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«Ich spürte eine gewisse Hilflosigkeit»

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Es war an diesem Montagnachmittag sehr schwül. Ich war mit Strassenunterhaltsarbeiten an der Ättenbergstrasse beschäftigt, als ich auf einmal das Gefühl hatte, dass das Gewitter im nächsten Moment losgehen könnte. Das war gegen 17 Uhr. Also habe ich meine Sachen zusammengepackt und bin ins Tal gefahren. Da regnete es schon wie aus Kübeln. Das Gewitter kam von der Euschels-Region her und bewegte sich in Richtung Ättenberg und Hohmattli. Im Kessel der Riggisalp war es gefangen und explodierte richtig. Auf den Weiden oberhalb der Riggisalp hagelte es derart, dass auch am Tag darauf die Hagelkörner an einigen Stellen einen halben Meter hoch lagen.

Ich habe zu Hause meine Regenkleidung angezogen und bin in die Gummistiefel gestiegen. Ich habe sofort gesehen, dass es schlimm wird, so stark wie das Gewitter über uns hinwegfegte. Der Riggisalpbach neben der Kirche war nicht wiederzuerkennen. Er war zur Schlammlawine geworden, der grosse Steine und ganze Bäume mittrug. Die Feuerwehr Schwarzsee war im Einsatz. Kommandant Armin Vonlanthen und ich haben versucht, dort zu helfen, wo Not am Mann war. Aber es war nicht leicht, die Lage einzuschätzen und zu wissen, was zuerst zu tun war. Das grosse Problem war, dass es während der Bauferien passierte. Viele Leute von Baufirmen, die hätten helfen können, waren nicht da.

Als ehemaliger Feuerwehrkommandant, als Einheimischer und als Unternehmer habe ich mich verpflichtet gefühlt, anzupacken – das habe ich einfach gemacht, ohne zu zögern. Wir haben Maschinen aufgeboten, Bagger, Trax und Camions. Das Ziel war es, zu verhindern, dass das Wasser noch mehr gegen die Häuser fliesst und sie beschädigt. Ich werde den Anblick nicht vergessen, wie Leute aus den Fenstern der Häuser gegenüber der Kirche schauten und uns um Hilfe riefen. Kaum haben wir die Maschinen in Bewegung gesetzt, kam der Hilferuf von anderswo: «Bei uns ist es noch viel schlimmer!» Ich spürte eine gewisse Hilflosigkeit vor der Naturgewalt, die da über uns hereingebrochen war. Wir hatten wohl eine Weile vergessen, wie gross diese Gewalt sein kann.

Es fehlte vor allem auch an den Behörden, die hätten entscheiden können, was zu tun war, wohin mit dem Schutt und Geröll. Wir sahen zum Beispiel, dass immer mehr Wasser in Richtung Kirche floss, welche schon sehr beschädigt war. Auch bei der damaligen Bäckerei Schär-Zosso wurde der Schaden immer schlimmer, weil sich Wasser, Geröll und Geschiebe anstaute. Wir kamen aber nicht an das Ufer heran, um das Geschiebe zu räumen, weil überall Bäume standen. Niemand war da, der befehlen konnte, sie zu fällen. Also habe ich entschieden. Ich habe die Verantwortung dafür übernommen, in dem Moment war es einfach notwendig. Es blieb keine Zeit, den üblichen Bewilligungsweg zu nehmen.

Wir versuchten auch, die verstopften Durchgänge freizubekommen, damit das Wasser abfliessen konnte. Es war eine verrückte Sache: Die Kantonsstrasse war verschüttet, niemand konnte rein und niemand raus. Es gab Touristen, die an diesem Abend Schwarzsee verlassen wollten, aber nicht weit kamen. Wir haben sie huckepack auf den Rücken genommen und über das Geröll getragen. Das Auto mussten sie stehen lassen, dafür hat jemand auf der anderen Seite sie in Empfang genommen und weggebracht. Wir sahen im Riggis­alpbach ein Auto und hatten bange Momente, weil wir nicht wussten, ob sich darin ein Mensch befand. Das wäre das Schlimmste gewesen. Zum Glück war es leer.

