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Nur eine Geschichte?

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Das ist ein bezahlter Beitrag mit kommerziellem Charakter. Text und Bild wurden von der Firma Muster AG aus Musterwil zur Verfügung gestellt oder im Auftrag der Muster AG erstellt.

Gegenwart: 2018

Wir hören Nachrichten, schauen fern. 19.30 Uhr Tagesschau, ein tägliches Ritual vieler Schweizer, mich eingeschlossen. Und immer wieder Krieg, Zerstörung, Menschen auf der Flucht. Wir kennen die Bilder, junge Männer, Frauen mit Kindern in überfüllten Booten, manchmal ertrinken sie, manchmal werden sie gerettet. Auch ich habe gelernt, nicht mehr hinzuschauen, bis an jenem Abend, als ich glaubte ein Gesicht zu erkennen. Eine junge Frau mit einem Kind in den Armen, von der Kamera ganz nahe gezoomt. Plötzlich bin ich hellwach, lasse die Bilder zurückspulen, immer wieder, bis ich Gewissheit habe. Dann war ich mir sicher: Das ist Ausi Manaleli-Franziska, sie glich ihrer Mutter aufs Haar, und sie trug eine Narbe über der linken Augenbraue.

Rückblende: 1985

Wir waren nun schon seit über zwei Jahren in «unserem» Spital in Afrika. Mitten in der Nacht wurde ich gerufen: Eine schwangere Frau, kurz vor dem Termin, hatte mit beginnenden Wehen starke Blutungen. Anrufe der Hebamme bedeuteten immer höchste Alarmstufe. Das heisst, die kurze Strecke zum Spital rennen, informieren, rasche, sorgfältige Untersuchung, Infusion, Labor (Blutmenge, Blutgruppe). Die Situation war klar: Die Plazenta (Mutterkuchen) lag vollständig über dem Muttermund und bei beginnender Öffnung, unter dem Druck der Wehen, rissen ihre Blutgefässe. Der Blutverlust war bereits erheblich, eine absolute Notfallsituation, das heisst Kaiserschnitt. Die Verantwortung zerriss mich beinahe. Ausi Manaha, eine erfahrene Hebamme, spürte mein Zögern, meine Angst. Sie kam auf mich zu, umarmte mich und sagte bloss: «Ntate, we have to do it, so let’s do it. Wir haben keine Wahl, also tun wir’s», und «wir schaffen das». Das Narkoseteam wurde organisiert und auch mögliche Blutspender – wir führten eine Liste mit der Blutgruppe aller Angestellten, die im Notfall als Spender zur Verfügung standen.

Nach kurzer Zeit: Schnitt! Alles ging gut. Ein gesundes Mädchen gab laut und deutlich zu verstehen: Ich bin da! Ein kleines Missgeschick war aber doch passiert: In der ganzen Aufregung war ein Schnitt zu tief geraten, und ich hatte dem kleinen Mädchen eine Wunde über der linken Augenbraue zugefügt.

Mutter und Vater waren überglücklich und aus Dankbarkeit nannten sie das Mädchen Manaleli (Tochter der Sterne) – Franziska. Bald konnten sie nach Hause (zu Pferd), alle Wunden waren verheilt, nur eine Narbe über der Augenbraue blieb.

Gegenwart: 2018

Ich war elektrisiert, war überzeugt, dass es Manaleli ist. Ich begann zu suchen. Wandte mich an Solidarmed, unsere Organisation, an Behörden, das Rote Kreuz, schrieb, telefonierte, mailte … Nach Monaten endlich eine Spur. Ja, sie war gerettet worden, sie war registriert und auf eine Insel in ein Lager gebracht. Die Suche ging weiter. Endlich Kontakt mit einer Mitarbeiterin vom Roten Kreuz, die mit behördlicher Bewilligung das Lager einmal im Monat besuchen durfte. Von ihr erfuhr ich das Ende der Geschichte:

Manaleli war mit ihrem letzten Bruder und ihrem dreijährigen Sohn Lerato, in der Hoffnung auf Leben, auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Hunger, Elend und Hoffnungslosigkeit. Die Eltern waren schon vor Jahren verstorben, ihr Ehemann und vier weitere Brüder bei einem Minenunglück ums Leben gekommen. Schlepper brachten sie unter schwersten Bedingungen an die Küste in ein überfülltes Boot.

Bei der Überfahrt riss eine Welle mehrere Menschen über Bord, ihr Bruder, beim Versuch einem Freund zu helfen, stürzte selber ins Wasser und ertrank. Ein Schiff der Küstenwache rettete sie und so kam sie in ein Lager, wo die Behörde verschiedene Flüchtlingsgruppen «konzentrierte». Dort passierte es, dass sich Lerato beim Spielen am Stacheldrahtzaun, der das Lager meterhoch und doppelt «sicherte», verletzte. Der kleine Körper war zu schwach, um sich gegen die Infektion zu wehren, er starb wohl an einer «Blutvergiftung». Manaleli sprach mit niemandem mehr, zog sich immer mehr in sich selbst zurück. Ihr grosser Traum in das Land der Berge zu reisen, von der ihre Mutter immer erzählte, wo Menschen mit offenen Herzen leben, wo Menschen auf der Flucht Aufnahme finden, wo niemand hungert und Kinder die Schule besuchen, war endgültig zerstört.

Eines Tages war sie verschwunden. Tage später fand man ihren Körper, von den Wellen an den Strand gespült, sie lag auf dem Rücken, die Augen weit geöffnet blickte sie zu den Sternen, dorthin, wo sie herkam, Manaleli-Franziska, Tochter der Sterne.

***

 

Diese Geschichte ist frei erfunden, auch wenn solche Geschichten Tag für Tag in unserer Nähe geschehen. Wer sein Herz bewahrt hat, möge einen kurzen Moment innehalten … und hinschauen …

Nachtrag: Es besteht kein Zweifel, dass Krieg die Hauptursache von Flucht und Elend ist. Vor einigen Wochen hat der zuständige Bundesrat beschlossen, Waffen auch in Kriegsgebiete zu verkaufen. Wenn wir Kriege schon nicht verhindern (wollen oder können), so wenigstens daran verdienen. «Pecunia non olet» (Geld stinkt nicht), hiess es bei den Römern. Was, um alles in der Welt, muss noch geschehen, dass wir den Gestank von solchem Geld endlich riechen?

Der Düdinger Franz Engel ist pensionierter Arzt und verbringt nun seine freie Zeit mit Fischen und dem Hüten der Enkelkinder. Als Gastkolumnist bearbeitet er im Auftrag der «Freiburger Nachrichten» in regelmässigem Rhythmus selbst gewählte Themen.

 

 

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