Hätten Sie Lust auf «Andouillette»?
Die Ferien kommen näher: fremde Gegenden, fremde Kulturen, fremde Sprachen und fremde Essgewohnheiten. Auch wenn mittlerweile längst China, Indien, Mexiko, die USA und viele andere Länder Spezialitäten in der Schweiz anbieten, kann man unterwegs immer wieder Überraschungen erleben – positive wie negative.
Es gibt zwei extreme Möglichkeiten. Entweder ernährt man sich möglichst heimatnah: in Spanien beim Deutschen, in Südostasien beim Italiener, in Nordamerika beim Schweizer oder in Südafrika beim Franzosen. Da kann man höchstens etwas falsch machen, wenn der Asiat beispielsweise gar keinen Ofen hat, um eine Pizza zu machen. Wenig Überraschendes gibts auch im Reich der gastronomischen Globalisierung – bei McDonald’s, Burger King, Kentucky Fried Chicken und allen anderen Fastfood-Ketten (laut Werbung isst man ja momentan typisch schweizerisch am besten bei McDo).
Wer aber etwas mehr über das Reiseland herausfinden will, kommt nicht darum herum, auch mal am Dampfabzug einheimischer Küchen zu riechen. Da gibts oft die wunderbarsten Trouvaillen und günstige Mehrgangmenüs irgendwo in abgelegenen Bergdörfern. Mmmmmh! Manchmal gibt es bei diesen regionalen Spezialitäten aber auch Missverständnisse. Touristen sollten sich schleunigst Wörter merken wie «Eperlans», «Andouillette», «Haggis» oder «Vegemite». Sonst könnte es unliebsame Überraschungen geben.
«Une petite friture d’éperlans» heisst nicht, dass wenige frittierte Fische, sondern, dass sehr kleine Fische mit Kopf, Augen, Schwanz und dem ganzen Innenleben in der Friteuse gebadet wurden. Und was sind «éperlans» überhaupt? Langenscheidt übersetzt mit «Stint», was mich nicht gescheiter macht. Der Wahrig schliesslich erklärt Stint mit «Lachsfisch der Nord- und Ostsee, der durchdringend nach frischen Gurken riecht»… Eigentlich erinnert die ausprobierte Ladung in Savoyen eher an frische Gummi-Enten mit Ölteppich-Überzug.
Auch das schottische «Haggis» – eine Art würzige Schafsinnereien-Wurstkugel, eingepackt in eine Schafsmagenwand und gefüllt mit Innereien, Getreide, Zwiebeln und Gewürzen – ist nicht allen zu empfehlen. Auch wenn die Schotten spötteln, Haggis sei ein Vogel aus dem bergigen Norden Schottlands und dadurch nichts Ungewöhnliches.
Apropos Wurstwaren: Wer in Australien oder England ein würziges Bauernwurst-Sandwich erwartet, wenn er «Sausage-Roll» bestellt, ist selbst schuld. Die Würstchen haben oft nicht den Hauch jenes Geschmacks, der einem nach dem Abbeissen ein glückliches Lächeln ins Gesicht treibt. Aber wenigstens riechen Sausage-Rolls nicht nach faulenden Gnagis.
Australien ist auch das Stichwort für eine der schlimmsten Speisen dieser Erde: Vegemite. Komischerweise stürzen sich die Aussies auf diesen braunen Brotaufstrich wie die Fliegen auf die dortigen Touristen. Damit gedenken sie wohl des tristen Lebens der englischen Gefangenen, die einst den neuen Kontinent bevölkerten und deren Nachfahren heute noch hier sitzen und «Vegemite» in sich hineinstopfen. Es schmeckt ungefähr wie eine Mischung aus Maggi, starker Bouillon und Motorenöl. Alle Touristen krümmts vor Ekel, alle Australier strahlen vor Genuss. So kann man sie wenigstens unterscheiden.
Nicht schlecht ins Fettnäpfchen treten könnte man auch mit «Andouillette» in der Bretagne. Was irgendwie wie ein Fisch tönt, stellt sich auf dem Teller als Innereienwurst heraus, deren Innenleben – anders als das schottische Haggis – nicht kleingehackt ist, sondern deren Stücke beim ersten Schnitt aus der Wurst herausquellen und einen penetranten Geschmack verbreiten.
Was mich betrifft, lasse ich mich von diesen Geschichten keineswegs aus der Ruhe bringen. Andere würden vielleicht unseren Kilbi-Senf oder Cervelats in dieser Liste aufführen und die Nase rümpfen. Vieles ist Gewohnheitssache. Ich werde in den Ferien aber weiterhin einheimische Spezialitäten versuchen, als Gegenpol zum Einheits-Fastfood. Und wenn mal wieder etwas Ungewohntes auf den Tisch kommt: Macht nichts, da gibts am nächsten Tag etwas zu lachen – und Material für eine neue Kolumne.
Von CHRISTIAN SCHMUTZ