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Heimlicher Griff in den Kühlschrank

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Das «Binge Eating» (siehe Kasten) sei zwar kein neues Phänomen, sagt Andrea Wyssen, Psychologin am Zentrum für Psychotherapie der Universität Freiburg, aber es werde erst seit kurzer Zeit offiziell als psychische Störung und somit als vollwertige Krankheit anerkannt. Man diagnostiziere es vor allem anhand des Kontrollverlustes beim Essen. Patienten und Patientinnen nehmen innert einer relativ kurzen Zeit grosse Mengen an Nahrungsmitteln zu sich. Sie haben das Gefühl, mit dem Essen nicht aufhören zu können.

Ein zusätzliches Merkmal, so Wyssen weiter, seien Phasen vermehrter körperlicher Aktivität und selbst auferlegte Diäten zwischen den Essattacken. Letztere aber hätten die gegenteilige Wirkung und erhöhten das Risiko von Anfällen.

Kurzfristig fühle man sich während der Essattacke gut, könne abschalten und sich gehen lassen, sei erleichtert und entspannt, vergesse die Sorgen. «Es muss ja etwas Positives geben, damit das Verhalten immer wieder wiederholt wird», so Wyssen.

Schuld und Scham

Doch dann kommen bald Scham- und Schuldgefühle. Das Schwierige sei, dass die «Substanz» immer und überall zugänglich sei, sagt Katja Hämmerli, die wissenschaftliche Leiterin des Zentrums: «Man ist überall mit Essen konfrontiert.» Menschen, die zu viel essen, gab es schon immer. Und jedem passiere es einmal, dass er über die Stränge schlage, sagt Hämmerli. Das Problem sei in der Regel mit Hinweis auf Diäten oder Bewegung abgetan worden. «Man hat nicht erkannt, dass es zwischen Menschen mit Essanfällen und anderen Übergewichtigen Unterschiede gibt.» Der wichtigste Punkt: die starken Schuldgefühle nach den Attacken.

In der öffentlichen und der wissenschaftlichen Debatte seien Themen wie Anorexie und Bulimie bekannt, für die man schon Behandlungen entwickelt habe, sagt Wyssen. Dabei sei Binge Eating die häufigste Essstörung. Etwa jeder dritte Übergewichtige leide unter Essanfällen. In der Normalbevölkerung sei etwa jeder 25. von der Krankheit betroffen. Doch man sehe es ihnen nicht an, dass hinter ihrem Übergewicht und den Essanfällen eine psychische Störung stecke. «Auch die Betroffenen selber wissen das lange nicht», gibt Hämmerli zu bedenken.

Ein Essen im Verborgenen

Die psychische Störung hat einerseits die bekannten körperlichen Folgen des Übergewichts. Hinzu komme, so Hämmerli, dass man sich dauernd unwohl fühle. Und: «Über Essanfälle spricht man nicht, man verheimlicht sie sogar vor dem Partner.» Der nächtliche Griff in den Kühlschrank könne zu Problemen in der Beziehung führen. «Diese Menschen machen sich extreme Vorwürfe, sie haben negative Gefühle, zeigen depressive Symptome, sind niedergeschlagen.» Und sie ziehen sich sozial zurück. «Das führt zu einer Negativspirale.»

Die Ursprünge der Krankheit sind weitgehend unbekannt; wie bei allen psychischen Störungen gibt es nicht nur einen Grund dafür. Wyssen kann aber sagen, was oft einhergeht mit den Essanfällen: eine negative Einstellung dem eigenen Körper gegenüber, Probleme bei der Impulskontrolle und Schwierigkeiten im Umgang mit den eigenen Emotionen. «Menschen mit diesen Problemen sind gefährdet, die Krankheit zu entwickeln.» Viele Patienten hätten schon als Kind Übergewicht gehabt.

Hilfe ist möglich

Weil die Krankheit bislang meist verschwiegen worden sei, so Hämmerli weiter, sei es wichtig, dass man sich intensiv damit beschäftige. «Die Forschung hat in den letzten Jahren zwar zugenommen, steckt aber immer noch in den Kinderschuhen.» Die gute Nachricht: Im Gegensatz zu den anderen Essstörungen ist Binge Eating behandelbar. Neue Gruppentherapien wirkten nachweislich und nachhaltig, freut sich Wyssen. Die Methode der Gruppentherapie, welche neu auch an der Uni Freiburg angeboten wird, sei bei gegen 90 Prozent der Teilnehmenden wirksam.

Man müsse erst das Problem erkennen, dann könne man langsam Strategien entwickeln, wie man mit dem Drang fertig werde. Hämmerli betont aber: «Es geht nicht primär darum, Gewicht zu verlieren.» Aber natürlich wirkten sich Bewegung und eine gute Stimmung positiv auf das Körpergefühl aus. Die Therapie hilft nicht nur den Patienten, auch die Forschung profitiert. Anonymisiert und mit Einverständnis können Hämmerli und Wyssen die Daten für ihre wissenschaftliche Arbeit verwenden. Und dies verbessert die Qualität der Therapie.

www.unifr.ch/psychotherapie

Zur Geschichte

Langer Prozess der Anerkennung

«Binge Eating» wurde erstmals 1959 in den USA medizinisch als psychische Störung beschrieben. Damit in Zusammenhang gebracht wurde der unkontrollierte nächtliche Griff in den Kühlschrank («Night Eating Syndrome»). Danach wurde der Begriff auf zeitlich undefinierte Essattacken ausgeweitet. 1990 wurden erste Kriterien für die Diagnose aufgestellt. Aber noch immer klassiert das WHO-Register der Krankheitsbilder (ICD) die Störung allgemein als «nicht näher bezeichnete Essstörung».fca

Binge Eating: Ein Fall aus der psychotherapeutischen Praxis

E ine 30-jährige Patientin, übergewichtig, hat etwa drei Anfälle pro Woche. Sie isst Unmengen, fühlt sich dabei schlecht. Sie denkt schon bei der Arbeit ans Essen und schämt sich über die letzte Essattacke vor zwei Tagen. Der Hunger quält. Sie hat viele Fachleute aufgesucht, aber keine klare Diagnose erhalten. Sie machte viele Massnahmen durch wie Diäten, Ernährungsberatung. Keine Wirkung. Aber eine weitere Gewichtszunahme.

Sie erinnert sich daran, dass ihr Partner nicht zu Hause ist, nimmt sich vor, mässig zu essen, kauft nur wenig ein. Zu Hause beginnt sie zu essen und merkt, wie «es» ihr entgleitet. Bald ist der Kühlschrank ausgeräumt. Sie fühlt sich voll. Negative Gefühle, Scham und Enttäuschung. Bevor ihr Partner kommt, entsorgt sie alle Packungen.

Einzeltherapie: Die Patientin ist erleichtert, dass ihr Problem nun einen Namen hat. Die Therapeutin kann mit ihr die Situation analysieren, Frustbewältigung und Umgang mit Konflikten lernen. Sie ist aktiver und in besserer Stimmung.

Diagnose sechs Monate später: Die Patientin gilt als psychisch geheilt. fca

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