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Viel Lärm um nichts?

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Die deutschsprachigen Schülerinnen und Schüler in den Kantonen Bern, Baselland, Basel-Stadt, Solothurn, Freiburg und Wallis parlieren im Französischen nicht so, wie sie sollten. Anstatt anständige Sätze bilden zu können wie «Bonjour, je m’appelle Isabelle, j’ai neuf ans et j’aimerais devenir danseuse», kennen sie bloss die französischen Ausdrücke für «Kleiderbedruckmaschine» und «Schiffshalter», die bei einer Vorstellungsrunde wenig hilfreich sind. Das ist überspitzt gesagt die Kritik am Französischlehrmittel «Mille feuilles» auf Primarstufe und seiner Fortsetzung «Clin d’oeil» auf Sekundar- oder Orientierungsstufe, die immer lauter wird und nicht abreisst. Intensiver geführt werden die öffentlichen Diskussionen seit der Veröffentlichung einer Studie des Instituts für Mehrsprachigkeit der Uni und der PH Freiburg. Die Studie evaluierte, wie es am Ende der Primarschule um die Fremdsprachenkompetenz jener Schülerinnen und Schüler bestellt ist, die mit «Mille feuilles» Französisch lernten.

Vorurteile bestätigt

Das Ergebnis ist durchwachsen: Das Leistungsniveau, das die sechs erwähnten Kantone festgelegt haben, erreichten beim Leseverstehen 33 Prozent, beim Hörverstehen immerhin 57 Prozent, aber beim Sprechen bloss 11 Prozent.

Das sei Wasser auf die Mühlen all jener gewesen, die schon immer darauf gewartet hätten, dass das Projekt endlich eine Schwäche offenbare, sagt Andreas Maag, Dienstchef für den obligatorischen deutschsprachigen Unterricht im Kanton Freiburg.

Die Studienergebnisse befeuerten aber auch die Zweifel von Eltern, die mit dem neumodischen Lehrmittel nicht zurechtkommen und sich sorgen, dass ihre Kinder am Ende kein Französisch können. Und sie bestärkten jene Lehrpersonen in ihrer negativen Haltung, die die Schotten schon dichtmachten, als die Weiterbildung anstand: Für das Konzept der Didaktik der Mehrsprachigkeit, die eigene Sprachkompetenz und das neue Lehrmittel mussten sie insgesamt 72 Stunden investieren.

Dabei hegten die sechs Kantone mit dem Projekt «Passepartout», das den Lehrmitteln «Mille feuilles» und «Clin d’oeil» zugrunde liegt, einst hehre Absichten.

Politisch motiviertes Projekt

Nachdem die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) 2004 die Sprachenstrategie beschlossen hatte, die besagt, dass Schülerinnen und Schüler bereits in der Primarschule zwei Fremdsprachen lernen sollen, haben sich die Kantone entlang der französischen Sprachgrenze zusammengetan. «Anstatt dass jeder allein vor sich herwurstelt, wollte man gemeinsam etwas erarbeiten», erklärt Franziska Meier, pädagogische Mitarbeiterin beim Amt für deutschsprachigen obligatorischen Unterricht. Sodann unterzeichneten die sechs Kantone 2004 eine Vereinbarung über eine umfassende Koordination im Bereich des Fremdsprachenunterrichts und über die Beibehaltung der Einstiegsfremdsprache Französisch. Gemeinsam entwickelten sie einen Lehrplan, ein Lehrmittel und die Aus- und Weiterbildung.

Somit ging die Initiative für das Lehrmittel nicht von einem Verlag aus, sondern von der Politik. Aber nicht nur formal betraten die «Passepartout»-Kantone Neuland, sondern auch konzeptionell. «Es ging nicht bloss da­rum, den bekannten Alltag in einer anderen Sprache wiederzugeben, zum Beispiel die französische Bezeichnung für Katze, sondern darum, über eine andere Sprache neue Inhalte kennenzulernen», erklärt die Freiburger Sprachdidaktikerin Ida Bertschy. Sie war massgeblich beteiligt an der Grundkonzeption des Lehrmittels und in den Anfängen Mitautorin.

In der aktuellen Diskussion ist von der angestrebten Wissensvermittlung keine Rede mehr. Die Debatte wird vielmehr von der Leistungs- und Geldfrage dominiert.

