Sie war einst Vize-Miss-Bern, dann eine der besten Kitesurferinnen – heute ist sie Mutter, Storytellerin und seit neustem Wingfoilerin. Manuela Jungo führt ein Leben wie in einem Traum, die Realität holt die 39-jährige Düdingerin aber immer wieder ein.
Lange war die Düdingerin Manuela Jungo eine der besten Kitesurferinnen der Schweiz. Als Profi belegte sie bei der PKRA World Tour drei Jahre in Folge den 5. Schlussrang im Freestyle. Danach fuhr sie zwei Jahre lang bei der Kitepark League mit, ehe sie 2018 ihr Board und ihren Lenkdrachen in die Ecke stellte. Fünf Jahre später – in den vergangenen Tagen auf den Kapverden – ist die inzwischen 39-Jährige auf die grosse Wettkampfbühne zurückgekehrt. Nicht als Kitesurferin, sondern als Wingfoilerin. In der neuen Trendsportart (siehe Kasten unten) schaffte sie es bei der Weltcup-Premiere im Wave (Wellenreiten) direkt auf Rang 5.
Ein Weltmeister und ein Sohn
Manuela Jungo führt das Leben, von dem viele träumen: Elf Monate im Jahr reist sie um die Welt, Sonne und Meer sind ihre ständigen Begleiter. Sie lebt an den schönsten Stränden der Welt, auf den Kapverden, auf Hawaii, den Kanaren oder in Brasilien. Als Globetrotterin ist sie überall zu Hause – und zugleich auch nirgends. Doch so ungezwungen und befreit wie früher kann die Düdingerin ihren Traum nicht mehr auskosten. Ihre Lebensumstände haben sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Neue Menschen sind in ihr Leben getreten, haben ihren Alltag bereichert und verschönert – allerdings zum Preis der eigenen Unabhängigkeit.

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Das seit jeher turbulente Leben der Freiburgerin hat 2018 eine geradezu romantische Wendung genommen, als sie Victor Fernandez, den mehrfachen Weltmeister im Windsurfen, kennengelernt hat. Obwohl Kiter und Windsurfer traditionell eher nicht gut aufeinander zu sprechen sind, reisten die beiden fortan gemeinsam in ihrem Van durch die Weltgeschichte. Erst als Paar, ab November 2019 zu dritt. «Die Geburt eines Kindes ist etwas Wunderbares, dein Leben verändert sich dadurch aber grundlegend. Du bist nicht mehr so flexibel», erzählt Jungo.
Mehr Flexibilität dank Wingfoilen
Doch Flexibilität ist für eine Wassersportlerin unabdingbar. «Für das Kitesurfen braucht es gewisse Wind- und Wetterverhältnisse. Wenn sie plötzlich auftauchen, musst du spontan aufs Meer können. Diesen Luxus habe ich mit Kona nicht mehr.» Also beginnt Jungo, für die das Kiten schon vorher etwas den Reiz verloren hat, mit dem Wingfoilen. «Wingfoilen ist bei viel weniger Wind möglich, dadurch kann man es fast jeden Tag machen. So ist es planbarer, und ich kann eher mal raus aufs Meer.» Dabei kann sie gelegentlich auf die Unterstützung ihrer Mutter zählen. «Manchmal kommt sie mit auf Reisen und hilft uns beim Hüten.»
Ihre Wettkampfpremiere als Wingfoilerin hat Manuela Jungo letzte Woche erfolgreich hinter sich gebracht. An der Weltspitze gehört die 39-Jährige zum alten Eisen, ihre Gegnerinnen sind alle zehn oder mehr Jahre jünger. Die Spaniern Nia Suardiaz, die auf den Kapverden Zweite wurde, ist sogar erst 16-jährig. «Im Gegensatz zu ihnen bin ich keine Wingfoil-Vollblutsportlerin. Ich kann nicht eine ganze Freestyle-Tour mit zehn Destinationen mitmachen, sondern muss mir meine Wettkämpfe gezielt aussuchen», erklärt Jungo.

