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Lieber Staatsverträge als Parkbussen

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Ende Jahr wird Gilbert Kolly die maximale Amtsdauer von zwei Mal zwei Jahren als höchster Richter der Schweiz erfüllt haben, und er hat dieses Jahr zudem das AHV-Alter erreicht. Im Gespräch mit den FN zieht der Freiburger Richter Bilanz.

 

Gilbert Kolly, Sie sind noch bis Ende Jahr Präsident des Bundesgerichts. Rückblickend gesehen: War es die Krönung Ihrer juristischen Karriere?

Es ist eine Krönung in dem Sinn, dass es das höchste Amt ist, welches man als Richter in der Schweiz erreichen kann. Es war aber sicher auch von der Sache her eine Krönung. Ich habe sehr viele interessante Tätigkeiten und Begegnungen gehabt.

 

Als Präsident vertreten Sie das Bundesgericht gegen aussen, und Sie sind verantwortlich für die Organisation und die Verwaltung. Wie befriedigend war das für Sie?

Ich habe es extrem bereichernd empfunden, Kontakte nach aussen zu haben. Diese Kontakte waren sehr ergiebig, insbesondere zum Parlament, mit welchem das Verhältnis heute sehr gut ist. Zwischen dem Parlament und dem höchstem Gericht besteht ein Vertrauensverhältnis.

 

Hatten Sie als Präsident besondere Befugnisse gegenüber Ihren Richterkollegen?

Der Präsident ist ein Primus inter Pares, und er braucht den Rückhalt und die Zustimmung seiner Kollegen. Das setzt voraus, dass er Kontakt mit seinen Kollegen hat und sie überzeugt. Das braucht oft etwas Zeit, aber im Ergebnis ist es gut so, weil dies für breit abgestützte Entscheide sorgt. Man vertritt dann wirklich die Meinung des Gerichtes.

 

Welches Bild des Bundesgerichts versuchten Sie gegen aussen zu vermitteln?

Mir ist es immer darum gegangen, das Bundesgericht als eine unabhängige Instanz zum Schutz der Bürger und der Rechte der Bürger zu zeigen. Wir versuchen, unsere Arbeit dem Bürger möglichst in verständlicher Weise nahezubringen. Das Bundesgericht ist in den Medien präsent durch seine Entscheide, nicht aber in den Klatschspalten. Daran liegt uns viel.

 

Gibt es eine Art neue Offenheit?

Wir waren nie verschlossen. Aber wir leisten jetzt mehr. Seit einigen Jahren werden alle unsere Entscheide auf Internet aufgeschaltet. Zu den wichtigeren Fällen machen wir nun regelmässig Pressecommuniqués. In Sachen Rechtsprechung praktizieren wir Offenheit.

 

Welche Begegnungen sind Ihnen besonders haften geblieben?

Der Präsident des Bundesgerichts hat regelmässige Kontakte mit den Höchstgerichten der Nachbarstaaten, wird aber auch oft von Richtern aus fernen Ländern besucht. So zum Beispiel von der berühmten amerikanischen Richterin des Supreme Courts, Ruth Bader Ginsburg. Empfangen habe ich die Justizministerin der Volksrepublik China oder den Präsidenten des höchsten brasilianischen Gerichtes, mit dem ich Schweizerdeutsch sprechen konnte, weil seine Mutter Schweizerin ist. Zu Beginn des Jahres hatten wir einen offiziellen Besuch des russischen Verfassungsgerichtes.

 

Gibt es Entwicklungen bezüglich Organisation und Verwaltung des Bundesgerichts, die in Ihrer Amtszeit aufgegleist wurden?

Das eine ist die Revision des Bundesgerichtsgesetzes, die vom Bundesrat geplant war. Wir haben zu Beginn meines Präsidiums eine Arbeitsgruppe gebildet, die ich präsidiert habe, und Vorschläge ausgearbeitet. Diese haben wir nach Bern ans Bundesamt für Justiz weitergeleitet, das einen Gesetzesentwurf erarbeitet hat, der jetzt bereit ist für den Bundesrat. Der Entwurf beinhaltet weitgehend die Vorschläge des Bundesgerichts. Am 14. November fand eine Plenarsitzung der Richter statt, anlässlich welcher mit grossem Mehr beschlossen wurde, diese Vorlage zu unterstützen.

 

Um was geht es in dieser Revision?

