Nur das Beste für das Kind
Professionelle Kinderbetreuung im Vorschulalter
Das Angebot Familien ergänzender Kinderbetreuung ist in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern prekär. Eine fachgerechte Betreuung kann aber für die Entwicklung der Kinder sehr vorteilhaft sein und gleichzeitig berufstätige Mütter entlasten. Am Fobe-Themenabend vergangener Woche wurde über Vor- und Nachteile diskutiert.
Von RUTH SCHMIDHOFER
«Rabeneltern und ihre glücklichen Kinder» war der Titel der Fobe-Veranstaltung (Forum Frau und Beruf Freiburg) vom letzten Donnerstag. Dabei ging es weniger um die Frage, ob man kleine Kinder in die Obhut «fremder» Personen geben soll, vielmehr wurde der Idealfall diskutiert. Die Psychotherapeutin Sonja Murer (Murten) legte in ihrem Referat dar, wie sich Kinder in den ersten fünf bis sechs Jahren entwickeln und was das Optimale für sie ist. Die Rolle der Mutter oder der Bezugspersonen verändert sich im Laufe dieser Entwicklung. Geht es in den ersten Wochen und Monaten vor allem darum, die grundlegenden Bedürfnisse des Säuglings – Hunger, Durst, Schlaf, Wärme – zu stillen, so kommt es später darauf an, das Kind gezielt zu fördern, ihm die jeweils richtigen Anreize für die weitere Entwicklung zu geben.
Einschulung erfolgt zu spät
Auf Grund dieser Erkenntnisse kommt die Referentin Sonja Murer zum Schluss, dass gerade im Vorschulalter eine fachgerechte Betreuung von Nutzen sein kann. Im Kanton Freiburg werden Kinder aber erst ab dem Kindergarten systematisch erfasst. Wie die Referentin darlegte, hat ein Kind mit fünfeinhalb Jahren die entscheidenden Entwicklungsschritte aber bereits durchlaufen. Und ungenutzte Möglichkeiten sind später nur schwer aufzuholen. «Kinder brauchen früh genug ein Umfeld, in dem sie von pädagogischen Profis begleitet und gefördert werden und in dem sie mit Gleichaltrigen eigene Lernerfahrungen sammeln können. Die Früherfassung von Kindern ist heute aber immer noch dem Zufall überlassen», führte Sonja Murer aus.
Zur Fremdbetreuung von Kleinkindern (jünger als drei Jahre) meinte die Psychologin, dass, wenn Kontinuität und Qualität gewährleistet seien, auch da nichts dagegen einzuwenden sei. «Aber je kleiner ein Kind, umso psychisch aufwendiger ist die Betreuung. Eine Krippe für ein Kleinkind wäre sicher nur eine Notlösung – obwohl es auch diesbezüglich gute Krippen gibt», fügte sie weiter an. An diesem Punkt wies eine Zuhörerin darauf hin, dass in der Reformierten Krippe der Stadt Freiburg vor einiger Zeit das Familiensystem eingeführt wurde. Das heisst, dass die Kinder in altersmässig durchmischten Gruppen (Baby bis fünf Jahre) zusammengenommen werden und dass die Erzieherinnen diese Gruppe auch über einen grösseren Zeitraum hinweg betreuen.
Verbesserungen lassen
auf sich warten
Wegweisend in Sachen Betreuung von Kleinkindern ist der Kanton Tessin. Dort wurde bereits um 1900 von der Kirche aus die heutige «Scuola dell’infanzia» geschaffen. Dieses Netz von Institutionen – Krippe, Hort, Mittagstisch bis Gymnasialstufe, Aufgabenbetreuung und Ferienkolonien – wurde 1968 vom Staat übernommen und wird heute überhaupt nicht in Frage gestellt. In der Scuola dell’infanzia werden je nach Bedarf Kinder ab drei Jahren von Montag bis Freitag zwischen 8.45 und 15.45 Uhr aufgenommen. Die Ziele dieser Einrichtung sind: Hilfe zur Persönlichkeitsbildung, sich einfügen lernen in ein soziales Umfeld, soziale Sicherheit erfahren, Vorbereitung auf die obligatorische Schulzeit.
