Das Freiburger Programm Sport- und Kunstausbildung ermöglicht es Jugendlichen, über Mittag und nach der Schule ins Training oder den Kunstunterricht zu gehen–und beispielsweise dann, wenn die Klassenkollegen im Turnunterricht sind, Aufgaben zu machen. So sind vierzehn Stunden Training und Wettkampf in der Woche machbar, ohne dass die Schule–oder der Körper–darunter leidet. Wer aber einen Sport betreibt oder eine Kunstausbildung verfolgt, die zeitaufwendiger sind, kommt mit den Entlastungsstunden und Dispensationen nicht weit. «Eine Sport- und Kunstklasse wäre da eine Lösung», sagt Reto Cometta, Vizepräsident des Freiburger Ski- und Snowboard-Verbands (FSSV).
Disziplin ist nötig
Denn wer heute beispielsweise Skisport auf relativ hohem Niveau betreibt, aber nicht in einem Leistungszentrum ist, stösst an seine Grenzen. Die Jugendlichen erhalten zwar alle nötigen Dispensen und können für Trainings und Wettkämpfe fehlen. Sie müssen sich in der Schule aber oft selber organisieren und dafür sorgen, dass sie das Unterrichtsmaterial erhalten.«Die Jugendlichen müssen selbständig arbeiten und sehr diszipliniert sein», sagt Reto Cometta. Wer dies nicht sei, könne Skisport und Schule kaum auf diese Weise vereinbaren.
Andere Kantone und Länder haben deshalb extra Sportklassen eröffnet. Diese sind auf das Selbststudium ausgerichtet, auf Plattformen im Internet können die Schülerinnen und Schüler selbständig lernen und ihre Fortschritte überprüfen. Wer nicht unterwegs ist, arbeitet an der Schule mit den Lehrerinnen und Lehrern.
In Freiburg könnten junge Skifahrerinnen und Skifahrer in der Primarschule problemlos ihrem Sport frönen, sagt Cometta: Sie trainieren am freien Mittwochnachmittag und am Wochenende. Doch einmal an der Orientierungsschule, werde dies schwieriger: Der Mittwochnachmittag ist nicht mehr schulfrei, und die Kinder müssen im Unterricht fehlen, um zu trainieren. Zudem sollten sie in diesem Alter bereits zehn bis zwölf Stunden pro Woche auf den Skiern stehen, was mindestens drei Trainings bedeutet. Wer im Regionalkader ist, fehlt oft gleich tageweise.
Deshalb wurde im September in Bulle ein regionales Ausbildungszentrum für Skisport eröffnet (siehe Kasten links). «Für die Deutschsprachigen ist dies aber nur bedingt eine Lösung», sagt Cometta. So sind denn auch nur französischsprachige Skifahrer im Ausbildungszentrum. Der Kanton hat bewusst nur ein Ausbildungszentrum eröffnet; auch wenn zwei Sprachgemeinschaften und zwei Regionalverbände im Kanton aktiv sind (siehe Kasten «Sonderfall»). Die deutschsprachigen Skitalente gehen weiterhin in ihrer Wohngemeinde zur Schule. Vielen ist der Aufwand ab der Orientierungsschule zu gross. Sie schaffen es nicht, den verpassten Schulstoff nachzuholen und hören mit dem Skisport auf.
Der Mittwochnachmittag
Etwas anders sieht dies Frédéric Koehn. Der Präsident von Ski-Romand ist verantwortlich für das regionale Ausbildungszentrum in Bulle. Das Programm Sport- und Kunstausbildung sei durchaus eine gute Sache für Skitalente. Unter den zwanzig Jugendlichen im Ausbildungszentrum sind zehn Freiburgerinnen und Freiburger. «Bei uns sind nur die Besten der Besten», sagt Koehn. Auch für ihn ist klar: Wer nicht zu den Allerbesten gehört, hat Mühe, Sport und Schule unter einen Hut zu bringen. Er sieht jedoch vor allem den Mittwochnachmittag als Problem: «Da er nicht schulfrei ist, fehlt es jenen, die nicht im Regionalkader sind, an Trainingsmöglichkeiten–und wir verlieren Talente.»
