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Wenn die Welt dunkel wird

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Johannes Frölicher geht durch die Küche und das Wohnzimmer auf die Terrasse. Er sitzt am Tischchen und greift immer wieder zu seiner Tasse, um Kaffee zu trinken, und plaudert angeregt. Wer nicht weiss, dass der Freiburger Kantonsrichter blind ist, merkt dies in solchen Momenten nicht.

«Als Kind sah ich nachts nichts. Ich dachte mir ganz ­naiv, dass sich das ändern wird, wenn ich einmal erwachsen bin. Schliesslich sahen meine Eltern ja etwas», erzählt der 52-Jährige. Doch die Nachtblindheit war ein erstes Anzeichen für die Augen­erkrankung Retinitis Pigmentosa. Mit der Zeit verengte sich auch das Gesichtsfeld des Jungen. Das machte sich vor allem bei Gruppenspielen bemerkbar. «Wenn wir Fussball spielten, sah ich den Gegner neben mir erst im letzten Augenblick, ebenso wie Bälle, die mir zugespielt wurden.» Das habe ihn zu einem schusseligen Teamsportler gemacht. «Es ist nicht so gut für das Selbstwertgefühl, wenn man den Puck nicht sieht.»

Als er etwa acht Jahre alt war, diagnostizierte ein Arzt die Krankheit. Damals habe ihn dies kaum bedrückt. In der Schulzeit machte sich die Krankheit noch kaum bemerkbar. Und: «Es ging lange, bis ich realisierte, was es bedeutet, an einer fortschreitenden Krankheit zu leiden.»

Während des Gymnasiums hatte er immer mehr Mühe, sich von einer hellen Umgebung an eine dunkle – und umgekehrt – zu gewöhnen. «An der Universität wurde es dann problematischer.» In dieser Zeit griff die Krankheit die Makula an – den Teil des Auges, der für das scharfe Sehen sorgt. Damals konnte er noch selbstständig unterwegs sein. «Trotzdem war es schwierig, sich an die immer grösser werdenden Einschränkungen zu gewöhnen.» So musste er das Malen aufgeben.

Nach dem zweiten Universitätsjahr konnte Johannes Frölicher – er studierte Jura – nicht mehr lesen. «Bis dahin konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass ich einmal nichts mehr sehe. Ich hatte immer irgendwie gehofft, dass eine Operation mir helfen könnte.» Er hatte das Thema vor sich hergeschoben. Als er realisierte, dass kein Eingriff das Augenlicht zurückbringen konnte, ging er erst einmal auf eine Reise. Er besuchte mit seiner Freundin – seiner heutigen Frau – zwei Monate lang Indonesien. Alleine hätte er nicht unterwegs sein können. «Meine Freundin führte mich; das war aber schwierig, da sich in Indonesien Männer und Frauen in der Öffentlichkeit nicht berühren.» Und so trat er in manches Loch in den holprigen Strassen.

Zurück von der Reise wollte er zuerst das Studium hinschmeissen. «Ich überlegte, wie es weitergeht, was später kommt – und konnte mir nichts vorstellen. Es war, als ob alles fertig sei.» Blind konnte er sich keine Zukunft vorstellen. «Ich war damals sicher depressiv.»

Einer seiner Professoren kontaktierte ihn. «Er überzeugte mich, weiterzustudieren.» An der Universität erhielt er viele positive Reaktionen und Unterstützung. «Ein Professor sprach mir alle seine Vorlesungen auf Kassette.»

Dank der finanziellen Hilfe der Invalidenversicherung konnte er sich seine handschriftlichen Notizen von den Vorlesungen sowie Lehrbücher auf Kassette sprechen lassen. «Ich war sehr visuell. Ich musste mich umgewöhnen und alles über das Gehör aufnehmen.» Er habe sein auditives Gedächtnis trainiert. Johannes Frölicher beendete sein Studium – und zwar summa cum laude. «Ich wollte wohl den anderen und mir selber etwas beweisen.»

