Realschüler werfen Fragen auf – FN vom 5. September
Endlich wird wissenschaftlich belegt und in der FN erklärt, was wir doch schon immer wussten: Realschüler sind entweder delinquent, dissozial, ängstlich oder depressiv. Man stelle sich vor, es gibt Schüler, die in 14 Tagen einmal geschwatzt, gestört, die Hausaufgaben vergessen und dem Pultnachbarn ein Bleistift gestohlen haben–welch ein Skandal.
Ich will mich nicht weiter in die Ironie flüchten–aber der
Artikel über die Fripeers-Studie und vor allem die Karikatur auf der Titelseite haben mich furchtbar aufgeregt. Die Aussagen werden Realschülerinnen und Realschülern, deren Eltern und Lehrpersonen nicht gerecht. Realschüler sind nicht so! Es sind einfach ganz normale Jugendliche, die mal gerne in die Schule gehen, mal weniger, die manchmal aufgestellt und an einem anderen Tag schlecht gelaunt sind, die motiviert Neues lernen, ein andermal lieber im Pool baden, als sich hinter die Hausaufgaben zu klemmen, wie Schüler in Sekundarklassen auch.
Die Realklasse ist kein Ghetto von Verhaltensauffälligen und Gestörten–ganz im Gegenteil. Ich erlebe Realschülerinnen und -schüler als offen, ehrlich, spontan, begeisterungsfähig. Auch Ausdauer und Ehrgeiz legen viele an den Tag, obwohl gerade das ihnen oftmals abgesprochen wird. Es ist bedeutend anspruchsvoller, nicht aufzugeben, wenn einem vielleicht ein Fach oder das Lernen nicht so leicht fällt.
Als Lehrperson bin ich mir sehr wohl meiner Verantwortung bewusst und versuche, dem erzieherischen Auftrag gerecht zu werden.
Es liegt mir fern die Resultate der Studie in Abrede zu stellen und Probleme zu banalisieren. Selbstverständlich gibt es in Realklassen auch schwierige Situationen, problematische Konstellationen. Aber im Artikel werden einfach alle in den gleichen Topf geworfen und es werden Begriffe zitiert, die vielleicht in einer wissenschaftlichen Arbeit passend sein mögen, in einem Zeitungsartikel aber unangebracht sind.
Ich unterrichte seit mehr als 20 Jahren als Klassenlehrer in Realklassen – und ich liebe es.