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Ich bleibe

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

In letzter Zeit höre ich von Freunden und Bekannten immer öfter, dass sie aus der Kirche ausgetreten sind. Alles Leute, die nach den gleichen oder ähnlichen ethischen Grundüber­zeugungen leben wie ich. Kein Wunder, dass mich, den Standhaften, die erdrückende Liste ihrer Gründe immer wieder in Erklärungsnot bringt: die Kreuzzüge, die sexuellen Übergriffe, die katholische Zuchtrute, die sie in ihrer Kindheit zu spüren bekamen, die Frauenfeindlichkeit, der Zölibat, das Unfehlbarkeitsdogma, das fehlende bzw. verfehlte Problembewusstsein (sollen Geschiedene die Kommunion empfangen dürfen oder nicht?).

 

Wie kann man da als steuerzahlender Pfarreibürger standhaft bleiben? Kommt hinzu, dass der religiöse Zweifler in mir mindestens ebenso viel Raum beansprucht wie der aufrichtige Christ. Glaubenseiferer sind mir gleichermassen zuwider wie missionarische Atheisten. Mani Matters Bekenntnis «Mir hei e Verein, i ghöre derzue, ghöre glych nit derzue» trifft – wenn es um Glaubensfragen geht – meine Seelenstimmung ziemlich genau.

Ich verstehe alle, die das sinkende Kirchenschiff verlassen, schaue ihnen manchmal sogar neidisch hinterher. Es ist mir bewusst, dass eine Abkehr von der Kirche nicht automatisch auch eine Abkehr vom Christentum bedeutet. Nur, was wäre das für ein Christentum, das gänzlich ohne Kirche auskommen müsste? Brauchen nicht auch Religionen eine minimale Organisations- und Infrastruktur, und sei es bloss ein beheizter Gebetsraum und Leute, die sich darum kümmern?

Was eigentlich ist es genau, was mich immer noch an die Kirche bindet? Ist es Gewöhnung, Bequemlichkeit, Opportunismus? Sind es die Fesseln der Tradition? Die Angst, ein Band zu zerreissen, das mich mit meinen Ahnen verbindet? Die Sorge, meine Identität zu verlieren, die irgendwo im christlich-abendländischen Denken verwurzelt ist? Oder ist es ein Ausdruck von Solidarität mit all den Menschen guten Willens, die – allen innerkirchlichen Skandalen zum Trotz – Tag für Tag in christlicher Demut überall auf der Welt Hilfe leisten und Not lindern? Vielleicht auch eine Mischung von alledem. Jedenfalls bereitet mir die Flucht aus der Kirche Kopf­zerbrechen, obwohl ich mich nicht zu ihrer Stammkundschaft zähle. Auf dem Gebiet der religiösen Ernährung bin ich so etwas wie ein eingefleischter Flexitarier.

Früher hätte dieser Exodus bei mir vermutlich Schadenfreude ausgelöst: Jetzt bekommt Rom endlich die Quittung für seinen eng­stirnigen Dogmatismus, seine Weltfremdheit, für all die verpassten Reformen. Damals hoffte ich auf eine religiöse Basisrevolution, die den Staub der Jahrhunderte aus den Kirchen fegt, um sie endlich wieder auf das Kernanliegen des Evangeliums zu verpflichten. Heute ist das Christentum, das die Kirchen verkörpern, vielen Menschen so sehr verleidet, dass sie seinen Niedergang, wenn nicht herbeisehnen, so doch bewusst oder unbewusst in Kauf nehmen. An die Stelle von Aufbruch und Wandel sind Überdruss und Gleichgültigkeit getreten. Dieser Vorgang stimmt mich nachdenklich. Ist da eine ganze Gesellschaft im Begriff, sich ihrer religiösen und kulturellen Wurzeln zu entledigen? Was gewinnt und was verliert sie dabei? Fehlte etwas in der Welt, wenn es das Christentum als Gemeinschaft der Gläubigen nicht mehr gäbe? Und wenn ja, was genau wäre denn dieses Etwas?

Gegen Ende seines Buches «Das Reich Gottes» beschreibt Emmanuel Carrère das christlich geprägte Ritual der Fusswaschung, dem er selber als Teilnehmer beiwohnte, so: «Ich schaue diese Füsse an und weiss nicht, was ich denke. Es ist wirklich sehr seltsam, Unbekannten die Füsse zu waschen. Ein schöner Satz von Emmanuel Levinas fällt mir ein, über das menschliche Gesicht, das einem verbietet, es zu töten, sobald man es sieht. Aber auf Füsse trifft es noch mehr zu, Füsse sind noch bedürftiger, noch verletzlicher, tatsächlich sind sie das Verletzlichste, das Kind in jedem von uns. Und obwohl ich es etwas peinlich finde, finde ich es auch schön, dass Leute zu diesem Zweck zusammenkommen, um dem so nahe wie möglich zu sein, was das Bedürftigste und Verletzlichste in der Welt und in ihnen selbst ist. Das ist Christentum, sage ich mir.»

Nachdem ich diese Sätze gelesen hatte, wusste ich, dass genau das darin aufbewahrt ist, was mich am Christentum immer interessiert hat und was mich innerlich zögern lässt, es aufzugeben: dem Bedürftigsten und Verletzlichsten in der Welt und in mir selber so nahe wie möglich zu sein. Ich sage nicht, dass man dem nicht auch ausserhalb der Kirche nahe sein kann. Und ich sage schon gar nicht, dass die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen diesen Anspruch auch nur halbwegs eingelöst hat (siehe oben).

Aber ich halte aus Unbelehrbarkeit oder Trotz daran fest, dass es eines fernen Tages vielleicht möglich ist, dass es sich immer noch lohnt, darauf zu warten oder noch besser, darauf hinzuarbeiten. Mit anderen Worten: Ich bleibe!

Hubert Schaller ist unter anderem Autor der Gedichtbände «Trommelfellschläge» (1986), «Drùm» (2005) und «Federleicht» (2016). Bis zu seiner Pensionierung 2017 unterrichtete er Deutsch und Philosophie am Kollegium St. Michael. Als FN-Gastkolumnist schreibt er regelmässig zu selbst gewählten Themen.

 

 

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