Unsere Idee ist es, die Funktion des Bundesgerichts als höchstem Gericht der Eidgenossenschaft zu stärken. Wir sind der Meinung, ein Höchstgericht muss für alle justiziablen Materien die letzte Instanz sein. Heute können gewisse Rechtsfälle nicht vor Bundesgericht gebracht werden.

 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Vor einigen Jahren gab es im Rahmen der Bankenproblematik den Staatsvertrag mit den USA, wo die Schweiz sich verpflichtet hat, Daten zu liefern. Der Vertrag wurde letztinstanzlich vom Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen beurteilt. Es bestand keine Beschwerdemöglichkeit an das Höchstgericht. Das war ein Fall, bei dem es für die Schweiz um viel ging; trotzdem konnte die Sache nicht ans Bundesgericht weitergezogen werden. Hingegen können Parkbussen bei uns angefochten werden.

 

Gegen solche Trivialitäten wie Parkbussen kann sich das Bundesgericht nicht wehren?

Darum geht es in einem anderen Teil der Gesetzesrevision. Ein Höchstgericht ist nicht dazu da, jeden Fall zu behandeln, der objektiv gesehen von geringerer Bedeutung ist. Da gehört die berühmte Parkbusse dazu. Es gibt Vorinstanzen, die Bezirksgerichte und die Kantonsgerichte. Für eine Parkbusse sollten zwei Instanzen genügen. Es ist auch eine Frage der Belastung: Wir brauchen die nötige Zeit für die wichtigen Entscheide, die für die Rechtsprechung von Bedeutung sind. Diese Zeit können wir nur gewinnen, wenn wir von Routinefällen entlastet werden. Der Rechtsschutz wird besser, wenn das Höchstgericht Zeit für die wichtigen Rechtsfragen hat. Guter Rechtsschutz bedeutet nicht, dass man möglichst viel rekurrieren kann.

 

Diese Reform läuft auf Gesetzes­ebene. Gibt es auch organisatorische Projekte?

Ja, die Informatik. Die Schweizer Gerichte und auch das Bundesgericht arbeiten derzeit noch mit dem Papierdossier. Das Ausland ist viel weiter mit dem elektronischen Dossier. Die Bundesverwaltung führt es ein, und die Schweizer Justiz muss das jetzt auch machen. Das ist auch ein Anliegen der Anwälte. Wir haben uns überlegt, ob man nicht ein gemeinsames System mit den Kantonen machen sollte, und das Bundesgericht hat beschlossen, hier den Lead zu übernehmen. Mit viel Arbeit, namentlich des Generalsekretärs Paul Tschümperlin aus Gurmels, haben wir dieses Dossier vorangetrieben. Am 21. Oktober, anlässlich der Justizkonferenz – der Zusammenkunft der Präsidenten der obersten kantonalen Gerichte und des Bundesgerichtspräsidenten – haben wir Thesen verabschiedet zur gemeinsamen Einführung eines vereinheitlichten elektronischen Dossiers. Der Entscheid fiel ohne Gegenstimme. Einen Monat später hat die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren in Anwesenheit des Bundesgerichtspräsidenten ebenfalls einstimmig beschlossen, dieses Projekt zu unterstützen, was gewisse Einschränkungen kantonaler Kompetenzen mit sich bringt. Dieses gemeinsame Vorgehen ist wahrscheinlich eine Premiere für die Schweizer Justiz. Wir bilden nun eine gemeinsame Arbeitsgruppe.

 

Dieses System würde also bis zu den Bezirksgerichten reichen?

Genau. Die Kantone haben teilweise schon eigene Systeme, die man integrieren muss. Namentlich für die Führung von Dossiers oder die Akteneinsicht, z. B durch die Anwälte, muss ein gemeinsames System geschaffen und eingeführt werden, das für alle Gerichte der Schweiz gilt. Dabei ist es unter dem Aspekt der Unabhängigkeit der Justiz wesentlich, dass die Herrschaft über die Programme und Daten bei den Gerichten bleibt.

 

Alle Stufen der Gerichte bis zu den Friedensgerichten klagen über eine Arbeitsüberlastung. Inwiefern betrifft das auch das Bundesgericht?

Dass die kantonalen Gerichte mit genügend Personal und Mitteln ausgestattet sind, ist in der Verantwortung des Kantons. Wenn aber das Bundesgericht anlässlich einer Beschwerde feststellt, dass ein kantonales Gericht offensichtlich nicht mehr in der Lage ist, Fälle in angemessener Frist zu behandeln, ist es schon vorgekommen, dass wir eine Bemerkung in das Urteil geschrieben und den Entscheid auch den zuständigen kantonalen Instanzen zugestellt haben.

