Urs Schwaller, Ursula Schneider Schüttel: Sind Sie schon persönlich in Kontakt mit Asylbewerbern gekommen?
Schneider Schüttel: Während und kurz nach der Studienzeit bin ich häufig an Flüchtlingsessen gegangen. Ich war damals bei Amnesty International aktiv und bin mit unterschiedlichsten Flüchtlingen zusammengekommen. Damals kamen viele Tamilen von Sri Lanka nach Bern, wo ich studierte, und als junge Frau ist man oft von ihnen angesprochen worden.
Schwaller: Zwischen 1983 und Anfang 1986 war ich Dienstchef im kantonalen Polizeidepartement. Ich war bei der ersten grösseren Flüchtlingswelle hautnah dabei, als wir die ersten Asylbewerber in einer Konferenz unter den Kantonen aufteilten. Ich hatte zu tun mit Rückschaffungen und all den Problemen im Zusammenhang mit der Polizei.
Von der Schweizer Bevölkerung sind weniger als ein Prozent Asylbewerber. Weshalb ist das Asylgesetz dennoch wichtig?
Schwaller:Wir sind ein Land mit einer langen humanitären Tradition und einer langen Tradition im Asylbereich. Gegen das ist auch nichts einzuwenden. Das Problem ist: Wir haben eine viel zu lange Verfahrensdauer von 1200 bis 1300 Tagen. Wir haben grosse Unterbringungsprobleme und wir haben Probleme, einmal getroffene Entscheide auszuführen. Die Asylgesuchsteller machen auf die gesamte Bevölkerung 0,6 Prozent aus, aber sieben Prozent in der Strafstatistik. Das Ziel dieser Revision ist: Wir wollen schnellere Verfahren, wir wollen dem Bund die Möglichkeit geben, Testläufe zu machen mit Bundeszentren, in denen ganze Verfahren abgewickelt werden, und etwas gegen renitente Asylbewerber tun.
Ist das Gesetz auch für Sie wichtig?
Schneider: Es ist insofern nicht so wichtig, als es nicht das bringt, was es verspricht. Dass man versucht, schnellere Verfahren zu erreichen, ist wohl in sämtlichen Kreisen unbestritten. Für mich ist es aber bestritten, dass man das mit dieser sogenannt dringlichen Gesetzesvorlage erreicht. Wenn ein Asylgesuchstellender ein, zwei oder drei Jahre auf einen Entscheid warten muss, so ist diese unsichere Situation für ihn eine Belastung. Die humanitäre Tradition ist das Kernelement, das man in der Asylgesetzgebung wiederfinden muss. Die in ihrem Heimatland Bedrohten sollten in der Schweiz einen sicheren Ort finden können und ein Verfahren erhalten, das den rechtsstaatlichen Grundsätzen Rechnung trägt. Mit den verkürzten Beschwerdefristen ist das nicht mehr gewährleistet.
Schwaller: Für mich ist es eine Revision der Vernunft. In einem Rechtsstaat müssen wir alles Interesse haben, schnell abgeschlossene Verfahren auch umzusetzen. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Dieses Gesetz löst nicht alle Probleme, aber es ist eine Vorbereitung auf die grosse Revision, die in zwei Jahren kommen soll: Mit grossen Zentren, in denen man gemäss einem holländischen Modell probiert, 60 bis 70 Prozent der Fälle zu erledigen.
Schneider: Probleme bereitet eine Minderheit der Asylsuchenden. Um sie strafrechtlich zu verfolgen, gibt es bereits Mittel. Daran ändern dringliche Massnahmen nichts. Wenn schon Bundeszentren, dann muss man diese Leute betreuen und beschäftigen, damit sie auf andere Gedanken kommen mit ihren teils traumatischen Erlebnissen.
Schwaller: Dass es heute nicht klappt mit den Kleinkriminellen, die sich an keine Regeln halten, ist doch der beste Beweis: Wir haben es nicht im Griff. Diese sorgen für die negativen Schlagzeilen.
Schneider: Aber wer macht die Schlagzeilen? Das wird politisch gefärbt.
Schwaller: Selbstverständlich. Aber wir können es ja auch nicht totschweigen. Deshalb muss man es bereinigen.
Schneider:Ja, aber die Relationen auch richtig aufzeigen.
Schwaller:Unabhängig von den Zahlen bin ich überzeugt, dass die Auffangzentren Vorteile bringen. Man hat einmal versucht, diese Leute möglichst weit wegzustecken, weil niemand sie wollte. Etwa auf den Jaunpass. Pro Tag und Person kostet das 320 Franken. Das kann es nicht sein.
Schneider: Aber diese Massnahmen bringen ja gar keine Beschleunigung. Es ist doch Sand in die Augen gestreut, wenn man sagt, die Testläufe führen zu schnelleren Verfahren. Wenn man statt einer 30-tägigen Beschwerdefrist nur noch zehn Tage gibt, hat das «keine Beschleunigung zur Folge. Das Verfahren dauert beim Bundesamt für Migration oder beim Bundesverwaltungsgericht zu lange. Deshalb störe ich mich daran, dass das Gesetz für dringlich erklärt wird.
Schwaller:Es braucht einen breiteren Blickwinkel: Wir wollen Verfahren unter 100 Tage halten. Da kann man nicht 30 Tage Beschwerdefrist geben.
