Die Rettungssanitäter der Ambulanz Sense versammeln sich kurz nach sieben Uhr an diesem Sommermorgen auf der kleinen Terrasse ihrer Zentrale in Wünnewil. Zwei berichten vom Nachteinsatz: eine Schlägerei, bei der die Sanitäter die verletzten Streithähne getrennt ins Spital bringen mussten, weil diese sonst auch in der Ambulanz noch aneinandergeraten wären. «Zwei Einsätze für einen Fall», fasst der Rettungssanitäter zusammen. Sein Chef, Jean-Pierre Boschung, will noch etwas nachfragen, kommt aber nicht dazu: Aus dem Funk ertönt die Zentrale des Notrufs 144, Ungeübte hören nur ein Rauschen. Boschung und seine Kollegin Leila Wieland haben aber verstanden: Ihre Hilfe ist in einem Dorf nahe Laupen gefragt.
Ein letzter Biss Brot, noch ein Schluck Kaffee. Leila Wieland zieht einen Pulli über, Jean-Pierre Boschung setzt sich ans Steuer der Ambulanz, und knapp eine Minute nachdem sie den Notruf erhalten haben, sind die beiden schon unterwegs zu ihrem Einsatzort.
Auf einem Tablet erhält Leila Wieland während der Fahrt Details zum Einsatz: Eine ältere Frau ist aus dem Bett gestürzt, sie ist bei Bewusstsein, ihr Leben scheint nicht bedroht zu sein. Deshalb sind die beiden ohne Blaulicht und Sirene unterwegs.
Nur wenn es dringend ist
Später erklärt Jean-Pierre Boschung: Für die Hinfahrt bestimmt die Notrufzentrale, ob die Ambulanz Blaulicht und Sirene einschaltet, je nach Dringlichkeit des Einsatzes. Besteht die Möglichkeit, dass das Leben des Verletzten gefährdet ist, fährt die Ambulanz mit Blaulicht, unter Umständen zählt dann jede Sekunde. Bei der tieferen Dringlichkeitsstufe dürfen die Rettungssanitäter Blaulicht und Sirene nur einschalten, wenn der Verkehr nicht flüssig läuft.
Ob sie das Blaulicht auf der Fahrt ins Spital einschalten, entscheiden dann die Rettungssanitäter: «Manchmal stellen wir vor Ort fest, dass es nicht so schlimm ist wie angenommen, dann können wir ohne Blaulicht weiterfahren.» Doch auch das Gegenteil könne der Fall sein: Zuweilen fahre die Ambulanz ohne Blaulicht zum Einsatzort, und die Rettungssanitäter und -sanitäterinnen fänden dann einen schwerer verletzten Menschen vor, als es zuerst schien. «Es ist für die Notrufzentrale nicht einfach, sie müssen sich auf die Aussagen der Anrufer verlassen», sagt Leila Wieland. Diese seien meist aufgeregt, und es sei für sie schwierig, die Situation richtig einzuschätzen. «Oft bekommen wir zum Beispiel den Hinweis, dass der Verletzte stark blutet. Sind wir dann vor Ort, stellen wir gelegentlich fest, dass die Blutung gar nicht so stark ist», so Leila Wieland.
Alles dabei für die Nothilfe
Knapp eine Viertelstunde nachdem in Wünnewil der Funk ertönt ist, treffen Jean-Pierre Boschung und Leila Wieland am Einsatzort ein. Beide steigen aus, Wieland öffnet den hinteren Teil der Ambulanz, sie packen je eine blaue, schwere Tasche gefüllt mit Medikamenten und anderen Dingen für die Erstversorgung in die eine Hand, Boschung greift zusätzlich zum Defibrillator. «Wollen wir die Liege auch schon nehmen?», fragt Wieland. «Nein, wir schauen zuerst einmal, wie es aussieht», antwortet Boschung.