Nach der Universität hätte Johannes Frölicher eine Invalidenrente beantragen können. «Das schien mir aber nach dem Studium absurd.» Er arbeitete zunächst in einer Anwaltspraxis, heute ist er Freiburger Kantonsrichter (siehe Kasten links). «Meine Berufskarriere gibt mir Kraft.»

Er braucht aber auch Unterstützung – beispielsweise kann er nicht alleine an Tagungen und Empfänge gehen. «Aber das ist alles machbar.» Und arbeitete er während seines Studiums noch mit Kassetten, hat die technische Entwicklung eine grosse Erleichterung gebracht. Johannes Frölicher ist der erste Kantonsrichter, der ein rundum papierloses Büro führt. Der Computer liest ihm Texte vor, mit dem Zehnfingersystem erfasst er seine Berichte pro­blemlos. Die neue Technik ist aber nicht nur hilfreich. Heute sind viele Anwendungen visuell ausgerichtet. «Wir suchten lange, bis wir einen Kochherd fanden, der keinen Touchscreen, sondern Knöpfe hat.» Auch kann die Technik nicht jede menschliche Hilfe ersetzen. «Einen Plan erklären kann mir keine Maschine.» Darum ist ihm wichtig, dass die Invalidenversicherung nicht nur Hilfsmittel, sondern auch Hilfeleistungen Dritter finanziert. «Nur so ist eine Integra­tion in das Berufsleben möglich.»

Mit seiner Krankheit konnte sich Johannes Frölicher nicht vorstellen, einmal Kinder zu haben. «Wer sich keine Zukunft vorstellen kann, denkt erst recht nicht daran, Kinder zu haben.» Seine Frau jedoch wollte Kinder. «Wir haben uns deswegen fast getrennt.»

Zusammen mit seiner Freundin kaufte er zuerst einmal ein Haus. Das war der Anfang der längerfristigen Projekte. Und mit 34 kam dann das erste von vier Kindern. Sie sind heute 18, 16, 13 und 12 Jahre alt.

Als die Kinder zur Welt kamen, sah Johannes Frölicher noch besser als heute. Seine Frau und er arbeiteten beide zu 50 Prozent und teilten sich die Kinderbetreuung. Er ging mit dem Kinderwagen spazieren, brachte die Kinder zur Schule, war für sie da. «Problematisch war es eigentlich nur, wenn viele Spielsachen auf dem Boden lagen. Da kam es schon vor, dass ich darauf trat, mich vor Schmerzen wand und blaue Flecken davontrug.»

Johannes Frölicher schöpft Kraft aus seinem Freundeskreis. Zudem sind ihm das Familienleben und seine Partnerschaft wichtig. «Kinder zu haben, war die beste Entscheidung.» Seine Frau bot ihm sehr viel Unterstützung. «Sie blieb auch bei mir, als es mir nicht gut ging.» Es sei aber nicht immer einfach, in einer Partnerschaft abhängig vom anderen zu sein. Weil er selber nicht abhängig sein wolle, «aber auch, weil ich einige Hilfestellungen mit der Zeit als selbstverständlich anschaue und nicht mehr dafür danke». Eine positive Auswirkung seiner Erblindung gebe es aber für seine Partnerschaft: «Ich sehe nicht, wie meine Frau älter wird», scherzt Frölicher.

Johannes Frölichers Geschichte klingt nach einer Erfolgsstory. «Vieles ist super herausgekommen, das stimmt», sagt er. «Man lernt viel aus so einem Schicksal, wird stärker und ausdauernd, lernt zu ver­trauen.» Er hofft, dass seine Lebensgeschichte anderen in schwierigen Situationen Mut gibt, nicht aufzugeben.

Doch seine Erblindung macht ihm auch zu schaffen. «Ich bin sehr oft auf andere angewiesen, das macht einen fragiler.» So fragt er sich manchmal: «Werde ich immer die Kraft haben, mit all diesen Problemen umzugehen?» Er erlebt jeden Tag Situationen, die ihn belasten. «Wenn ich am Morgen aufstehe und mir gleich mal den Kopf anschlage oder Zeit verliere, weil ich irgendwelche Sachen suchen muss, dann nervt das.» Und wenn alle vom Fussballmatch oder vom neusten Film erzählen, erinnert ihn das an seine Krankheit. «Und es ist traurig nicht zu wissen, wie die eigenen Kinder aussehen.»