Ein Kommunikationsfehler

Dass dem so ist, haben sich die involvierten Kantone zu einem grossen Teil selber zuzuschreiben. Anstatt die Ergebnisse des Instituts für Mehrsprachigkeit an einer Medienkonferenz zu präsentieren, stellten sie die Studie bloss ins Netz. Die Vermutung, dass dieses Vorgehen auf das schlechte Abschneiden der Schüler zurückzuführen war, lag nahe. Andreas Maag erklärt, wie es dazu kam. «Parallel zur Studie wurden die Resultate der ersten schweizweiten Überprüfung der Grundkompetenzen (ÜGK) der EDK in den Bereichen Mathematik und Sprachen publiziert. Dabei schnitten die Kantone mit Frühfranzösisch im Leseverstehen mässig ab. Nur Deutschfreiburg, das Wallis und das Tessin waren überdurchschnittlich gut.» Massstab bei der ÜGK ist das Leistungsniveau A1.2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER). «Weil die Flughöhe der ‹Passepartout›-Lernziele mit dem Niveau A2.1 noch höher liegt und bei der ‹Passepartout›-Studie zudem keine individuellen Resultate pro Kanton vorlagen, wollte man die Ergebnisse nicht vermischen.»

Schwächen in der Organisation

Ein weiterer Grund für die Nichtkommunikation ist in der Projektanlage zu suchen. Die Vereinbarung zwischen den «Passepartout»-Kantonen lief Ende Juli 2018 aus. Die Studie wurde aber erst im Mai 2019 publiziert. «‹Passepartout› gab es gar nicht mehr», erklärt Maag. Nach vierzehn Jahren Zusammenarbeit, in denen sich sechs Kantone stets einigen mussten, nach Wechseln in den Kantonsregierungen und im Schulverlag – dem Herausgeber von «Mille ­feuilles» – sei die Luft raus gewesen und niemand habe sich mehr so richtig zuständig gefühlt. Das bedauert Ida Bertschy: «Das Projekt wurde schlecht abgeschlossen.» Denn eigentlich war unter den Kantonen eine ordentliche Schlussevaluation vereinbart.

Konzeptionelle Schwächen

Dem schliesst sich auch Studienautorin Eva Wiedenkeller an. «Wir hatten gehofft, dass noch eine Fachdiskussion zur Möglichkeit der Optimierung erfolgen würde, das ist bisher nicht geschehen.» Was es genau zu optimieren gibt, darauf will sich Wiedenkeller nicht festlegen: «Konkrete Empfehlungen für die Überarbeitung des Lehrmittels können wir aus unseren Studienergebnissen nicht ableiten, weil wir nicht das Lehrmittel ‹Mille feuilles› evaluiert haben, sondern die Fremdsprachenkompetenz Französisch.» Jetzt sollte es darum gehen, die Ergebnisse im Hinblick auf Optimierungen mit Fachdidaktikerinnen und den politischen Verantwortlichen zu diskutieren. «Wie gut jemand Französisch spricht, hängt nicht nur vom Lehrmittel ab, sondern auch von vielen anderen Faktoren, zum Beispiel vom konkreten Unterricht, der Klassensituation, der Motivation und so weiter.» Ob die Kinder Französisch mögen, habe sich bei der Untersuchung weniger als eine Frage des inneren Antriebs manifestiert, vielmehr hänge es davon ab, wie Französisch von aussen bewertet werde. «Finden die Eltern Französisch wichtig, finden das die Kinder auch.»

Grundsätzlich wäre es nach Auffassung der Wissenschaftlerin aber sinnvoll, die Lernziele zu diskutieren. «Was erwarten wir von den Schülerinnen und Schülern am Ende der Primarschule? Ist es das elementare A1.2 der ÜGK oder ist es das höhere Niveau A2.1, wie es in der EDK-Sprachenstrategie als Zukunftsperspektive angelegt ist und von den ‹Passepartout›-Kantonen bereits übernommen wurde?»

Ideologische Fallen

Nichtsdestotrotz übt Wiedenkeller auch Kritik am Konzept des Lehrmittels. «Die Passung von authentischen Texten mit wenig frequentem Wortschatz und den Lerngewohnheiten und Erfahrungen junger Lernender im Anfängerunterricht scheint fraglich. Wie oft sagen sie ‹Grüezi› und wie oft ‹Wasserspülung›?» Auch sei der konstruktivistische Ansatz, der dem Lehrmittel zugrunde liege, zu hinterfragen. «Die Vorstellung, dass man den Schülerinnen und Schülern reichhaltiges Material vorlegt und die Lehrperson als Coach fungiert, während sich das Kind eigenständig mit den Aufgaben auseinandersetzt, erfordert ein hohes Mass an selbst verantwortetem Lernen, das man vor allem auf den unteren Schulstufen kaum voraussetzen kann.» Da­rum sei es auch bedauerlich, dass die Umsetzung eines derart innovativen Lernkonzepts nicht von Anfang an wissenschaftlich begleitet worden sei.

