«Kann eine Bibliothek vollkommen zweisprachig sein?» Diese Frage stand gestern Abend im Zentrum einer Podiumsdiskussion in der Freiburger Blue Factory. Die Veranstaltung war Teil des Programms zum diesjährigen kantonalen Tag der Zweisprachigkeit und versammelte Bibliothekare, Forscher und Kulturschaffende aus den bilinguen Kantonen Bern, Freiburg und dem Wallis. Hintergrund der Veranstaltung war nicht zuletzt eine mögliche Fusion der Freiburger Stadtbibliotheken, wie sie Gemeinderat Laurent Dietrich (CVP) Anfang Jahr ins Auge gefasst hatte (die FN berichteten).
Diskussionsfrage irritiert
Die fünf eingeladenen Diskutanten zeigten sich zu Beginn irritiert von der Fragestellung des Abends: «Ich frage mich eher, ob eine Bibliothek nicht mehrsprachig sein kann», sagte Damian Elsig, Direktor der Mediathek Wallis. Raphael Berthele, Professor für Mehrsprachigkeit und Direktor des Instituts für Mehrsprachigkeit an der Universität Freiburg, doppelte nach: «Bibliotheken müssen die sprachlichen und kulturellen Unterschiede überwinden.» Einig waren sich die Teilnehmer auch darüber, dass die Anstrengungen einer städtischen Bibliothek nicht mit der Zweisprachigkeit enden dürfen. Clemens Moser, Direktor der Stadtbibliothek Biel, betonte etwa, dass auch die Sprachen der Migranten Einzug in die Bibliotheken halten müssten: «In Biel gibt es nicht zwei Sprachen, es gibt 150 Sprachen. Dem müssen wir als Stadtbibliotheken auch Rechnung tragen».
Beispiele für funktionierende zweisprachige Bibliotheken erhielten die rund 30 Zuhörerinnen und Zuhörer gestern zur Genüge. Denn nicht nur die Bibliothekare aus Biel und dem Wallis berichteten von fast ausschliesslich positiven Erfahrungen: Auch das Freiburger Kollegium Sankt Michael verfügt mittlerweile über eine Bibliothek, welche die Sammlungen der frankophonen und der deutschsprachigen Abteilung zusammenfasst. «Wir haben nur positive Erfahrungen gemacht», zeigte sich Collège-Bibliothekarin Sabine Isely Aeby erfreut. Auch finanziell sei das Projekt einer zweisprachigen Bibliothek kein Problem gewesen: «Wir haben immer noch das gleiche Budget und profitieren sogar davon, dass sich die Bibliotheken gegenseitig ergänzen». Dass Lernende nach dem Besuch in der Bibliothek einen zweisprachigen Bücherstapel nach Hause nehmen, habe sie aber trotzdem eher selten erlebt.
Gottéron und Fri-Son
Als Aussenseiter in der Runde hatte auch Julien Chavaz, Direktor der Neuen Oper Freiburg, das ein oder andere Beispiel für eine gelebte Zweisprachigkeit auf Lager. So müssten die Freiburger eigentlich gar nicht in die Ferne schweifen, um Vorbilder zu finden: «In Freiburg gibt es zwei Orte, an denen Zweisprachigkeit wirklich gelebt wird: das Musiklokal Fri-Son und das Stadion des HC Gottéron.»