Im Rahmen ihres Referats wies Sonja Murer darauf hin, dass die Erziehungsdirektoren-Konferenz das Modell der Basisstufe für vier- bis achtjährige Kinder entworfen hat. Während vier Jahren würden die Kinder in Gruppen von 18 bis 24 Schülern von jeweils zwei Personen betreut. Die Kinder würden in den altersmässig durchmischten Klassen auf den Übertritt in die Primarschule vorbereitet. So könnte die Bruchstelle zwischen Kindergarten und Primarschule etwas abgeschwächt werden. «Aber das Dossier steckt in irgendeiner Schublade und wartet nur darauf, umgesetzt zu werden», meinte Sonja Murer. Aus dem Publikum wurden jedoch auch kritische Stimmen laut, weil es sich bei dem Papier lediglich um Empfehlungen handle und die Kantone bei deren Umsetzung auf sich allein gestellt seien. «Dieses Modell wird sicherlich aus finanzieller Sicht zu diskutieren geben, aber auch die pädagogischen Rahmenbedingungen müssen noch ausführlicher besprochen werden», schloss Esther Grossenbacher, Grossrätin aus Kerzers und Mitorganisatorin der Veranstaltung.
Kinderbetreuung – hier und da
Die Zeitschrift Annabelle hatte im vergangenen Jahr eine Studie über die Kinderbetreuung (in der Schweiz und) in den umliegenden Ländern vorgestellt. Die grundlegenden Angaben werden hier zusammengefasst und wiedergegeben.
Deutschland: Krippen für Kinder bis drei Jahre, staatlicher Kindergarten ab drei Jahre (mit Rechtsanspruch auf einen Platz). Die Tageseinrichtungen werden staatlich subventioniert; für den Kindergartenbesuch bezahlen die Eltern eine einkommensabhängige Gebühr. Darüber hinaus gibt es drei Jahre Erziehungsurlaub mit Arbeitsplatzgarantie und zwei Jahre einkommensabhängiges Erziehungsgeld.
Frankreich: Ganztageseinrichtungen für Kinder ab zwei Jahren (garantierte Plätze für Kinder ab drei Jahren) mit flankierenden Betreuungsangeboten je nach Wohngemeinde. Für unter dreijährige Kinder gibt es privat organisierte und staatlich unterstützte Betreuungsformen. Die ganztägige «Ecole maternelle» ist vom Staat finanziert und für die Kinder gratis. Krippen für Kinder unter drei Jahren sind öffentlich finanziert. Frauen geniessen in Frankreich 16 Wochen Mutterschaftsurlaub, maximal 36 Monate Erziehungsurlaub und ein Jahr Arbeitsplatzgarantie.
Italien: öffentlicher Kindergarten für Drei- bis Sechsjährige als Ganztageseinrichtung mit Mittagessen. Jüngere Kinder meist privat, vereinzelt in Krippen betreut. Vorschulische Erziehung ist seit 1968 Staatsaufgabe. Die über dreijährigen Kinder haben Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Der Mutterschaftsschutz sieht wie folgt aus: Mindestens fünf Monate bezahlter Mutterschaftsurlaub (bis 12 Monate) bei Arbeitsplatzgarantie.
Österreich: (meist öffentliche) Krippen für Kinder bis zu drei Jahren; danach Kindergarten und Horte. Die Bundesländer subventionieren kommunale und private Kindergärten. Elternbeiträge sind meist nach Einkommen gestaffelt. Es werden auch privat organisierte Kindergruppen subventioniert. Zudem gibt es zwei Jahre bezahlten Erziehungsurlaub. Die Krippen und Horte konzentrieren sich grösstenteils auf den Raum Wien, sonst herrscht eher ein Nachfrageüberhang für alle Betreuungsformen.
Schweiz: private, öffentliche oder Firmenkrippen für Kinder bis ins Schulalter, danach Kindergarten. Mittagstisch, Tageseltern oder Spielgruppen sind meist privat organisiert. Die vorschulische Kinderbetreuung ist kantonal geregelt, die Zuständigkeit liegt bei den Gemeinden. Krippen werden hier von der öffentlichen Hand subventioniert, die Beiträge sind stark nach Einkommen gestuft. Aber die Preise sind je nach Kanton sehr unterschiedlich. Kindergärten sind gratis. Die Wartelisten sind bei allen Krippen lang, es herrscht eine grosse Übernachfrage. sr