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Sportliche Ambitionen hegt die Düdingerin dennoch. So will sie Anfang Juni in Garda die Qualifikation für die ANOC World Beach Games schaffen. Die World Beach Games sind ein vom Nationalen Olympischen Komitee organisierter Multisportwettkampf für nicht olympische Strandsportarten, der im August auf Bali ausgetragen wird. «Ich würde gerne als Mitglied der Schweizer Delegation in Indonesien unser Land als Wingfoilerin vertreten», sagt Jungo. «Ich brauche immer ein Ziel, auf das ich hinarbeiten kann. Das liegt in meinen Genen.»
Storytellerin, nicht Influencerin
Mit ihrem Sport verdient Jungo kaum Geld. Selbst ihr Partner Victor Fernandez kann als mehrfacher Weltmeister im Windsurfen nicht vom Preisgeld leben. «In einem anderen Sport wären wir längst Millionäre», sagt die Senslerin mit einem Lachen. Ihre Einnahmen hat Jungo schon immer über Sponsoren generiert. Als eine der Ersten hat sie angefangen, sich und ihre Reisen auf Instagram erfolgreich zu vermarkten. Mit ihrem Aussehen und den sportlichen Erfolgen hatte und hat die ehemalige Vize-Miss-Bern gute Argumente. «Ich habe an den vielen Spots regelmässig Produkte meiner Sponsoren ausprobiert, meine Erfahrungen in Berichten zusammengefasst und die entweder in Kite-Magazinen veröffentlicht oder im Internet und in den sozialen Netzwerken gepostet.» Als Influencerin will sie sich aber nicht bezeichnen. «Ich mag den Begriff nicht, das Ganze entwickelt sich in eine schlechte Richtung. Ich will nicht bloss ein Produkt in die Kamera halten – heute dieses Shampoo und nächste Woche jenes», erklärt Jungo. «Ich betrachte mich als Storytellerin, meine Posts drehen sich um Reisen, Sport und Familie.» Bezahlte Aufträge zu erhalten, werde jedoch immer schwieriger, sagt sie. «Die bekommt man fast nur noch, wenn man für Konsum wirbt.»

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Ihre Aufträge muss sich Jungo überall zusammensuchen. So machte sie kürzlich ein Storytelling mit Mercedes oder berichtete von ihrer Erfahrung im Elektro-Camper von Opel. Sie arbeitet als Social Media Manager bei Engadinwind, für die Onlineplattform Busfabrik.ch und organisiert Networking-Events für amerikanische Non-Profit-Organisationen, deren Mitgliedern sie dann Snowkite beibringt. Und sie versucht, das Wingfoilen zu promoten und voranzutreiben.
Gedanken über die Zukunft
Nicht nur Sonne, Strand und Meer prägen das vermeintliche Traumleben von Jungo, auch viel Computerarbeit. Sie will sich aber nicht beklagen. «Ich führe ein gutes Leben, ich fühle mich eng mit dem Meer verbunden. Ohne das Meer kann ich nicht über längere Zeit sein.» Sie kann von ihrem Lebensstil gut leben, schliesslich kostet das Reisen mitunter weniger als ein Leben in der Schweiz.
Dennoch macht sich Jungo, die alle zwei Monate für ein paar Tage nach Düdingen kommt, um auf dem kleinen Bauernhof der Eltern inmitten von Kühen und grünen Weiden Energie zu tanken, Gedanken über die Zukunft. In zwei Jahren wird ihr Sohn eingeschult. Aber wo? In der Schweiz, oder in Spanien, dem Heimatland seines Vaters? Oder ganz anderswo? «Im November wurden Kona und ich in Spanien auf dem Fahrrad von einem Auto angefahren. Dabei habe ich mir den Fuss gebrochen, und der Kleine wurde unter dem Auto eingeklemmt. Eine halbe Stunde warteten wir an der Unfallstelle vergeblich auf die Ambulanz, bis wir schliesslich selber irgendwie ins Spital gegangen sind», erzählt die 39-Jährige. Dieses Erlebnis habe sie zum Nachdenken gebracht. «Wo will ich, dass mein Kind aufwächst? Welche medizinische Betreuung will ich für ihn?»