Schneider:Es ist schwierig, diesen Personen alles in kurzer Zeit zu erklären, selbst mit Beiständen und Übersetzern in den Zentren. Die Asylsuchenden sind in einer Notsituation. Und dann sollte man in dieser kurzen Zeit noch eine gute Beschwerdeschrift schreiben …
Schwaller: Nochmals: Es ist eine Testphase. Wenn wir das nicht probieren, dann machen wir in zwei Jahren einen Blindflug. Bewährt es sich nicht, können wir wieder anders entscheiden. Geben wir uns doch diese Chance.
Das Gesetz ist bereits seit acht Monaten in Kraft. Reicht das nicht, um erste Erkenntnisse daraus zu ziehen?
Schwaller: Für ein Gebiet, das seit über 20 Jahren Probleme bereitet, sind acht Monate zu wenig. Die Bilanz können wir erst ziehen, wenn wir die Zentren haben, auch für Renitente. Aber das kommt bald.
Ursula Schneider Schüttel: Sie wollen auch ein beschleunigtes Verfahren, zweifeln aber, dass die Bundeszentren dazu führen. In welche Richtung sollte Ihrer Meinung nach ein Verfahren gehen?
Schneider:Vor allem sollte man nicht nur die Beschwerdefrist kürzen. Wenn man die Zentren hat, und sie nach dem holländischen Modell betreibt, habe ich nichts dagegen, solange die Leute eine gute Unterkunft erhalten. Keine Luxuslösung, aber auch nicht Container mit Stacheldraht oder Zaun drumherum. Das finde ich abschreckend. Wenn man sie aufnimmt, betreut und die Triage relativ schnell macht, bin ich einverstanden.
Es kommt also nur auf die Umsetzung an?
Schneider:Wie genau ein Zentrum funktionieren soll, ist im Gesetzestext nicht ersichtlich. Da sind viele Fragen offen. Aber zentral sind für mich andere Punkte, die gegen das Gesetz sprechen: die Änderung des Flüchtlingsbegriffs, die Abschaffung der Botschaftsgesuche. Da trifft man wirklich die Schwächsten. Mit dem Botschaftsverfahren konnte man einen ersten Entscheid vor Ort treffen. Man musste die Leute, falls keine Einreise erlaubt wurde, nicht wieder zurückschaffen. Mit der Möglichkeit eines Botschaftsgesuchs wird das Verfahren ja beschleunigt.
Geht es in diesem Punkt nicht darum, die Schweiz weniger attraktiv zu machen?
Schwaller:Wir bleiben ein attraktives Land. Das wird sich nicht ändern, also muss man bei der Verfahrensdauer ansetzen. Sicher lässt die Umsetzung Spielraum. Aber, Frau Schneider, haben Sie doch etwas Vertrauen in Ihre Bundesrätin und in das Bundesamt, dass die das richtig umsetzen!
Schneider: Das Vertrauen habe ich. Aber der politische Druck ist auch da.
Vorlage: Ein Gesetz mit Verfallsdatum
In Kraft ist das zur Abstimmung kommende Asylgesetz seit dem 29. September 2012. Dass die 18. Revision des Gesetzes an die Urne gelangt, ist auf ein Referendum der jungen Grünen zurückzuführen. Sie befürchten eine Aushöhlung der Rechte für Asylsuchende. Grund für das neue Gesetz sind lange Verfahrensdauern und die Schwierigkeit, Unterkünfte zu finden. Es gibt dem Bund die Kompetenz, bewilligungsfrei für drei Jahre Bundeszentren zu eröffnen, in denen die gesamten Verfahren geregelt werden. Dort sollen auch Rechtsbeistände und Übersetzer zur Verfügung stehen. Weiter soll es ein Zentrum für renitente Asylbewerber geben. Kantone und Gemeinden sollen so entlastet werden. Eine Testphase von zwei Jahren ist vorgesehen.
Abgeschafft wird die Möglichkeit, bei Schweizer Botschaften Asylgesuche einzureichen. Das betraf zuletzt rund 2500 Personen im Jahr. Auch wird Dienstverweigerung nicht mehr als Asylgrund akzeptiert. Solche Gesuche kommen häufig aus Eritrea oder Syrien. Allerdings besteht sowohl bei Botschaftsgesuchen wie bei der Dienstverweigerung die Möglichkeit, humanitäre Visa zu erteilen. Für die Vorlage sind CVP, FDP, BDP, GLP, SVP, der Bundesrat, das nationale Parlament, die Kantone und der Schweizerische Gemeindeverband. Dagegen sind Grüne, SP, Kirchen- und Asylrechtsorganisationen wie die Flüchtlingshilfe. uh
Zur Person
Ursula Schneider Schüttel
Zur Person
Urs Schwaller
Urs Schwaller, 61-jähriger CVP-Ständerat aus Tafers, hat auf der politischen Karriereleiter einen Schritt nach dem anderen genommen. Schwaller wurde 1986 zum Oberamtmann des Sensebezirks gewählt. 1992 gelang ihm die Wahl in den Staatsrat, wo er erst Direktor des Innern und der Landwirtschaft und später Finanzdirektor war. Seine Wahl in den Ständerat erfolgte 2003; dort ist er Mitglied der Finanzkommission und der Staatspolitischen Kommission. Zudem gehört er der Finanzdelegation an. Als Bundesratskandidat unterlag Schwaller 2009 Didier Burkhalter. Ende Jahr will Schwaller sein Amt als CVP-Fraktionschef abgeben.uh