Zu Hilfe kamen uns die Feuerwehren von Plaffeien und Oberschrot. Es gab einige Helfer, aber die Zahl der Zuschauer war grösser. Wer aber konnte, hat geholfen. Es hörte einfach nicht auf zu regnen. Als es nach 22 Uhr immer noch heftig regnete, sind mir einige Sachen durch den Kopf gegangen: Nur drei Jahre vorher ist es im Falli Hölli zum Rutsch gekommen. Ich fragte mich: Was kommt da noch auf uns zu, wenn es nicht bald aufhört? Eine halbe Stunde später hörte es dann auf. In der Nacht gab es zwar weitere Schauer, aber das Gröbste war durch.

Wir haben bis etwa um drei Uhr nachts durchgearbeitet. Die meisten gingen dann etwas schlafen, während einige einen Pikettdienst übernahmen. Am nächsten Morgen um 6 Uhr waren wir wieder auf den Beinen, ein Krisenstab unter der Leitung des damaligen Vize-Oberamtmanns Robert Sturny war eingesetzt worden. Ich war ebenfalls in diesem Kristen­stab dabei. Die Einsatzleitung hatte Manfred Riedo. An diesem Morgen und jeden Morgen danach sind wir angetreten, haben die Lage besprochen und versucht, Lösungen zu finden. Die Talbewohner haben bei den Aufräumarbeiten mitgeholfen, das ganze Oberland hat uns unterstützt, ja vom ganzen Bezirk haben wir Solidarität gespürt. Wir haben auch Hilfe vom Zivilschutz und von der Armee bekommen. Mich hat besonders gerührt, dass einfache Familien aus Sangernboden oder Schwarzenburg angerufen und ganz spontan ihre Hilfe angeboten haben. Das Schwarzseetal ist nach dieser Krise enger zusammengerückt, der Zusammenhalt war für eine Weile viel besser als vorher.

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Mich hat gefreut, dass die Arbeiten gut vorangingen. Leute, die das Unwetter nur durch mündliche Berichte oder aus Zeitungsartikeln mitbekommen hatten, sagten uns vier oder fünf Tage später, dass sie es toll finden, was wir alles zustande gebracht haben. Das hat mir Mut gemacht. Mich hat auch das Verständnis der Leute gefreut. Sie haben anerkannt, dass wir das Möglichste gemacht haben, dass es aber Zeit braucht und wir keine Wunder bewirken können.

Ich bin in Schwarzsee geboren und hier aufgewachsen. Im Laufe der Jahre habe ich viele Gewitter miterlebt, einige gingen Richtung Zollhaus nieder, andere auf dem Ättenberg, auf dem Schwyberg oder in Richtung Plaffeier Wald. Aber so etwas – so konzentriert auf einen engen Kreis – habe ich vorher nicht und auch nachher nicht wieder erlebt. Noch vor kurzem bin ich mit meiner Frau den Riggisalpbach entlang hochgewandert. Fast bei jedem Stein in der Verbauung ist die Erinnerung an die Geschehnisse von damals noch präsent. Der Riggisalpbach ist nach wie vor ein Bergbach. Er kann immer noch gefährlich werden. Aber es ist viel gemacht worden, viel verbessert worden. Man hat riesige Blöcke verbaut, dem Bach mehr Platz gegeben. Wichtig ist jetzt, dass auch der Unterhalt dieser Verbauungen immer gemacht werden kann. Er darf weder vergessen noch vernachlässigt noch verhindert werden. Mich ärgert, wenn Naturschutzorganisationen gewisse Unterhaltsarbeiten bremsen, die einfach nötig sind. Mit all den Arbeiten, die ausgeführt worden sind, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass so etwas wieder passiert.

Es dauerte noch lange, bis wir das Unwetter verdaut hatten. Ich würde sagen, bis weit in den Herbst. Dann kam der Schnee, dann der Frühling, und dann ging es besser. Ich hoffe sehr, dass unsere Region nicht noch einmal so schwierige Zeiten wie in den 1990er-Jahren erleben muss. Innerhalb von sechs Jahren hatten wir drei schlimme Erlebnisse: 1994 den Rutsch im Falli Hölli, 1997 das Unwetter Schwarzsee und 1999 den Orkan Lothar. Das waren schlimme Sachen. Es dauerte eine Zeit, bis ich das verarbeiten konnte. Heute fühle ich mich wieder zu Hause hier. Es ist für mich wieder das Paradies. Eine Zeit lang war es das nicht mehr.

Aufgezeichnet von Imelda Ruffieux,

Bilder von Charles Ellena/a

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