282 Spielminuten in 13 Spielen: Michel Aebischers Start beim FC Bologna verläuft harzig. Im Interview mit den FN erzählt der Sensler Fussballer, wie er seine ersten 100 Tage erlebt hat und warum er trotz allem zuversichtlich bleibt.
Vor 100 Tagen hat Michel Aebischer beim FC Bologna unterschrieben. In den 13 Spielen des Tabellen-13. der Serie A stand der Sensler Fussballer seither zwei Mal in der Startformation, wurde acht Mal eingewechselt und blieb drei Mal ohne Einsatz. Vor dem Spiel vom Sonntag bei Schlusslicht Venedig zieht der 25-jährige Mittelfeldspieler aus Heitenried im Interview mit den FN Bilanz.
Michel Aebischer, wenn Sie an die vergangenen 100 Tage denken, wie lautet aus dem Bauch heraus Ihr erstes Fazit?
Ich bin zufrieden. Natürlich war es am Anfang nicht leicht, alles war neu, sehr viel prasselte auf mich ein. Mittlerweile konnte ich mich aber gut anpassen und habe das Gefühl, in der Mannschaft und in der Stadt angekommen zu sein.
Was prasselte zu Beginn denn alles auf Sie ein?
Na ja, du kommst ganz alleine in ein neues Land, lebst zunächst in einem Hotelzimmer, kommst in eine Garderobe, in der du niemanden kennst, musst dich mit einer neuen Sprache herumschlagen – da kommen viele Faktoren zusammen. Da habe ich schon zwei, drei Mal leer geschluckt.
Sie standen erst zwei Mal in der Startformation. Hätten Sie sich den Beginn auf sportlicher Ebene einfacher vorgestellt?
Ehrlich gesagt läuft es ungefähr so, wie ich es erwartet hatte. Mir war klar, dass ich nicht ständig 90 Minuten auf dem Platz stehen werde, dafür ist die Konkurrenz viel zu gross. Aber natürlich hatte ich mir erhofft, ein, zwei Spiele mehr von Anfang an zu bestreiten.
Anfang April standen Sie gegen die AC Milan und Sampdoria Genua zwei Mal in der Startformation. Seither wurden Sie vier Mal erneut nur eingewechselt, zuletzt in Rom erst in der 82. Minute. Wie frustrierend ist diese neuerliche Zurückstufung?
Es hat nichts mit meinen Leistungen zu tun. Andere Spieler kehrten von Verletzungen zurück, Nicolas Dominguez etwa, der nun auch wieder Einsatzminuten bekommt. Ich bleibe positiv und versuche, mich bei meinen Teileinsätzen und im Training aufzudrängen.
Sie sagten bei Ihrer Unterschrift, dass Sie absichtlich in der Winterpause wechseln, um dann im Hinblick auf die darauffolgende Saison bereits voll integriert und akklimatisiert zu sein. Verstehen Sie die momentane Zeit als Lernphase?
Genau so ist es. Es war der richtige Entscheid. Nach einer vollständigen Vorbereitung im Sommer werde ich nächste Saison voll angreifen können.
Was haben Sie bis jetzt denn gelernt?
Das Spiel in Italien ist extrem von der Taktik und von der Defensive geprägt. Jeder Laufweg ist einstudiert, man ist weniger frei in den Bewegungen. Hier heisst es nicht «nun machen wir ein Pressing – und zwar so», sondern «nun machen wir ein Pressing – und zwar genau so und nicht anders». In diesem Bereich habe ich vieles dazugelernt, wir trainieren es ja auch ständig.
Um die drei Plätze im zentralen Mittelfeld kämpfen fünf bis sechs Spieler. Wird sich im Hinblick auf nächste Saison etwas ändern oder müssen Sie es ganz einfach schaffen, die aktuellen Konkurrenten in Zukunft hinter sich lassen?
Einige Spieler haben mit ihren guten Leitungen Begehrlichkeiten geweckt, fixe Abgänge gibt es meines Wissens aber noch nicht. In einer so starken Liga ist ohnehin klar, dass man sich immer gegen starke Konkurrenz durchsetzen muss. Und genau das ist mein Ziel.
Ich nehme an, längerfristig würden Sie sich mit den aktuellen Spielminuten nicht zufriedengeben.
Sicher nicht, sonst wäre ich im falschen Job.
Ende Jahr findet die Weltmeisterschaft in Katar statt. Denken Sie, dass Ihr Wechsel nach Bologna die Chance auf Ihre erstmalige Teilnahme an einer Endrunde erhöht oder geschmälert hat?
Ich spiele nun in einer der Top-5-Ligen – so gesehen hat der Wechsel die Chance wohl eher erhöht. Allerdings muss man differenzieren: Wenn man bei YB jeden Match spielt, ist die Chance auf eine Nomination grösser, als wenn man in Bologna nicht spielt.
Hatten Sie Nationaltrainer Murat Yakin vor Ihrem Wechsel um seine Meinung gefragt?
Ich hatte es ihm persönlich mitgeteilt, damals war der Wechsel allerdings schon so gut wie fix. Er sagte mir, es sei ein richtiger Schritt. Ein Schritt nach vorne, aber nicht ein zu grosser.
Wie sehr hat eine WM-Teilnahme für Sie Priorität?
Es wäre natürlich toll, aber es ist auch kein Weltuntergang, wenn es nicht klappt, schliesslich ist auch in der Nati die Konkurrenz riesig. Mein Hauptziel ist erst einmal, hier in Bologna möglichst viel zu spielen – die WM-Teilnahme wäre dann womöglich die Konsequenz davon.