 

Wie sieht die Arbeitslast am Bundesgericht aus?

Auf Ende Jahr werden wir etwa bei 7800 Fällen sein. Global gesehen ist dieses Niveau sehr hoch, wohl zu hoch. Die Gesamtbelastung hat sich in den letzten Jahren nicht stark verändert. Hingegen hat sich die Geschäftslast innerhalb der Materien verschoben. Wir hatten in der letzten Zeit eine starke Zunahme der Beschwerden in Strafsachen. Das bereitet uns für die interne Organisation Sorgen.

 

Vor vier Jahren sagten Sie, das Bundesgericht mit 38 Bundesrichtern solle nicht grösser werden. Stehen Sie noch heute zu dieser Ansicht?

Ja, dazu stehe ich weiterhin. Die Lösung zur Bewältigung der Geschäftslast kann nicht darin bestehen, einfach die Richterzahl zu erhöhen. Die Lösung muss so sein, wie es die Revision des Bundesgerichtsgesetzes vorsieht, nämlich den Zugang zum Bundesgericht etwas zu beschränken. Mehr Richter bringen zusätzliche Koordinationsprobleme.

 

Gab es in den letzten vier Jahren wichtige Änderungen aus juristischer Sicht, die das Bundesgericht beeinflusst haben?

Es gibt im Jahr 3000 bis 4000 Seiten an neuen Bundesgesetzen. Zum Beispiel hatten wir die Zweitwohnungsinitiative, die uns in kürzester Zeit 400 bis 500 Beschwerden eingebracht hat. Aber solche Schwankungen gibt es immer wieder.

 

Wie hat das Präsidium Sie als Person geprägt?

Ich habe vieles gesehen, viele Kontakte geknüpft und Verantwortungen übernehmen müssen, die ich vorher nicht hatte. Ich schaue mit Befriedigung auf diese vier Jahre zurück.

 

Ihre Amtszeit läuft ab, und Sie sind heute 65-jährig.

Ja, ich bin jetzt im AHV-Alter. Ich hätte noch drei Jahre als Richter bleiben können, weil bei uns die Altersgrenze bei 68 Jahren liegt. Aber es ist Tradition und richtig so, dass der Präsident am Ende seiner Amtszeit zurücktritt. Für mich passt es altersmässig gut zusammen.

 

Planen Sie, Ihre Erfahrungen und Kontakte im Ruhestand zu nutzen?

Mir ist es recht, wenn ich es in den nächsten Monaten ruhig habe. Ich könnte mir aber schon vorstellen, gewisse Mandate zu übernehmen. Mandate, wo ich meine 38-jährige Erfahrung als Richter einbringen und auch meine Unabhängigkeit ein Vorteil sein könnte. Wir werden sehen.

Bundesgericht

Am Mittwoch wird Gilbert Kollys Nachfolger gewählt

Die Vereinigte Bundesversammlung wird am Mittwoch die Wahl des neuen Bundesgerichtspräsidenten für die Amtsperiode 2017 bis 2018 vornehmen. Vorgeschlagen für dieses Amt ist der 63-jährige Berner Ulrich Meyer, ein SP-Mitglied. Die Vollversammlung der Bundesrichter hat diesen Vorschlag zuhanden der Bundesversammlung gemacht. Als neue Vizepräsidentin ist Martha Niquille-Eberle vorgeschlagen. Als drittes Mitglied der Verwaltungskommission ist Yves Donzallaz vorgesehen. In zwei der sieben Abteilungen des Bundesgerichts kommt es Anfang 2017 zu einem Wechsel des Präsidiums.

uh

 

Zur Person

Richterkarriere in Tafers begonnen

Gilbert Kolly ist 1951 in Freiburg geboren, wo er auch seine Ausbildung bis zum Jus-Doktorat und Anwaltspatent machte. 1979 nahm er seine Arbeit bei den Freiburger Gerichtsbehörden auf. Dreieinhalb Jahre war er Präsident des Bezirksgerichts Sense und anschliessend während mehr als 16 Jahren Kantonsrichter. 1998 wurde Gilbert Kolly zum Bundesrichter gewählt. In Lausanne kümmerte er sich hauptsächlich um Beschwerden in Zivilsachen, namentlich im Bereich des Vertragsrechts, des Immaterialgüter- und des Wettbewerbsrechts. Kolly war in der Verwaltungskommission, dann Vizepräsident und ab 2013 Präsident des Bundesgerichts.

uh

 

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