Eine neue Verfügung ermöglicht einen seltenen Einblick in einen Gebührenstreit, den besonders der Visa-Konzern mit allen Mitteln führt.
In der Finanzbranche tobt ein Streit um Kartengebühren. Die technischen Details sind komplex, die Auswirkungen jedoch sehr konkret. Sie zeigen sich schon beim Kauf eines Gipfelis mit der Debitkarte. Die Bäckerei kassiert zwar 1.50 Franken, davon muss sie aber verschiedene Gebühren für die bargeldlose Zahlung abliefern. Eine davon ist die Interchange-Gebühr. Sie fliesst an die Bank, die eine Karte herausgibt. Im Fall des Gipfelis beläuft sich der Betrag auf deutlich weniger als einen Rappen oder – beispielsweise bei einer Visa-Debitkarte – im Schnitt 0,2 Prozent.
Dieser Betrag fällt auf den ersten Blick nicht ins Gewicht. Auf den zweiten Blick allerdings schon: Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten kaufen jährlich für 66 Milliarden Franken per Debitkarte ein. Das spült den Banken stattliche Millionenbeträge an Interchange-Gebühren in die Kasse. Diese Einnahmen verwenden sie dafür, die Kosten der Kartenherausgabe zu decken und Innovationen voranzutreiben.
Wie viel Gebührengeld die Banken für diese Aufgabe benötigen, ist hochumstritten. Spätestens seit Juni 2023, als die Wettbewerbskommission (Weko) je eine Untersuchung gegen die beiden Kartengiganten Visa und Mastercard einleitete, liegen sich Wettbewerbshüter, Banken und die beiden US-Konzerne in den Haaren.
Nun erlaubt eine Verfügung der Weko von Mitte Juli einen seltenen Blick hinter die Kulissen des Gebührenstreits. Sie zeigt, wie Mastercard sich rasch bereit zeigte, die Interchange-Gebühren zu senken, während Konkurrent Visa mit allen Mitteln versuchte, seine «langfristig faire und tragbare» Lösung durchzusetzen.
Gebühren sind streng genommen Abreden
Als die Auseinandersetzung im Herbst 2022 ihren Anfang nahm, schien ein Kompromiss noch möglich. Die Weko eröffnete eine Vorabklärung, um die Interchange-Gebühren neu zu beurteilen und Visa und Mastercard an einen Tisch zu bringen. Dies war nötig geworden, weil die bisherige Regelung auslief. Darin hatten die Beteiligten festgehalten, die Zulässigkeit und die Höhe der Gebühren neu zu verhandeln, sobald der Marktanteil der Debitkarten je 15 Prozent beträgt. Die Weko ist involviert, weil es sich bei den Gebühren um Preisabreden handelt, die durch Effizienzgewinne gerechtfertigt werden müssen.
Bald fand ein erstes Treffen mit dem Weko-Sekretariat statt. In den folgenden Monaten diskutierten die Parteien verschiedene Vorschläge. Doch als es im Dezember konkret wurde und die Behörde vorschlug, im Präsenzgeschäft den Gebührensatz auf 0,12 Prozent zu senken, zeigten sich rasch die Friktionen: Während sich Visa querstellte, zeigte sich Mastercard bereit, die Gebühren auf dieses Niveau zu senken und eine einvernehmliche Regelung anzustreben.
Visa lehnte den Deal ab, weil sich die Weko auf «massiv tiefere» Interchange-Gebühren als in der EU «eingeschossen» habe, kritisierte Visa-Schweiz-Chef Santosh Ritter später im Interview mit CH Media. In der Europäischen Union liegen die Sätze bei durchschnittlich 0,2 Prozent. Diesen Satz, den auch Visa aktuell anwendet, wollte die Firma für die Schweiz als Untergrenze durchsetzen. «Schliesslich hat die Schweiz die zweithöchsten Arbeitskosten in Europa.»
Zwar bekommt Visa von der Gebühr keinen Rappen, betont Ritter. Denn sie fliesst an die Banken. Als zuständiger Lizenzgeber müsse Visa den Satz aber in der «Balance» halten.
Visa befürchtet «spürbaren wirtschaftlichen Nachteil»
Angesichts der stark auseinanderdriftenden Positionen von Visa und Mastercard eröffnete die Weko zwei separate Untersuchungen. Dabei war es Visa nicht genug, sich im eigenen Verfahren äussern zu können. Das Unternehmen wollte auch Einsicht in die Verhandlungen mit Konkurrent Mastercard nehmen.