CVP-Grossrat Eric Collomb steht am Ursprung der Sport- und Kunstausbildung: Er hatte 2010 in einem Postulat einen Katalog von Massnahmen gefordert, der es talentierten Kindern und Jugendlichen ermöglichen sollte, Musik, Kunst und Sport auf hohem Niveau mit der schulischen Ausbildung zu vereinbaren, ohne dass die Ausbildung darunter leidet. «Mit der Sport- und Kunstausbildung haben wir einen grossen Schritt in die richtige Richtung gemacht», sagt er heute.
Mit Neuenburg?
Das Aber folgt sogleich: «Für jene, die weite Wege haben und sehr viel trainieren müssen, ist es auch mit dem neuen Angebot sehr kompliziert.» Für viele sei das Sport- und Kunstprogramm daher nicht befriedigend. Möglicherweise sei der Kanton Freiburg für spezielle Sportklassen zu klein, überlegt Collomb. «Vielleicht könnten wir aber gemeinsame Lösungen mit Neuenburg suchen.»
Zahlen und Fakten
Die Freiburger Sport- und Kunstausbildung
Um die Koordination zwischen Schule und sportlicher Laufbahn zu erleichtern, hat die Freiburger Erziehungsdirektion Unterstützungsmassnahmen für Sportlerinnen und Sportler sowie Kunstschaffende eingeführt. Das Programm«Sport- und Kunstausbildung»(SKA) sieht Anpassungen im Stundenplan vor. So machen die Jugendlichen in der Schule Aufgaben, währenddem ihre Klassenkollegen im Turnen sind. Sie erhalten schulfrei für Turniere und Trainingslager mit der Nationalmannschaft und wenn nötig Stützunterricht. Wenn im Kanton Freiburg eine geeignete Sport- oder Kunstausbildung fehlt, können die Jugendlichen eine Schule in einem anderen Kanton besuchen und Freiburg kommt für das Schulgeld auf. Laut dem Tätigkeitsbericht 2014 der kantonalen Direktion für Erziehung, Kultur und Sport haben im letzten Schuljahr411 junge Sportlerinnen und Sportleroder Kunstschaffendevon Stundenplananpassungen profitiert. Seit diesem Schuljahr gibt es nebst den schon seit längerem bestehendenregionalen Ausbildungszentrenfür Basketball, Eishockey, Fussball und Volleyball auch ein regionales Ausbildungszentrum für Skisport, und zwar in Bulle (siehe Kasten ganz links). Junge Sportlerinnen und Sportler müssen im Besitz einer regionalen oder nationalenTalent Cardvon Swiss Olympic sein. Jugendliche mit einer regionalen Talentkarte werden vom Kanton als «Talent Espoirs» anerkannt, jene mit einer nationalen Karte als «Talent SKA»: Sie werden weitergehend unterstützt als die Espoirs. Junge Kunstschaffende müssen eine vorbereitende Ausbildung auf das Berufsstudium absolvieren; Voraussetzung ist die Aufnahme in das Vorstudium amKonservatorium. Gesuche für übrige Formen des Kunstschaffens werden individuell geprüft.njb
Zum Zentrum
Talente aus drei Kantonen in Bulle
InBullegibt es seit September einregionales Ausbildungszentrum für Skisport, in dem Skitalente aus den Kantonen Freiburg, Genf und Waadt trainieren. Sie besuchen den Unterricht in der OSGreyerz in Regelklassen. Wer nicht aus der Region Bulle stammt, wohnt beiGastfamilien. Im Winter trainieren die 20 Skitalente, die Regionalkadern angehören, anzwei bis drei Halbtagenpro Woche in Jaun; im Sommer sind sieblockweiseeinige Tage weg, um auf Gletschern Ski fahren zu können. Bisher gibt es nur französischsprachige Jugendliche im regionalen Ausbildungszentrum Bulle; die Verantwortlichen gehen jedoch davon aus, dassab 2018 die ersten deutschsprachigenSkifahrer aus Jaun dabei sein werden. Sie gehen in Jaun zur Schule, einmal die Woche in La Tour-de-Trême.njb
Sonderfall: Zwei Regionalverbände
D em Schweizer Dachverband des Skisports, Swiss-Ski, sind mehrere Regionalverbände angegliedert. Gleich zwei davon sind im Kanton Freiburg aktiv: Ski-Romand (SRom) und Schneesport Mittelland (SSM). Die Mitglieder von Ski-Romand tragen ihre Rennen im Wallis, im Waadtland und in den Freiburger Voralpen aus. Schneesport Mittelland hingegen ist oft im Berner Oberland unterwegs. Auch die nationalen Leistungszentren für die Nachwuchsfahrerinnen und -fahrer ab 16 Jahren sind in unterschiedlichen Regionen untergebracht: Ski-Romand schickt seine Talente in die Sportmittelschule Brig, die Jugendlichen von Schneesport Mittelland besuchen die Sportmittelschule in Engelberg. Dass in Freiburg zwei Verbände tätig sind, erschwert die Zusammenarbeit auf kantonaler Ebene. njb
Organisation: Sportklassen oder Regelschule?
