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Hubert Schaller

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Hast du ihn auch gesehen, diesen Perversling, der neuerdings ums Schulhaus schleicht? Helga hat ihn auch gesehen und Kuno auch. Ein Fremder mit Schlitzaugen, vermutlich ein Chinese.» – «Ja, ich hab mich auch schon gewundert, dass man den gewähren lässt. Da müsste doch jemand einschreiten. Aber die Polizei kümmert sich lieber um Parksünder als um Pädophile! Meine Frau meint, dass man handeln sollte, bevor es zu spät ist.» – «Deine Frau hat Recht, Hans, wir sollten uns zusammentun und die Sache selbst in die Hand nehmen. Wir können doch nicht einfach tatenlos zusehen, wie dieses fremde Pack über unsere Frauen und Kinder herfällt!»

 

Sehen Sie, dieser Dialog hat jetzt einen typischen Bürgerwehr-Verlauf genommen. Etwa so stelle ich mir den Austausch hinter vorgehaltener Hand auf der Strasse und in den sozialen Netzwerken vor, bevor aufgebrachte Bürger von Cormérod ausrückten, um auf einen unschuldigen 60-jährigen Chinesen loszugehen, dem nichts Anstössigeres vorzuwerfen war, als dass er bei seiner ortsansässigen Tochter zu Besuch weilte (FN vom 21. April 2017). Weil der Fremde sich vor der ihn bedrängenden Menge fürchtete und ihre verhörähnlichen Fragen nicht verstand, sie folglich auch nicht zu beantworten wusste, versuchte er zu fliehen, womit er sich in den Augen der selbst ernannten Ordnungshüter nur um so verdächtiger machte. So austauschbar sind sie manchmal, die Rollen von Täter und Opfer.

In ihrem lesenswerten Buch «Gegen den Hass» greift Carolin Emcke folgende Geschichte aus dem Alten Testament auf: «Und die Gileaditer besetzten die Furten des Jordans vor Ephraim. Wenn nun einer von den Flüchtlingen Ephraims sprach: ‹Lass mich hinübergehen!›, so sprachen die Männer von Gilead zu ihm: ‹Bist du ein Ephraimiter?› Wenn er dann antwortete: ‹Nein!›, liessen sie ihn sprechen: ‹Schibbolet›. Sprach er aber ‹Sibbolet›, weil er es nicht richtig aussprechen konnte, dann ergriffen sie ihn und erschlugen ihn an den Furten des Jordans, so dass zu der Zeit von Ephraim fielen zweiundvierzigtausend.» (Buch der Richter 12, 5-6)

Die Aussprache dieses einzigen Wortes Schibboleth (hebräisch für Getreideähre) soll also darüber entscheiden, ob jemand Freund ist oder Feind, ob er dazu gehören darf oder ausgeschlossen, ja getötet wird. Für die Ephraimiter war diese Aufgabe zweierlei: überlebenswichtig und unlösbar. Als Nicht-Gileaditer war es ihnen unmöglich, das Sch in Schibboleth richtig auszusprechen, also war ihnen der Tod gewiss. Was lehrt uns diese Geschichte? Dass wir gut daran tun, das Alte Testament zu lesen, um die neue Welt zu verstehen. Dass im Augenblick, in dem Sie diese Kolumne lesen, vielleicht wieder Dutzende Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil sie Afrikaner sind und im Aussprechen von «Schibboleth» ungeübt. Dass es immer noch eine lebenswichtige Rolle spielt, ob man diesseits oder jenseits des Jordans geboren wird.

Bürger, die sich selbst zu Hütern von Recht und Ordnung erheben wollen, kommen offenbar in Mode, ob im Senseoberland oder – wie eben neulich – im Seebezirk. Sie rücken aus, um – wie sie sagen – uns vor jenen zu schützen, die uns belästigen und bedrohen, die unsere Regeln missachten, die sich anders kleiden, anders verhalten, anders reden. Sie fragen nicht nach, ob uns dieser Schutz genehm ist, ob wir die Grenzen der Toleranz gleich ziehen wie sie, ob wir jedem Fremden misstrauen, nur weil er uns fremd ist. Der beste Schutz für die Menschenrechte ist eine offene und tolerante Gesellschaft. Nur solange die Welt, in der ich lebe, Verschiedenheit zulässt, weiss ich auch meine eigenen Freiheitsräume gewahrt, kann ich darauf vertrauen, dass auch abweichende Denk- und Lebensweisen geschützt sind. Wer Zäune errichtet und von einer Bürgerwehr träumt, will uns weismachen, dass wir es sind, die an Leib und Leben bedroht sind, nicht etwa diejenigen, die aus Kriegs- und Krisengebieten geflohen sind. Wie weit muss man eigentlich von der Wirklichkeit entfernt sein, um Asylantenheime zu einer öffentlichen Gefahr und uns selbst zu ihren schutzbedürftigen Opfern zu erklären! Was für Ansprüche an das Leben muss man haben, wenn man als einfacher Bürger einer sicheren Arbeit nachgeht, jeden Tag satt wird, seine Kinder in der Schule gut aufgehoben weiss, nirgendwo fallen Schüsse, kein Flugzeug, das über einstürzenden Häusern kreist, nirgends stirbt ein Mensch vor Hunger. Und dann so reden!

Es gibt Gastgeber wider Willen, die in vorsorglichem Trotz darauf bestehen, dass das Kreuz in der Guglera ja unangetastet bleibt. Und ob! Es gibt keinen besseren Schutz vor Hass und Willkür als das Kreuz. Sein Anspruch lautet: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Nur wer sich diesem Anspruch stellt, sollte auf dem Kreuz beharren dürfen. Es gibt kein anderes Gegenwort zu Schibboleth – damals wie heute.

 

Hubert Schaller unterrichtet Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Er ist unter anderem Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986), «Drùm» (2005) und «Federleicht» (2016). Als FN-Gastkolumnist schreibt er regelmässig über selbst gewählte Themen.

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