Autor: Hubert Reidy
Eine schiefe, halb zerfallene Hütte: Die Bauruine könnte irgendwo stehen. Daneben eine karge, verwahrloste Landschaft. Dunkle Bretter tragen die agierenden Personen über einen verschlammten Boden. Fahle Lampen, die kaum beleuchten, Drähte, die kaum noch als Energieträger dienen, ein umgekippter Kinderwagen. Eine leere, in dunkle Farbtöne getünchte Welt und ein schiefes Heim als Abbild der inneren Zerrissenheit einer leidenschaftlich liebenden, ihre japanischen Traditionen fast gänzlich «verratenden» jungen Frau?
Sorgfältige Regie
Regisseur Olivier Desbordes führt die Solistinnen und Solisten in Puccinis «Madame Butterfly» – der Opernpremiere des Freiburger Equilibre – behutsam durch diese schiefe Welt, entwickelt ein dichtes Seelendrama in meist statischen Einstellungen, die selten durch flink-bewegte Aktionen einzelner Handlungsträger – wie Goro und Yamadori – kontrapunktiert werden. Und er lässt die Kraft fesselnder Musik sich ungehindert, prächtig entfalten.
Und er unterstreicht Gegensätze: Cio-Cio-San (Madame Butterfly) und ihre Familie, die sich anmutig, fast schwerelos über die verwüstete, hindernisreiche Bühnenfläche schmiegen; eine Hochzeitsfamilie mit bunten japanischen Kostümen, weissen Gesichtern, farbigen Schirmen als Kontrast zur eintönig-trostlosen Umwelt. Daneben die Figur des amerikanischen Marineleutnants Pinkerton, der besitzergreifend, stämmig, ungelenk in das japanische Alltagsleben eindringt.
Eindrückliche Rollen
Sandra Lopez de Haro entfaltet mit ihrer grossen, flexiblen Stimme – allerdings mit breitem Vibrato – und mit natürlicher Gestik eindrücklich die Entwicklung Cio-Cio-Sans von der kindlich-naiven Braut zur gereiften Frau, die sich leidenschaftlich gegen Widerwärtigkeiten stellt, schliesslich jedoch an der grausamen Wirklichkeit zerbricht.
Mit ausdrucksreichem, wohlklingendem Timbre, mit anmutigen Bewegungen, mit steter Aufmerksamkeit stellt Irina de Baghi eine warmherzige Dienerin dar.
In seiner Gestik etwas unbeholfen verkörpert der rumänische Tenor Cristian Mogosan überzeugend den imposanten Amerikaner Pinkerton, mit höhensicherer, etwas starrer, den Raum füllender Stimme – ein Gegensatz zur Grazie der beiden weiblichen Hauptrollen.
Natürliche, warme Stimme
Kristian Paul als amerikanischer Konsul Sharpless vermag das Publikum durch seine echt wirkende, verständnisvolle Sympathie zu Butterfly, durch seine innere Beteiligung und durch seine natürliche, warme Stimme einzunehmen.
Den umtriebigen Goro «Nakodo» spielt Eric Vignau unruhig-behende, mit angenehm ebenmässigem Timbre. René Perler schlüpft mit klar zeichnender Stimme bei der Premiere gleich in zwei unterschiedliche Rollen, verkörpert neben dem «bösen» Onkel Bonze auch den kaiserlichen Kommissar.
Effekthascherei
Etwas allzu aufdringlich, effekthascherisch wird Fürst Yamadori, immerfort stolpernd und theatralisch fallend, als hilfloser Liebhaber Butterflys dargestellt.
Der kleine Chor überzeugt mit intonationssicherem, homogenem, transparentem Klang, als Hochzeitsfamilie in reizender «Choreografie».
Der musikalische Leiter Laurent Gendre animiert das Freiburger Kammerorchester zu präzisem, dynamisch reichem und sensibel ausgesteuertem Spiel und erreicht eine ausgezeichnete Koordination zwischen Orchester und Solistenensemble.
Tiefer Orchestergraben
Das Orchester wird so zum heimlichen Träger des musikalischen Geschehens und vermag den dramatischen Dialog, die suggestive Melodik, das typische «Puccinische» Melos, die feine Verarbeitung der Leitmotivik, die koloristischen Elemente, das enorme Spektrum musikalischer Ausdruckskraft kompetent nachzuzeichnen. Und das Orchester klingt präsent – trotz der «Verbannung» in den tiefen Orchestergraben.
Cio-Cio-San (Madame Butterfly, rechts) und ihre Familie kontrastieren durch ihre Anmut mit der eintönig-trostlosen Umwelt.Bild Alain Wicht
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