Rose Glass hat mit «Love Lies Bleeding» eine queere Liebesgeschichte und einen halluzinatorischen Film Noir über Körperkult, Rache und die Abgründe der amerikanischen Gesellschaft geschaffen
«Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein», schreibt Friedrich Nietzsche. In Abgründe starrt die verzweifelte Lou (Kristen Stewart) im Neo-Noir «Love Lies Bleeding» täglich: in verstopfte Toiletten des heruntergekommenen Fitnessstudios irgendwo im Nirgendwo, in dem sie arbeitet. In tiefe Felsspalten in der Wüste, wo lokale Kriminelle ihre Leichen entsorgen. In die Abgründe der amerikanischen Gesellschaft am Ende des Kalten Krieges. Und dann sind da noch die Ungeheuer: der gewalttätige Ehemann ihrer Schwester (Dave Franco), korrupte Polizisten oder ihr psychopathischer Vater (Ed Harris), der Boss einer brutalen Waffenschieberbande.
Da kommt es gerade recht, dass in der Gestalt einer neuen Liebe etwas Hoffnung aufkeimt. Denn eines Abends taucht die geheimnisvolle Tramperin Jacky auf (Katy O’Brian). Die Bodybuilderin ist auf der Durchreise nach Las Vegas, wo sie Kraft ihres von Training und Steroiden gestählten Körpers einen Wettbewerb gewinnen will. Die zwei Frauen verlieben sich unsterblich. Doch nach und nach werden die beiden in die kriminelle Welt von Lous Vater gezogen, die queere Liebesgeschichte wird zum brutalen Film Noir mit viel 80er-Jahre-Flair.
Hinter «Love Lies Bleeding» steckt die Nachwuchsregisseurin Rose Glass, die bereits mit ihrem Debütfilm «Saint Maud» von sich reden machte. Darin entfaltete die 34-jährige Britin stilsicher und in surrealen Bildern den psychischen Zerfall einer jungen, strenggläubigen Frau. Mit ihrem zweiten Film bewegt sie sich nun in ähnlichen Gefilden und stellt erneut unter Beweis, dass sie zu den spannendsten neuen Stimmen des fantastischen Kinos gehört.
Je mehr sich Lou und Jackie in die Abgründe von Gewalt, Missbrauch und Kriminalität hineinziehen lassen, desto stärker driftet auch die Form des Films ab ins Performative, Symbolische, Psychotische. Das sorgt auf der Handlungsebene zwar für die ein oder andere Logiklücke, macht den Film aber zu einem atmosphärischen Bilderrausch, dem man sich nur schwer entziehen kann. Ein stilisierter Alptraum, der sich aus dem Formenvokabular eines David Lynch oder Nicolas Winding Refn bedient. Von Letzterem leiht sich Glass auch den Soundtrack-Komponisten Cliff Martinez aus, der erneut einen grossartigen Synthie-Score gezaubert hat.
Als Vorbilder für den spannungsgeladenen Thriller sind auch Alfred Hitchcock, die Coen-Brothers und David Cronenberg erkennbar. Die Stärke von Rose Glass liegt jedoch darin, aus den visuellen Zitaten eine eigenständige Ästhetik zu kreieren, die selbst im an ausgefallenen Bildwelten reichen Portfolio des Produktionsstudios A24 heraussticht. Glass vermeidet es auch, die Geschichte zu stark als eindeutige Allegorie zu konzipieren (nicht selten ein Problem der A24-Filme). Stattdessen sorgen Leerstellen und rätselhaft schillernde Bilder für Mehrdeutigkeit. Etwa in der spektakulären Schlussszene, von der hier nicht zu viel verraten werden soll. Nur so viel: Manchmal ist es gar nicht so schlecht, wenn diejenigen, die gegen Monster kämpfen, selbst zu Ungeheuern werden.
4 von 5 Sternen
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