B evor sich der Kanton Freiburg im Jahr 2013 für die «Sport- und Kunstausbildung» entschied, erstellte die Erziehungsdirektion einen Bericht über verschiedene mögliche Angebote, um junge Sporttalente zu fördern. Der Staatsrat und der Grosse Rat entschieden sich damals für die «Sport- und Kunstausbildung», bei der die Sporttreibenden und Kunstschaffenden in den Regelklassen sind. Zum einen aus organisationellen und finanziellen Gründen, zum anderen aber auch, um sie nicht zu marginalisieren, wie der Bericht festhielt. Der damaligen Bildungsdirektorin Isabelle Chassot war es wichtig, dass die jungen Talente in einer «normalen Umgebung» aufwachsen und in ihrem Schulalltag nicht nur mit Spitzensportlern und Kunstschaffenden zu tun haben.
Auch Neuenburg hat sich für diesen Weg entschieden. In der Waadt und im Kanton Bern hingegen gibt es spezifische Sportklassen. Bern bietet talentierten Sportlern ab der Oberstufe – das heisst ab der siebten Klasse – die Möglichkeit, zusammen in einer Klasse zu sein. Der Vorteil: Der Stundenplan ist so ausgelegt, dass die Mittagspausen lange genug für das Training und ein ruhiges Mittagessen sind. Zudem sind die Lehrerinnen und Lehrer darauf eingestellt, dass immer wieder jemand wegen eines Wettkampfes oder eines Trainingslagers fehlt; der Unterricht und das Unterrichtsmaterial sind daher von Anfang an so ausgearbeitet, dass die Jugendlichen den Stoff auch selber nacharbeiten können.
Der Kanton Waadt bietet für Elitesportlerinnen und -sportler am Gymnasium spezifische Sportklassen an. Die Zahl der Wahlfächer ist dabei beschränkt, so wie auch in Bern: Nur so ist es organisatorisch möglich, alle Sportlerinnen und Sportler in einer Klasse unterzubringen. njb
Kanton: «Nicht für Plauschsportler»
D er Grosse Rat hat sich 2013 dafür entschieden, Sport- und Kunsttalente zu fördern, sie aber in den Regelklassen zu belassen (siehe Kasten «Organisation»). «Das ist eine Frage der Philosophie», sagt Staatsrat Jean-Pierre Siggen (CVP). Nur in der Regelklasse könnten die Jugendlichen aus der ganzen Palette an Schwerpunkt- und Ergänzungsfächern auslesen. Sobald eine Sportklasse eröffnet werde, müsse die Mehrheit dieselben Fächer belegen – sonst sei dies organisatorisch nicht zu bewältigen. «Wir möchten den Jugendlichen trotz Sport oder Kultur die bestmögliche Ausbildung bieten, und das geht nur in Regelklassen», so Siggen. Er sieht keinen Grund, einzelne Sportklassen zu eröffnen. «Dafür ist der Kanton Freiburg zudem zu klein», sagt Benoît Gisler, Leiter des kantonalen Sportamts. Das Sport- und Kunstprogramm sei «für die Besten konzipiert, nicht für Plauschsportler». Daher sei es normal, dass nicht alle mithalten könnten und einige aufgäben, sagt Gisler. «Früher oder später verliert man Talente – es kommen nur die Besten weiter.»
Keine Plattform
Der Staatsrat hatte 2013 auch festgehalten, dass eine virtuelle Plattform, auf welcher die Jugendlichen Zugang zu Unterrichtsmaterialien und Hausaufgaben hätten, unumgänglich sei. «Diese Plattform gibt es noch nicht», sagt Gisler. Das sei auch nicht nötig: In Bulle sei eine Koordinatorin für die Jugendlichen des regionalen Ausbildungszentrums für Skisport zuständig. Und auch andere Schulen hätten individuelle Lösungen gefunden. «Um eine solche Plattform zu entwickeln, fehlt es uns zudem an Ressourcen», so Gisler. njb