In der «Berner Zeitung» erzählten Sie nach Ihrem Startelf-Debüt in Mailand amüsiert, dass Ihre Mitspieler Ihnen vor der Partie gut meinend rieten, sich nicht von den 70’000 Zuschauern im San Siro beeindrucken zu lassen. Dabei hatten Sie in der Woche zuvor mit der Schweiz im Wembley vor 80’000 Fans gegen England gespielt und standen schon zehn Mal in der Champions League im Einsatz. Werden Sie in Italien noch unterschätzt?
Das denke ich nicht, aber viele Mitspieler hatten mich bei meiner Ankunft wohl nicht gegoogelt und wissen nicht, was ich bereits für Spiele absolviert habe. Das ist aber auch nicht schlimm, es zeigt wohl eher, dass man in der stolzen Fussballnation Italien nicht sofort an grosse Fussballspiele denkt, wenn man einen Schweizer Spieler sieht.
Obwohl die Schweiz in der WM-Qualifikation die Gruppe vor Italien abschloss und damit einer der Hauptgründe ist, dass Italien nicht an die WM fährt…
Genau.
Haben es Schweizer Fussballer im Ausland denn immer noch schwerer als andere?
Nicht unbedingt, wenn man gut ist und die nötige Qualität mitbringt, setzt man sich immer durch – egal aus welchem Land man stammt. Aber ganz am Anfang ist der Blick auf einen Schweizer Spieler vielleicht immer noch einen Tick anders als der beispielsweise auf einen deutschen Fussballer, der ins Ausland geht.
Welche Rückmeldungen haben Sie bis jetzt von den Trainern erhalten?
Positive. Zu Beginn sagten sie mir, ich solle Geduld haben. Mit meinen zwei Spielen in der Startformation waren sie zufrieden, und zuletzt sagten sie mir, dass sie ganz allgemein zufrieden seien mit meiner Entwicklung, dass ich mich gut angepasst habe und beispielsweise mein Spiel physischer geworden sei. Es waren aber vor allem die Assistenztrainer, die mir die Rückmeldungen gaben.
Weil Trainer Sinisa Mihajlovic in den letzten Wochen für eine Leukämie-Behandlung in einer Klinik war. Wie lief es in diesen Wochen ab?
Viel lief über Skype, zwei bis drei Mal pro Woche sprachen wir so mit ihm – nicht nur über Fussball. Unmittelbar vor und nach den Spielen sprach er ebenfalls jeweils kurz über Skype zu uns. Die Trainings schaute er sich per Stream an und intervenierte auch mal, wenn ihm etwas nicht passte. Es war eine spezielle Zeit, eine solche Krankheit relativiert alles andere. Am Montag konnte er die Klinik zum Glück verlassen, am Donnerstag sollte er wieder zum Team stossen.
Sie spielen nicht nur in einem neuen Club, sondern wohnen auch in einer neuen Stadt. Wie haben Sie sich abseits des Fussballs in Bologna eingelebt?
Ganz gut, ich wohne mittlerweile in einer Wohnung im Stadtzentrum und habe alle nötigen Dokumente, um hier zu leben. Die wichtigsten Plätze und Türme habe ich erkundet, Bologna ist wirklich eine schöne Stadt. Mein Italienisch wird ebenfalls besser, ich verstehe die Sprache schon gut, sie ist ja schliesslich dem Französisch recht ähnlich. Mit dem Sprechen klappt es ebenfalls immer besser, mit einem Teamkollegen gehe ich zwei bis drei Mal pro Woche eine Stunde in den Italienischunterricht.
Haben Sie schon Interviews auf Italienisch gegeben?
Nein, dafür wäre es dann doch noch ein bisschen zu früh.
Aber reicht es, um zu lesen, was die fussballverrückten italienischen Zeitungen über Sie schreiben?
Das würde es, aber ich mache es trotzdem nicht.
Gehören Sie zu den Sportlern, die grundsätzlich keine Berichte über sich lesen?
Nein, in der Schweiz las ich schon ab und zu Zeitungen. Hier wüsste ich aber ehrlich gesagt auch noch gar nicht, welche Zeitung ich genau kaufen müsste.
Unterscheidet sich das Leben eines Fussball-Profis in der Serie A von demjenigen in der Super League?
Es ist recht ähnlich, sei es vom Trainingsaufwand her oder in Sachen Medienarbeit. Einzig in der Stadt werde ich ein wenig öfter erkannt, weil die Italiener so fussballverrückt sind.
Wie eng ist Ihr Kontakt in Ihre freiburgische Heimat?
Ziemlich eng, mit den sozialen Medien bleibt man ja recht einfach in Kontakt. Ich war auch bereits dreimal zurück in der Schweiz, als wir zwei Tage frei hatten, in Düdingen habe ich immer noch meine Wohnung mit meiner Freundin. Bologna ist ja nicht allzu weit, das ist ein Vorteil.
Bleiben Sie im Sommer in Bologna oder kommen Sie zurück nach Freiburg?
Ich habe noch nicht wirklich Pläne für diesen Sommer. Nach der Saison gibt es noch einen Nati-Zusammenzug mit vier Spielen in der Nations League. Ich weiss noch nicht, ob ich dafür aufgeboten werde. Irgendwann bin ich dann aber sicher auch eine Zeit lang in Freiburg.
Sie sind derzeit nur von YB ausgeliehen, allerdings hat Bologna eine Kaufoption. Spielen Sie nächste Saison denn überhaupt noch für den FC Bologna?
Es ist noch nichts offiziell, aber mittlerweile kann man sagen: Ja, Bologna wird die Kaufoption ziehen, und ich bleibe im Club.
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