Autor: Irmgard Lehmann
Was ist, wenn ein Arzt in der Brust «wahnsinnige Schmerzen» verspürt? Was ist, wenn er auf einmal merkt, dass seine Hand zittert und sein Schritt unsicher wird? «Die Diagnose war schnell gestellt», sagt Josef Meuwly. Mit 59 Jahren erlitt er den ersten Herzinfarkt. Ein Jahr später folgte der zweite, dann der dritte. Bypassoperationen zwangen ihn, kürzer zu treten. Mit 64 Jahren musste er seine Praxis in Tafers endgültig aufgeben. Ein harter Schicksalsschlag.
Noch assistierte er einige Jahre als Chirurg in der Klinik Daler. Bis er auch das mit 70 Jahren aufgab. Kurze Zeit später begann das Zittern der Hände, und es folgte die Diagnose Parkinson, was Josef Meuwly wohl vermutet hatte, aber nur schwer akzeptieren konnte.
Ehemalige Patienten
Heute hadert er mit dem Schicksal nicht mehr. «Das Leben hat mir ganz einfach Grenzen gesetzt.» Und er gibt mit einem Lächeln preis, wie man in Würde altert, ohne zu klagen und ohne das Interesse an der Umwelt zu verlieren.
Was zählt, ist die Erinnerung an ein «spannendes Berufsleben» und was man für andere getan hat. Denn obwohl seine Zeit als Chirurg längst der Vergangenheit angehört, erinnern ihn immer wieder Menschen daran. «Herr Doktor, Sie haben mir das Bein geflickt», sagte ihm kürzlich ein Mann, dem er auf einem Spaziergang in Schwarzsee begegnet ist. «Sie haben mir das Leben gerettet», ein anderer aus dem Oberland, der mit dem Traktor verunfallt war.
Beten und Zuversicht
Wenn Josef Meuwly über solche Begegnungen erzählt, leuchten seine Augen, und sein Gegenüber weiss, dass er jetzt in Gedanken wieder im Spital ist, dort, wo er dreissig Jahre lang mit Leib und Seele Arzt war.
Ja, er habe vor grösseren Operationen immer gebetet: «Herr, nimm meine Hände und führe sie.» Zeit zum Beten nimmt er sich auch heute noch. Oft führen die kleinen Tagesausflüge von Sepp und Marie-Theres Meuwly an einen Wallfahrtsort, in eine Kapelle. «Wir beten auch für Obama», sagen sie unisono. Das Gebet, der Glauben: die grosse Stütze im Leben von Josef Meuwly? «Sie geben mir Kraft und Zuversicht», sagt er. Die braucht er auch, denn sein Radius ist klein geworden.
Welt der Kinder
Reisen und in einem fremden Bett schlafen, das gibt es nicht mehr. Nur zuhause ist der Alltag lebbar, weil hier die Installationen und Lebenshilfen vorhanden sind.
Doch die Welt kommt trotzdem ins Haus. Die bringen ihm die vier Kinder und die sieben Grosskinder – und selbstverständlich Gattin Marie-Theres. Sie kümmert sich liebevoll um ihren Gatten und hält ihn mit Diskussionen über Politik und Glaubensfragen ganz schön auf Trab. Sie bringt die Kreuzworträtsel ihres Gatten zu Ende und «benimmt sich wie eine Furie» (sagt ihr Mann), wenn Josef Meuwly – in einem Anfall von jugendlichem Übermut – etwa zum Rasenmäher greifen sollte.
Glücksmomente
Josef Meuwly schielt längst nicht mehr auf jene jungen Alten, die den Berg erklimmen und die halbe Welt bereisen. Er ist dankbar für die kleinen Glücksmomente, die ihm ein Konzert, ein Theater oder der schön gepflegte Garten zuhause in Tafers beschert.
Mit Medikamenten hält der ehemalige Arzt Parkinson in Schach – immer im Wissen darum, dass das Schreckensgespenst zu jeder Zeit zuschlagen kann. Sein Humor bleibt: «Wenn dir nichts weh tut, gibt es dich nicht mehr», zitiert er lächelnd den alternden Martin Walser.