Deshalb verlangte der Konzern im Juli 2023, in der Untersuchung gegen Mastercard ebenfalls als Partei anerkannt zu werden und Akteneinsicht zu erhalten. Dies begründete Visa mit einem entsprechenden Bundesgerichtsentscheid. Visa drohe «ein deutlich spürbarer wirtschaftlicher Nachteil, sofern ohne Beteiligung von Visa am Markt Fakten geschaffen oder langfristig nicht tragbare Interchange-Fees vereinbart würden», so der Konzern. In anderen Worten: Visa wollte verhindern, dass Mastercard sich auf einen Deal mit tieferen Gebühren als Visa einlässt.
Auch die Banken mischen mit
Auch die Schweizer Banken sowie die Finanzdienstleister Viseca und Six versuchten, ihre Gebühreneinnahmen zu verteidigen. Sie haben grösstes Interesse daran, dass die Interchange-Gebühr hoch ausfällt. Schliesslich fliesst diese ihnen direkt zu. Der erst Anfang 2023 gegründete Verband Swissdebitpay drängte deshalb auch darauf, Partei im Mastercard-Verfahren zu werden, wie die Weko-Verfügung zeigt. Je tiefer die Höhe der Interchange-Gebühr ausfalle, desto geringer seien die Einnahmen der Mitglieder im Debitkartengeschäft, argumentierten die Banken.
Trotz dieser juristischen Störmanöver unterzeichnete Mastercard im Oktober die einvernehmliche Regelung mit dem Weko-Sekretariat. Das Unternehmen verpflichtete sich zu einem Interchange-Satz bei inländischen Debitzahlungen von 0,12 Prozent, wobei die Obergrenze bei Transaktionen ab 300 Franken bei maximal 30 Rappen liegt. Das tönt gut, hat aber auch einen Haken: Für digitale Zahlungen per Handy beträgt der Wert nämlich satte 0,31 Prozent, ab 2025 dann 0,28 Prozent.
Nach weiteren Schriftwechseln sprach sich das Weko-Sekretariat dafür aus, Visa die Parteistellung und die Akteneinsicht zu verweigern. Dagegen wehrte sich Visa vehement. Im April 2024 wandte sich die Firma direkt an die Weko-Präsidentin Laura Baudenbacher und verlangte «den unverzüglichen Erlass einer anfechtbaren Verfügung hinsichtlich der Parteistellung». Zudem sei der Entscheid über die Genehmigung der Mastercard-Lösung auszusetzen, bis ein Gerichtsurteil zur Parteifrage vorliege. Visa reichte eine entsprechende Beschwerde vor Bundesverwaltungsgericht ein, blitzte aber ab.
Die Weko blieb hart. Sie verweigerte Visa wie den Banken im Mastercard-Verfahren zusätzliche Mitsprache. Denn im Kern gehe es Visa darum, eine rasche Lösung mit einer tieferen Gebühr, als sie selbst anwendet, zu verhindern, so der Vorwurf der Wettbewerbshüter. Visa könne sich in ihrer «eigenen» Untersuchung äussern und den Entscheid der Weko auch vor Gericht ziehen. Tatsächlich wehrte sich der Konzern im gegen ihn geführten Verfahren juristisch. Er verlangte, bis zum Abschluss der Untersuchung einen Satz von durchschnittlich 0,2 Prozent als zulässig zu erklären. Das Argument: So würde Rechtssicherheit geschaffen. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte dies aus formalistischen Gründen ab, äusserte sich aber nicht zur Höhe der Gebühr. Visa hat den Entscheid vor Bundesgericht angefochten.
Studie soll mehr Klarheit bringen
Bei der Mastercard-Untersuchung kamen die Wettbewerbshüter insgesamt zum Schluss, dass eine Interchange-Gebühr tatsächlich Innovationen wie kontaktloses Zahlen oder Onlinekäufe fördern könne. Schwieriger sei es aber, die zulässige Höhe der Gebühr zu fassen. Da mit Mastercard eine Einigung gefunden werden konnte, erübrigte sich aber eine «aufwendige Auseinandersetzung mit zahlreichen ökonomischen Stellungnahmen». Klar ist für die Weko: «Es gibt keine Beweise dafür, dass der vereinbarte Satz zu einem weniger effizienten System für die Debitkarten von Mastercard führen könnte als der höhere Satz von 0,2 Prozent.»
Derweil verhandelt Visa weiter mit der Weko und zeigt sich «zuversichtlich», bald eine einvernehmliche Regelung abschliessen zu können. Welche Sätze und angeblich «langfristig tragfähigeren» Vorschläge mittlerweile zur Diskussion stehen, ist nicht bekannt. Neuen Schub erhoffen sich Visa und die Banken von einer Studie der Universität St.Gallen. Als Auftraggeber fungiert der Verband Swissdebitpay. Die Studie soll neue Erkenntnisse zur Effizienz der Kartengebühren bringen und Mitte September erscheinen.
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