Der Schwiegersohn der verletzten Frau wartet bereits vor der Wohnungstür und führt die Rettungssanitäter zum Schlafzimmer. Im Nachthemd liegt die Frau am Boden. Leila Wieland kniet sich zu ihr hin, fragt, was passiert ist, greift gleichzeitig nach dem Puls am Handgelenk und beginnt die Frau abzutasten. Auch Blutdruck und -zucker werden gemessen.
Die Frau hat Schmerzen an den Rippen der rechten Seite, den linken Arm hat sie sich etwas aufgeschürft. Wieland steckt eine Infusion und gibt ihr ein starkes Schmerzmittel.
Derweil holt Jean-Pierre Boschung einen zusammenklappbaren Rollstuhl aus der Ambulanz. Gemeinsam heben sie die Frau auf den Stuhl und bringen sie so in den Eingang des Wohnhauses, wo die Liege schon bereitsteht.
Dankbare Kunden
Auf der Fahrt ins Spital in Bern sitzt Leila Wieland hinten bei der Frau. Kontrolliert Blutdruck, fragt immer wieder nach und bemerkt, dass die Frau schleppend zu sprechen beginnt. «Wie hoch ist Ihr Blutzucker normalerweise?», fragt Wieland. «6 bis 8», antwortet die Frau etwas verzögert. Wieland steht auf, spricht sich durch ein kleines Fenster kurz mit Boschung ab und beginnt in einer Spritze eine Zuckerlösung aufzuziehen–dass die Ambulanz hin- und herwackelt, scheint sie dabei nicht zu stören. Auch Sauerstoff gibt sie der Frau–wenig später wirkt diese deutlich präsenter als zuvor.
Nach etwa 20 Minuten Fahrt trifft die Ambulanz beim Spital ein. Wieland und Boschung rollen die Frau auf der Liege in den Notfall, heben sie dort gemeinsam mit dem Notfallteam aufs Bett, Wieland legt Rapport ab. Dann drücken Leila Wieland und Jean-Pierre Boschung der Frau die Hand und wünschen ihr alles Gute. Matt antwortet die Frau: «Danke vielmals.»
Zur Serie
Die FN machen blau
Blaulicht, blaue Flecken, Blaublüter, Forelle blau und Blaufahrt: Die Farbe Blau hat viele verschiedene Facetten. Dies nehmen die FN zum Anlass, um den Themen rund um die Farbe Blau in einer Sommerserie auf die Spur zu kommen.mz
Zahlen und Fakten
5,7 Einsätze pro 24 Stunden
Die Ambulanz Sense hat ihre Zentrale in Wünnewil. Tagsüber stehen zwei Teams mit zwei Rettungssanitätern im Einsatz, ein Team rückt von Wünnewil aus, eines vom Spital Tafers. Nachts steht ein Team im Einsatz, das in Wünnewil stationiert ist. Die Ambulanz Sense deckt den ganzen Sensebezirk ab sowie Teile der bernischen Nachbarschaft um Laupen. Gegründet hat die Ambulanz Sense der Vater von Jean-Pierre und Philippe Boschung, die sich heute die Leitung des Dienstes teilen. 17 Rettungssanitäterinnen und -sanitäter besetzen 15 Vollzeitstellen. Sie arbeiten in Zwölf-Stunden-Schichten, von 7 bis 19 Uhr und von 19 bis 7 Uhr. Die Ambulanz Sense verfügt über drei Rettungsfahrzeuge, wovon eines als Reserve dient. Die Fahrzeuge wiegen rund 5,5 Tonnen und sind mit verschiedensten Rettungsgeräten ausgestattet. Zusätzlich besitzt die Ambulanz Sense ein kleineres Fahrzeug, welches sie für längere Transporte beispielsweise zwischen verschiedenen Spitälern nutzt. Im Schnitt rückt die Ambulanz Sense innerhalb von 24 Stunden 5,7 Mal aus. Ein Drittel der Einsätze ist aufgrund von Unfällen nötig, ein weiteres Drittel machen Verlegungen aus und das letzte Drittel sind medizinische Einsätze.mir