Heute ist Johannes Frölicher auf einem Auge völlig blind, auf dem anderen erkennt er noch schwache Kontraste von hell und dunkel. «Da ich früher sehend war, kann ich mir zum Glück auch heute Dinge vorstellen, wenn mir sie jemand erklärt.» Zum Bahnhof geht er mit dem weissen Stock, ebenso vom Kantonsgericht den Stalden hinauf. «Sonst aber kann ich mich nicht frei bewegen.» Dies sei sehr einschneidend. «Vielleicht entdecke ich noch die Liebe zu Hunden.»

Den weissen Stock mag er nicht, auch wenn er ihm kleine Freiheiten beschert. «Es ist eine Stigmatisierung, man fällt auf damit.» Er hat ihn darum auch erst sehr spät eingesetzt. «Manchmal war es schon etwas unverantwortlich, wenn ich noch ohne Stock unterwegs war.» Doch er hat auch Anekdoten zu erzählen. Der Richter lässt sich immer wieder führen, beispielsweise einmal von einer Chefgerichtsschreiberin. Worauf nach einem Gerichtsausflug das Gerücht die Runde machte, sie habe sich mit einem Richter eingelassen. «Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert», sagt Johannes Frölicher dazu. Er sieht auch sich selber nicht mehr. Trotzdem ist Johannes Frölicher immer sehr gut gekleidet und achtet auf sein Äusseres. «Meine Frau sagt, ich würde meinen Zopf sofort abschneiden, wenn ich ihn sehen könnte», sagt er lachend. Und ja, er sei eitel, trotz Blindheit. «Immerhin müssen mich ja die anderen anschauen.»

«Wenn ich am Morgen aufstehe und mir gleich mal den Kopf anschlage, dann nervt das.»

«Es ist nicht so gut für das Selbstwertgefühl, wenn man den Puck nicht sieht.»

Zur Person

Aufgewachsen in Villars-sur-Glâne

Der 51-jährige Johannes Frölicher ist in Villars-sur-Glâne aufgewachsen, hat die Schulen auf Deutsch besucht und in Freiburg Recht studiert. Er hat unter anderem als Strafpflichtverteidiger und in Anwaltspraxen gearbeitet, war Gerichtsschreiber-Berichterstatter und Vizepräsident mehrerer eidgenössischer Rekurskommis­sionen. Von 2007 bis 2011 war er in einem 50-Prozent-Pensum Richter am Bundesverwaltungsgericht. 2011 wurde das SP-Mitglied Richter am Freiburger Kantonsgericht, er führt deutsch- und französischsprachige Fälle. Ab 2015 präsidierte er die verwaltungsrechtliche Abteilung. 2017 war er Kantonsgerichtspräsident. Frölicher ist verheiratet und hat vier Kinder im Alter zwischen zwölf und achtzehn Jahren.

njb

Zur Krankheit

Retinitis Pigmentosa

Johannes Frölicher leidet an Retinitis Pigmentosa; bei dieser Gruppe von erblichen Augenerkrankungen kommt es zu einem schrittweisen Absterben der Netzhautzellen. In der Regel sterben zuerst die Stäbchen ab, die in der Peripherie der Netzhaut angesiedelt sind. Die Zapfen im Zentrum der Makula bleiben erhalten. Die Betroffenen werden nachtblind, die Sehschärfe verringert sich, das Gesichtsfeld wird von aussen her eingeschränkt, bis nur noch ein kleiner zentraler Sehrest übrig bleibt. Der Betroffene sieht nur noch Gegenstände, die er direkt ansieht. Bei schwerem Verlauf führt die Krankheit zur Erblindung. Weltweit leiden rund drei Millionen Menschen an verschiedenen Formen von Retinitis Pigmentosa.

njb

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