Dass nun aber die alten Lehrmittel wie «Bonne Chance» besser gewesen wären, würde Wiedenkeller nicht behaupten wollen. «Im Rahmen der ÜGK wurden die Fremdsprachen­kompetenzen zum ersten Mal schweizweit überprüft, es fehlt also schlicht an Vergleichsmöglichkeiten.» Auch fehlten insbesondere Studien, die die oft erwähnten Vorzüge von «Mille feuilles» – dass sich die Kinder nämlich Strategien zum Erwerb einer Fremdsprache aneignen und interkulturelle Kompetenzen erwerben – genauer in den Blick nähmen.

Nachbesserungen gemacht

Franziska Meier vom Amt für deutschsprachigen obligatorischen Unterricht ist der Ansicht: «Viele Schwächen des Lehrmittels sind in den vergangenen Jahren erkannt und behoben worden.» So kämen die überarbeiteten Versionen heute viel strukturierter daher. Noch müsse allerdings mehr Alltagswortschatz aufgenommen werden. Sicher hätte man im Rückblick dieses und jenes anders machen können. Aber schliesslich gehe es auch um die Frage, welche Erwartungen man an den Französischunterricht habe: «Wer meint, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende der Schulzeit zweisprachig sind, liegt falsch. Unser Ziel ist es, dass sie motiviert sind, die Sprache auch später noch weiterzulernen.»

Dazu bemerkt Wiedenkeller allerdings, dass gemäss Studie nur zirka die Hälfte der Schüler die Themen und Aufgaben in «Mille feuilles» interessant findet und dass nur rund die Hälfte der befragten Lehrpersonen das Lehrmittel als motivationsfördernd für die Schüler erachtet.

Wie weiter?

Für Andreas Maag ist dennoch klar. «Wir halten an ‹Mille feuilles› fest» – auch darum, weil die Situation im zweisprachigen Kanton Freiburg eine andere sei. «Hier weiss man, wie wichtig und schwierig Französisch ist.» Um die Schülerinnen für die französische Sprache zusätzlich zu motivieren, wolle man den Austausch mit französischsprachigen Klassen sowie den Sachkundeunterricht in französischer Sprache (Immersionsunterricht) weiter fördern.

Zum Hinweis, dass noch nie so viel Geld in ein Lehrmittel gesteckt worden sei wie bei «Mille ­feuilles», meint Maag: «Ich wünschte mir manchmal, dass Eltern und Lehrpersonen sagen würden, toll, wir haben das teuerste Lehrmittel! Bekämen sie einen Ferrari geschenkt, würden sie auch nicht nörgeln.» Natürlich habe das Lehrmittel mehrfach überarbeitet werden müssen. «Früher blieben Lehrmittel jahrelang gleich.» Und Meier ergänzt: «Alle neuen Lehrmittel sind heutzutage teuer.»

Für Marianne Küng, stellvertretende Dienstchefin, ist die Einführung einer beschränkten Lehrmittel-Wahlfreiheit jedoch nicht ausgeschlossen, zumal der Klett-Verlag derzeit an einem neuen Französischlehrmittel arbeitet. «Das könnte den Widerstand gegen ‹Mille ­feuilles› mindern. Bisher gab es aber keine Alternative.»

Abschluss bis im Sommer

Grundsätzlich will Freiburg aber seine bisherige Linie weiterverfolgen. «‹Passepartout› gibt es nicht mehr. Wir schauen jetzt für uns», sagt Maag. Dennoch ist es ihm ein Anliegen, dass die ehemaligen «Passepartout»-Kantone die Arbeit an den Ergänzungsmaterialien bis im Sommer 2020 wie geplant abschliessen. Die Befürchtung, dass der Schulverlag mangels Interesse in den anderen Kantonen nicht mehr so viel Geld für die Überarbeitung von «Mille feuilles» investiere, bestehe, so Maag.

