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«Nicht Ihr seid schuld, sondern wir»

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Niedergeschlagen wirkte er, als Bischof Charles Morerod gestern die Opfer von sexuellem Missbrauch und von Misshandlungen im Heim Marini im Broyebezirk um Verzeihung bat. Von 1929 bis 1955 wurde das Institut durch das Bistum geführt. Im Institut im Schloss Montet lebten 100 Kinder und Jugendliche. Eine unabhängige Studie, die Morerod in Auftrag gegeben hatte (die FN berichteten), deckte 21 Fälle auf. Die Forscher, die mit zwölf Betroffenen und zwei Angehörigen geredet haben, machten elf Täter aus: zwei Priesterdirektoren, Geistliche, Laien. «Wir müssen Verantwortung übernehmen und die Opfer um Entschuldigung bitten. Ihr Leben wurde zerstört», betonte Morerod, «sie leiden unter dem Geschehenen.» Und die Dunkelziffer sei gross.

Schwierige Gespräche

Gewalt war im Erziehungs- und Heimwesen genauso wie Kinderarbeit allgegenwärtig. Betroffen waren die Schwächsten unter den Kindern: vor allem Fremdplatzierte, unehelich Geborene. Als «Kinder der Sünde» waren sie ausgegrenzt, konnten sich an niemanden wenden, niemand glaubte ihnen. Bei der Präsentation der Studie nahm neben vielen Betroffenen auch Jean-Louis Claude teil, der während Jahren im Institut gequält wurde. Er habe 40 Jahre gebraucht, um das Geschehene zu verarbeiten und könne der Kirche nicht verzeihen: «Ich habe viel erlitten durch diese Kirche.» Aber er verspüre Genugtuung. Die Studie müsse der Beginn eines langen Prozesses sein.

Das Forscherteam hat eine Reihe von Dokumenten gefunden. Es habe zwei Strafverfahren mit Verurteilungen gegeben sowie Aussagen von Betroffenen, die aber nichts ausgelöst hatten. Kommissionsleiterin Anne-Françoise Praz wies auf die Wichtigkeit der Gespräche mit den Betroffenen hin, die das oft unergiebige Quellenstudium ergänzten. «Wir wollten das Geschehene verstehen und die Fälle in einen Kontext stellen.» Forscher Pierre Avvanzino hielt fest, dass die Zeugen sich auf einen Aufruf hin von sich aus an die Kommission wandten. Die Gespräche seien nicht einfach gewesen. Die Ereignisse lägen über 60 Jahre zurück. «Diese Menschen sind traumatisiert und haben gelernt, mit ihrer schrecklichen Erfahrung bis zu ihrem Tod zu leben», so Avvanzino. «Sie mussten sich überwinden, um mit uns zu reden.» In vielen Punkten herrsche noch immer Unklarheit. So könne man nicht nachvollziehen, warum die Aufsicht über das Institut versagt hatte.

Gleichgültige Gesellschaft

Mit einem System des Schweigens habe die Kirche versucht, die Täter zu decken und die Opfer mit Schuld zu belasten, so die Studie. Es sei darum gegangen, Skandale zu vermeiden. Die Untaten der Geistlichen seien als «fehlende Vorsicht» abgetan und eine boshafte Absicht sei bestritten worden. Die Täter seien sich keiner Schuld und Verantwortung bewusst gewesen, und wenn doch, verliessen sie sich auf die Nachsicht des Bischofs.

Die Ausgeliefertheit gegenüber den Peinigern war typisch für das System. Diese blieben meistens ungestraft, wurden bestenfalls versetzt. Die Opfer aber wurden unter Druck gesetzt oder erpresst. Die Kirche wollte die Fälle intern «regeln». Ihr hohes Prestige, dasjenige ihrer Geistlichen im erzkonservativen Freiburg und sexuelle Tabus erleichterten den Tätern ihr Tun und schützten sie vor weltlicher Strafverfolgung.

Bischof sprach mit Opfern

Das Institut wurde 1979 geschlossen. Bischof Morerod hatte die Aufarbeitung der Ereignisse letztes Jahr lanciert und mit Betroffenen gesprochen. «Es ist wichtig, dass das Schweigen gebrochen und die Wahrheit gesagt wird.» Er räumte ein, dass er Schwierigkeiten gehabt habe, die Untaten nachzuvollziehen. «Wir sagen den Betroffenen: Nicht Ihr seid schuld, sondern wir, die Kirche.» Gänzlich könne man solche Fälle nicht vermeiden, «aber wenn man wie damals nichts tut und schweigt, haben es die Täter einfacher». Er forderte aktuelle Opfer von Missbrauch durch Seelsorger auf, sich bei der Justiz und bei kirchlichen Kommissionen zu melden. Die Bischofskonferenz stelle ihnen eine Entschädigung in Aussicht, «wenn diese auch nicht den erlittenen Schmerzen entspricht».

Walter Zwahlen vom Netzwerk Verdingt, der an der Präsentation teilnahm, hielt fest, dass es in der Schweiz viele Missbrauchsfälle in Heimen gab. Er würdigte deshalb Morerods Engagement: «Es ist wichtig, dass diese Fälle an die Öffentlichkeit kommen.»

Zahlen und Fakten

Veränderungen in den 1960-Jahren

Von 1932 bis 1955 traten total 1500 vor allem französischsprachige Kinder ins Heim ein. Ab 1960 kamen viele Deutschsprachige, unter ihnen viele Sensler. «Während meiner Zeit wurden keine solchen Fälle bekannt», so Pater Moritz Sturny, Direktor von 1966 bis 1977, «aber ich kann nicht ausschliessen, dass es sie gab.»fca

 

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