Jahr für Jahr
Solange ihr Lebenspartner als Windsurf-Profi durch die Welt tingelt, scheint es schwierig, sich im Binnenland Schweiz niederzulassen. Auf dem Murtensee lässt sich nun mal weniger gut trainieren als auf dem Meer. «Erschwerend kommt für meinen Partner die Sprache dazu», sagt Jungo nachdenklich. Für einen kurzen Moment herrscht Stille während des Telefongesprächs, bei dem die Freiburgerin zwischen einem Wettkampf und einer Expression-Session von den Kapverden aus von ihrem Leben erzählt. Doch dann kehren Enthusiasmus und Freude zurück in ihre Stimme. «Aber es geht noch zwei Jahre, bis Kona in die Schule muss. Wir nehmen Jahr für Jahr und schauen, wohin das Leben uns treibt. Irgendwo geht immer eine Türe auf.»
Wingfoilen
Die neue Trendsportart
Wingfoilen ist eine relativ neue Wassersportart, eine Mischung aus Windsurfen und Kitesurfen. Das Brett, auf dem die Wingfoiler stehen, schwebt gewissermassen über dem Wasser, während eine an der Unterseite des Bretts befestigte Foil (Tragfläche) ins Wasser ragt und für den nötigen Auftrieb sorgt. Der Wind wird von einem Wing (Flügel) aufgefangen. Im Gegensatz zum Windsurfen oder Kitesurfen ist der Wing aber nicht an einem Mast fixiert und auch nicht mit Schnüren mit der Surferin verbunden. Der Flügel, der wie ein Lenkdrache aussieht, wird in der Hand gehalten. Einzig eine Sicherheitsleine verhindert, dass man sein Material verliert.

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Die Vorteile von Wingfoilen: Im Vergleich zum Windsurfen benötigt es viel weniger Wind – 10 Knoten reichen. Weil man im absoluten Leichtwindbereich starten kann, kann das Wingfoilen an viel mehr Tagen pro Jahr ausgeübt werden. Zudem ist es im Gegensatz zum Kiten auf fast allen Schweizer Seen erlaubt.
Premiere auf den Kapverden
Im Jahr 2020 wurde die Global Wingsports Association (GWA) gegründet. Der internationale Wingsurf-Verband will jene Sportarten fördern, bei denen ein Wing zum Einsatz kommt, und hat dazu unter anderem im Jahr 2021 die GWA Wingfoil World Tour ins Leben gerufen. Bisher hat es im Weltcup zwei Disziplinen gegeben: Beim Surf Freestyle duellieren sich jeweils zwei Gegner im direkten Duell, wobei ihre Wellenritte und Sprünge benotet werden. Bei der Disziplin Freefly Slalom wird per Massenstart ein Downwindkurs um mehrere Bojen abgefahren. Seit diesem Jahr gibt es eine dritte Disziplin: Wave. Ihr Schwerpunkt liegt allein im Wellenreiten. Auch Sprünge und Aerials gehen in die Wertung ein, müssen aber ohne Zuhilfenahme der Windkraft des Wings ausgeführt werden.
Die Weltcup-Premiere im Wave hat vom 17. bis 27. März auf den Kapverden stattgefunden. Austragungsort war Ponta Preta im Südwesten der Insel Sal. Gewonnen wurde das Rennen von der US-Amerikanerin Moona White, die Düdingerin Manuela Jungo wurde Fünfte. Bei den Männern sorgte Wesley Brito für einen kapverdischen Heimsieg.
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