine adäquate Antwort auf die Demokratie und Recht verachtende Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin.

Das ist mit dem Angriff vom 24. Februar nun Geschichte. Wladimir Putin will jetzt eine neue Ordnung etablieren, die sich um Einflusszonen, Macht und Raum dreht – und nicht mehr um Demokratie und Recht. Die politisch-militärische Ordnung Europas nach dem Ende des Kalten Krieges, wie sie in der Charta von Paris festgelegt wurde, wird damit einseitig aufgekündigt.

Instrumentalisierung der Geschichte

Putin instrumentalisiert Geschichte und konstruiert historische Mythen und Kontinuitäten von der Kiewer Rus bis heute, um seine Einflusszonen zu definieren. Aus der Sicht der Geschichtswissenschaft sind die Vorlesungen, die Putin seinem Volk im Fernsehen hält, voller falscher Fakten, Fehleinschätzungen und Auslassungen. Für Putin dient die Geschichte ausschliesslich zur Legitimierung seiner heutigen machtpolitischen Interessen.

Er hat keinen Blick dafür, dass sich in der Ukraine spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein – zwar immer wieder gestörter und unterbrochener, aber doch konsequenter und kontinuierlicher – Prozess der Nationsbildung vollzogen hat. Den wohl entscheidenden Beitrag zur Festigung der ukrainischen nationalen Identität hat Putin selbst geleistet, und zwar mit seiner aggressiven Annexions- und Interventionspolitik seit 2014: Auch russischsprachige Ukrainerinnen und Ukrainer identifizieren sich in der Mehrheit mit ihrem eigenen Staat.

Der Verlauf der ersten Tage der Invasion zeigt, dass Putin in einer Mischung aus Arroganz und Wunschdenken die tatsächliche Stimmungslage in der Ukraine falsch eingeschätzt hat. Die russischen Soldaten werden nicht als Befreier begrüsst, sondern als Besatzer gefürchtet, verachtet und bekämpft.

Repression und Gesinnungsterror in Russland

Auch in der russischen Bevölkerung ist Putins vorgeblich friedensstiftende «Spezialoperation» weniger populär, als es der Kreml gerne hätte und uns glauben lassen möchte. Bald nach Beginn der Invasion sind in Russland Gesetze erlassen worden, die eine kritische oder auch nur faktenorientierte Berichterstattung über die Operation – die «Krieg» zu nennen, in Russland verboten ist – verhindern sollen. Nun stehen in Russland bis zu 15 Jahre Gefängnis auf die Verbreitung der Wahrheit über das Geschehen in der Ukraine.

Das Verbot kritischer Berichterstattung und die Verfolgung Andersdenkender in Russland hat Dimensionen erreicht, die an die dunkelsten Zeiten sowjetischen Terrors gemahnen.

Putins imaginierte Bedrohung durch die Ukraine

Die Forderungen, mit denen Putin noch während des Monate andauernden Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine die internationale Gemeinschaft konfrontierte, sahen einen Verzicht der Ukraine auf ihre staatliche Souveränität vor. Hier ging es nicht darum, Verhandlungen zum Erfolg zu führen, sondern darum, sie scheitern zu lassen, um einen Vorwand für die Invasion zu schaffen.

Putin stellt die Bedrohung, die er als Grund angibt, erst her. Seine erklärten Kriegsziele – die sogenannte «Entnazifizierung» und die Beendigung eines «Genozids» im Donbass – entbehren jeglicher faktischer Grundlage. Putin ist schon früher nach dem gleichen Schema vorgegangen: Er behauptet, dass russische Sicherheitsinteressen gefährdet seien und zieht daraus die Begründung für Interventionen, die die Sicherheitsinteressen der Nachbarländer bedrohen – und ihre territoriale Integrität verletzen. 

Russland als revisionistische Macht

Die Invasion der Ukraine durch Russland kann nur vor dem Hintergrund der imperialen Ambitionen des postsowjetischen Russlands verstanden werden. Die russischen Eliten haben sich mit dem Verlust der Ukraine nie abgefunden. Sie sehen Russland als imperiale Macht, die ihren Nachbarn die «Machtvertikale» des Imperiums aufzwingen darf.

Russland versucht seit Jahren, seinen Einfluss in seiner Nachbarschaft auszubauen. Die bei Putin und seinen Eliten zu beobachtenden Ressentiments gegenüber dem Westen, die auch hierzulande immer noch auf viel Verständnis stossen, haben letztlich mit dem Verlust des Grossmachtstatus zu tun.

Die Bedrohung durch die Demokratie

Im Modell dieser autoritären und imperialen Machtvertikale gibt es keinen Platz für Demokratie. Das Putin-Regime sieht sich seit Langem bedroht durch Demokratisierungsprozesse in seinen Nachbarländern. Deshalb geht es in diesem Krieg auch um eine Konfrontation zwischen Autokratie und Demokratie.

Trotz aller struktureller Probleme ist die Ukraine eine Demokratie – ein Land, in dem, anders als in Russland seit 2000, der Sieger nicht schon vor den Wahlen feststeht. Die ukrainische Gesellschaft ist zweisprachig; es gibt in der Ukraine auch eine freie russischsprachige Öffentlichkeit.

Seit der Maidan-Revolution von 2013/14 ist die ukrainische Demokratie mit ihrem Pluralismus zu einer Bedrohung geworden – allerdings nicht für die Sicherheit Russlands, sondern für die Stabilität des Systems Putin. Dieses System beruht auf einer umfassenden Kontrolle der Gesellschaft durch eine Mischung aus Propaganda, Zensur und Polizeiterror.

Seit Jahren versucht Russland durch die Verbreitung von Desinformationen und die Finanzierung extremistischer Parteien und Organisationen die demokratischen Gesellschaften des Westens zu destabilisieren.

Eine gemeinsame europäische Antwort?

Europa darf sich nicht auf das Denken in geopolitischen Einflusssphären einlassen, mit dem der Kreml es zurück ins 19. Jahrhundert zwingen will. Sicherheit und Freiheit in Europa sind unteilbar. Nur die entschlossene Kooperation und entschiedene Koordination unter allen europäischen Staaten stellen eine adäquate Antwort auf die Demokratie und Recht verachtende Politik Putins dar. Nur gemeinsam können die Staaten Europas die Demokratie und ihre gemeinsamen Werte verteidigen.

Standhaft gegenüber Russland bleiben, heisst dabei auch: zu differenzieren zwischen dem verbrecherischen Regime und einer Gesellschaft, die von diesem in Geiselhaft genommen wurde. Putin ist nicht gleich Russland. Während die russische Armee die Städte der Ukraine zerstört, vernichtet sein Polizeiregime im Innern die Lebensperspektiven von Millionen Menschen.

Doch Putins System hat ein Verfallsdatum – es wird seinen Schöpfer nicht überdauern. Europa und die Schweiz müssen jetzt schon darüber nachdenken, wie eine künftige Zusammenarbeit mit Russland und eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur aussehen sollen.

Die Autoren

Nicolas Hayoz ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa. Publikationen u.a. zu politischen Entwicklungen in Osteuropa, v.a. im postsowjetischen Bereich.
zvg/Stéphane Schmutz / STEMUTZ.COM
Siegfried Weichlein ist Professor für Europäische und Schweizerische Zeitgeschichte an der Universität Freiburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte des Nationalismus, des Föderalismus und des Regionalismus.
zvg
Jens Herlth ist Professor für Slavistik an der Universität Freiburg. Publikationen u.a. zu polnisch-ukrainischen kulturellen Beziehungen im 19. u. frühen 20. Jahrhundert.
zvg

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