Chronologie

Vom Obligatorium zur Wahlfreiheit?

2004 schliessen sich die Kantone BE, BL, BS, SO, FR, VS zum Projekt «Passepartout» zusammen, um den Fremdsprachenunterricht in der Volksschule zu erneuern. Die Vereinbarung endet im Juli 2018. Am 24.  No- vember 2019 fällt im Kanton Baselland das «Mille feuilles»-Obligatorium, es gibt eine beschränkte Lehrmittel-Wahlfreiheit. Kantone wie Bern und Basel-Stadt könnten nachziehen, zumal der Klett-Verlag 2021 das alternative Lehrmittel «Ça roule» herausbringen will, das auf Repetition, Wortschatz und Grammatik Wert legt.

IfM-Studie unter: www.institut- mehrsprachigkeit.ch/de/content/ergebnisbezogene-evaluation- franzoesischunterricht

Praxis

«Ich versuche, das Lehrmittel positiv zu verstärken»

Isabelle Pfister, Primarlehrerin in Murten, war bei der Einführung von «Mille ­feuilles» im Erprobungsteam. Sie fand, dass das Vorgängerbuch «Bonne Chance» ausgedient hatte, weil die Übungen darin oft stereotyp waren. «Das Bedürfnis nach etwas Neuem war gross», sagt sie. Pfister kritisiert an «Mille feuilles» vor allem den Umfang des Materials. «Für viele Schüler und Eltern ist es eine Herausforderung, sich im Lehrmittel zurechtzufinden.» Auch seien die Wörter, die gelernt würden, oft nicht lebensnah genug. In den überarbeiteten Versionen habe sich aber einiges verbessert. Grundsätzlich meint sie: «Mit ‹Bonne Chance› konnten die Kinder am Ende der Primarschule nicht besser Französisch.» Früher hätten sie oft stundenlang Verben gebüffelt, womit sie in den unteren Stufen kognitiv oft überfordert gewesen seien, oder sie hätten sich an der korrekten Schreibweise die Zähne ausgebissen. «Man muss mit jedem Lehrmittel arbeiten. Darum habe ich bei ‹Mille feuilles› von Beginn an versucht, die Lernaufträge klar zu formulieren, und das Material gezielt ausgewählt.» Ihrer Meinung nach erlernen die Schüler mit «Mille feuilles» «recht gut» Strategien für den Spracherwerb. «Sie erkennen beispielsweise Parallelwörter und können so Unbekanntes erschliessen.»

Reaktion

«Sprachbad ist nicht unser Begriff»

Die pensionierte Freiburger Sprachdidaktikerin Ida Bertschy war massgeblich beteiligt an der Grundkonzeption des Lehrmittels «Mille feuilles» respektive «Clin d’oeil», in den Anfängen auch als Mitautorin. Sie stört sich daran, dass in der Diskussion um das Lehrmittel oft sehr verkürzt und zuweilen falsch informiert wird. So sei der Begriff «Sprachbad», der immer wieder auftauche, nicht Teil der Konzeption von «Mille feuilles». «Woher der Begriff kommt, ist mir ein Rätsel.» Zu der vom Lehrmittel angedachten Rolle der Lehrpersonen sagt Bertschy, dass diese mehr als bloss Coachs seien, nämlich aktive Sprachpartner. «Das Wichtigste ist wohl, dass sie dabei so oft wie möglich Französisch mit den Schülerinnen und Schülern sprechen.» Bertschy betont weiter, dass das Konzept, das «Mille feuilles» und «Clin d’oeil» zugrunde liegt, nicht ein neuer didaktischer Versuch sei. «Inhaltsorientiertes Fremdsprachenlernen als Ergänzung zum grammatikorientierten Lernen ist ein Konzept, das seit Jahrzehnten praktiziert wird und auch auf solide Forschungsergebnisse zurückgreifen kann.» Zudem sei die Entwicklung des Lehrmittels sehr wohl wissenschaftlich begleitet worden, und zwar durch Dieter Wolff, einem ehemaligen Professor für Anwendungsbezogene Sprachverarbeitung in Deutschland.

Eva Wiedenkeller sagt dazu: «Wie genau Inhalts- und Grammatikorientierung zusammengehen und wie der von Wolff proklamierte konstruktivistische Lernansatz bei den ‹Passepartout›-Schülern und -Schülerinnen funktioniert, wurde allerdings nie empirisch untersucht.»

 

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