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Der Waldmensch von Salvenach

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Der Waldmensch von Salvenach

Autor: Urs Haenni

Die Erinnerung an Gyoth Ärnschtu verblasst. Fragt man die Leute, wie er aussah, so erfährt man, dass er ein rundes, runzliges Gesicht, ein verschmitztes Lächeln, schütteres Haar und nicht mehr alle Zähne hatte. Er sei eher von kleiner Statur gewesen, langsam und etwas vornübergebeugt gegangen. Jemand anders hat ihn viel grösser in Erinnerung, mit vollem, zuletzt wunderbar silbernem Haar, und er sei immer in Eile gewesen.

Doch wenn Gyoth in Militärhosen und mit Filzhut von seinem Bunker aus dem Galmwald Richtung Dorf kam, so sagten die Salvenacher: «Oha, dr Ärnschtu chunnt. Es git schlächt Wätter.»

Zuhause im Bunker

Gyoth Ärnschtus Zuhause war ein Bunker, in dem die I. Sappeur-Kompanie III/20 im Ersten Weltkrieg Dienst geleistet hatte. Beim Kleinkaliberstand den Weg hinauf, links einer Kurve, etwas verdeckt von Buchen und Tannen in einem Graben, in der Chacheli-Hölle. Chacheli deshalb, weil Leute aus dem ganzen Bezirk Abfälle im Bunkergraben deponiert hatten, Grünabfälle, kaputte Geräte, Büchsen und eben zerbrochene Chacheli.

Lokalchronist Ueli Gutknecht besuchte Gyoth 1967 im Bunker und beschreibt die Begegnung so: «Durch einen schmalen Eingang ohne Tür trete ich ein. Gyoth sitzt auf einer Kiste und löffelt Tee aus einer Konservenbüchse. Er entschuldigt sich, dass er unrasiert sei. In einer Ecke des fenster- und türlosen Raumes flackert ein Feuer. Darüber eine dicke Zementröhre und darin eine alte Kochpfanne. Der Rauch will nicht recht abziehen und hängt an der Decke, die wie der ganze Bunker schwarz ist.»

Auch der verstorbene Lehrer Erich Wasem hatte Gyoth besucht. Gyoth hätte sich auf vier bis fünf Matratzen gebettet, und zum Schlafen nochmals mit zwei Matratzen zugedeckt. Zum Wasserholen sei er immer zum Galmbrünneli gelaufen. Einmal habe Wasem ihn dort gesehen. Nackt habe Gyoth sich eingeseift und gewaschen und sei dann wieder in Kleider gestiegen, die vor Dreck standen.

Leibspeise «Stachelisuppe»

Gyoth ging nie auf die Menschen zu, aber er verwehrte sich ihnen auch nicht. Schulklassen aus Salvenach besuchten ihn zu Weihnachten, einmal auch vom Fernsehen begleitet. Fürsprecher Kramer, Adjunkt eines Bundesrates, führte Herren aus dem Bundeshaus zu Gyoths Bunker.

Gyoth ernährte sich von dem, was der Wald hergab; Bauern brachten ihm auch Totgeburten aus dem Stall oder tote Hunde, doch am allerliebsten, so erinnerte sich Erich Wasem, hatte Gyoth «Stachelisuppe» – mit Igeli aus dem Galmwald. Wenn es bei Bauern Arbeit gab, Dreschen, Heu laden, Kartoffeln ernten, dann half Gyoth mit und verdiente sich ein paar Fränkli. Man fand ihn dann auch bei einem Schnaps in der Wirtschaft, oder wenn es kalt war, übernachtete er bei Leichts im «Chalet», bei Stolls im Guschtistall oder auch mal im warmen Dörrofen des Ofenhauses, da wo sonst Bohnen und Apfelschnitze gedörrt wurden.

Zwei Geburtsdaten

Um Gyoth ranken sich viele Legenden. Dies beginnt schon damit, dass er zum Vornamen gar nicht Ernst, sondern Michel hiess. Aber alle sprachen nur vom Ärnschtu. Der frühere Ammann Eduard Benninger forschte einmal im Zivilstandsamt Murten nach Gyoth. Dort waren beim Geburtsdatum gleich zwei Daten des Jahres 1897 angegeben.

Aus Gyoths Kindheit erzählt man sich, dass seine Familie, Korber, aus der Freiburger Unterstadt stammte, dann aber in Marly wohnte und von dort vertrieben wurde. Sie liessen sich in Gempenach nieder, nahe der Spack-Sagi. Gottlieb sei der zivilisierteste der drei Brüder gewesen. Viktor hingegen war Hundehändler, ein richtiges Schlitzohr, das auch gewildert habe. Für Michel, den jüngsten Bruder, gab es zu wenig Arbeit. Er wäre als Korber seinen Brüdern ein Konkurrent gewesen.

So ging Ärnschtu auf Wanderschaft. In einer Erzählung schrieb Eduard Benninger, Gyoth habe als Melker bei einem deutschen Bauern angeheuert. Er hätte ein Mädchen vom Hof heiraten wollen, doch dessen Eltern seien gegen eine Heirat gewesen. Diese Episode wird oft als Grund angegeben, warum sich Gyoth später verbittert in die Einsamkeit zurückzog. Ob sie stimmt? Niemand mag sich erinnern, sie je aus dem Mund Gyoths gehört zu haben.

«I bin e Franzos»

Wahrscheinlicher ist, dass Gyoths Wanderschaft ihn in die Fremdenlegion nach Frankreich führte. Seine Schwägerin Olga erzählte dies im Greisenasyl Jeuss, und dem Gemeindeschreiber Stoll habe Gyoth gesagt, er sei in Madeleine eingerückt und habe auf Korfu gedient. Deshalb auch der legendäre Spruch «I bin e Franzos». Als Legionär musste Gyoth nach der Rückkehr in die Schweiz in Bellechasse eine Gefängnisstrafe absitzen.

Danach wohnte Gyoth Ärnschtu einige Jahre in einem Stöckli in Lurtigen. Hans Kramer-Helfer war noch ein Bub, als Gyoth bei seiner Familie eine kleine Küche und ein Stübli bewohnte. Ein Bett und einen Schrank habe er besessen. Doch als Fahrende eines Abends eine «Hundslochete» beim Wald feierten, da räumten ein paar von ihnen dem Ärnschtu Bett und Schrank. Gyoth korbte fortan auf seinem Militärkaputt auf dem Küchenboden und verwahrloste immer mehr.

Schliesslich zog Gyoth Ärnschtu um 1948 in einen Bunker nahe des Greisenasyls Jeuss ein. Doch auch da spielten ihm Strolche übel mit. Angeheiterte Bauern zogen umher, und der Brönimann Mändu habe Gyoths Stroh angezündet, das damals sein Nachtlager bildete.

Erst in der Chachelihölle fand Gyoth mehr Ruhe und Abgeschiedenheit, um seine Verbitterung zu vergessen. Die Moderne lief an ihm vorüber, ohne dass er daran gross Anteil nahm. Als Gyoth einmal bei seinem Dienstkollegen Franz Wieland auftauchte, sagte ihm dieser, die Amerikaner seien auf dem Mond gelandet. Darauf der Gyoth Ärnschtu: «Was du nid seisch!»

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